Die forschende Praxis war in der Kunst, aber auch in den Wissenschaften mit dem Versprechen der Emanzipation und des selbstkritischen Denkens verknüpft und mit ihr ging ein Wissensbegriff der Reflexion und Subjektivierung einher.*1 *(1) Es verwundert deshalb nicht, dass sie nicht nur in der Kunst, sondern auch in der Pädagogik seit den Siebziger Jahren eine zentrale und gesellschaftskritische Rolle innehat. So setzte die Didaktik auf das Forschende Lernen; mit ihm sollte sich die Selbstverantwortlichkeit und Eigenständigkeit der Studierenden bezüglich ihrer Methoden und Themenstellungen ausbilden und die Praxis und die Erfahrung wurden als produktive Aspekte unterstrichen.*2 *(2) Das Forschende Lernen gilt auch heute als ein gesellschaftlich relevantes Tun und ist als „Prozess der ständigen Befragung jeder vorliegenden Aussage“ (BAK 1970: 214) (*3) beschrieben. Bildung misst sich aus der Perspektive des Forschenden Lernens nicht am erlernten und abrufbaren Fundus eines überlieferten Wissens, sondern am eigenen „Suchen und Finden, Problematisieren und Einsehen, ‚Staunen‘ und Erfinden, Untersuchen und Mitteilen“, so der Pädagoge und Wissenschaftshistoriker Ludwig Huber (2009: 13). (*11) Forschendes Lernen bildet, das ist die grundlegende Annahme, weil die Studierenden Wissenschaft als unabgeschlossene Praxis selbst betreiben und nicht weil sie etwas Abgeschlossenes lernen und sich aneignen. Es ist also die Performativität, die in der Praxis eines Forschens wirksam werden kann, auf die gesetzt wird und weniger das Wissen als zu akkumulierende Kenntnis.*3 *(3)
Ende der 1990er Jahre hat Bruno Latour den Begriff Forschung im Feld der Wissenschaften als einen gesellschaftsrelevanten reaktualisiert. In seinem 1998 erschienenen Aufsatz „From the World of Science to the World of Research?“ (*23) konstatiert er einen Übergang von der Kultur der Wissenschaft in eine Kultur der Forschung. Wissenschaft identifiziert er mit Gewissheit, charakterisiert sie als kalt, hart, abgehoben-distanzierend. Forschung stehe dagegen für Ungewissheit und wird von ihm als warm, verwickelnd-einnehmend beschrieben. Wissenschaft beende Debatten, erzeuge Objektivität und sage sich von Ideologien, Leidenschaften und Emotionen los, wohingegen die Forschung Kontroversen kreiere, und den Untersuchungsgegenstand emotional und leidenschaftlich nahebringe. Schließlich stellt Latour fest, dass die Forschung, angesichts dessen, dass sich Wissenschaft und Gesellschaft nicht mehr wie einst separieren lassen, sondern in einem Wechselverhältnis stehen, als „collective experiment“ an Bedeutung gewinnt.
Die Polarisierung von Forschung und Wissenschaft scheint mir problematisch, denn Forschung findet weitestgehend im Feld des Wissens und respektive der Wissenschaften statt oder sie wird von den Wissenschaften legitimiert. Forschungsfragen entstehen in Relation zu einem bekannten und anerkannten Wissen und schließlich verbleiben auch Forschungen nicht in der kontroversen Spannung, sondern werden in ein zu vermittelndes Wissen übersetzt, d.h. in ein ‚wissbares‘ und erlernbares Produkt.
Anstelle die Forschung gegen die Wissenschaft auszuspielen, scheint es mir interessant, die Praktiken des Forschens und der Wissenschaft, ihre spezifischen Rahmungen und Kontexte selbst ins Visier zu nehmen. Eine solche Rahmung stellt heute im sogenannten dritten Kapitalismus die Ökonomisierung des Wissens dar. Diese trägt zu einer Neubewertung der Forschung bei. Sie kann nicht länger per se als emanzipatorische Tätigkeit eines selbstbestimmten kritischen Geistes bestimmt werden, sondern sie tritt in ihrer Ambivalenz hervor, da sie sich ebenso gut in den Dienst der Selbstoptimierung stellen kann.
Elke Bippus ( 2016): Teilhabe am Wissen. „Part-of Relation“ oder performative Forschung im Feld der Kunst. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/teilhabe-am-wissen/