Salzburg – München – Zürich

Drei Fallstudien zu drei Orten, die exemplarisch Gemeinsamkeiten und Unterschiede künstlerischer Interventionen aufzeigen

Wolfram Kastner war es auch, der gemeinsam mit dem österreichischen Künstler Martin Krenn im Jahr 2001 im Rahmen der Internationalen Sommerakademie für bildende Kunst Salzburg in Kooperation mit der Galerie 5020 ein besonders eindrückliches Projekt künstlerischer Intervention(en) in der Stadt verwirklicht hat. Unter dem Titel Restitution/Rückgabe wurde gemeinsam mit Studierenden eine „Intervention zur Wahrnehmung von Raub und Verschleierung in der Festspielstadt Salzburg“ realisiert.*6 *(6) Zwar liegt dieses Projekt schon einige Zeit zurück, seit 2001 hat sich an der Brisanz dieses Themas jedoch nichts verändert. So ist wohl einem breiten Publikum bekannt, dass während der NS-Diktatur die Enteignung politisch Verfolgter unter dem Schlagwort der „Arisierung“ durchgeführt wurde. Staatlich sanktionierter Raub meist jüdischen Eigentums wurde in großem Umfang betrieben, von Kunstgegenständen bis hin zu ganzen Liegenschaften. Trotz vorhandener Akten kam es nach 1945 nur in wenigen Fällen zur tatsächlichen Restitution dieser enteigneten Güter. Stattdessen hüllte man sich in Schweigen, die Profiteure wurden vielfach geschützt. Bis heute hat sich daran kaum etwas verändert.

Zu dieser Thematik wurde in der Galerie 5020 eine Ausstellung konzipiert, in der nicht nur Dokumente gezeigt wurden, die die Enteignung belegen, sondern auch solche, aus denen eine verweigerte Rückgabe hervorgeht. Diese Ausstellung wurde bezeichnenderweise als Rückgabestelle deklariert und fungierte somit als eine Art offizielle Anlaufstelle. In Form einer künstlerischen Intervention im öffentlichen Raum machten die TeilnehmerInnen unter der Leitung von Kastner und Krenn auch außerhalb der Ausstellung auf das Ausmaß dieses bislang noch nicht aufgearbeiteten Skandals aufmerksam. So wurden enteignete Liegenschaften im Stadtzentrum durch die „Rückgabestelle Salzburg“ in Form von Schildern gekennzeichnet. Diese erweckten den Eindruck einer tatsächlich offiziellen, behördlichen Sicherstellung und waren zugleich unübersehbar. Enteigneter Besitz wurde durch diese Form der Intervention für alle PassantInnen gekennzeichnet und stach aus dem gewohnten Stadtbild hervor, irritierend und nicht ignorierbar. Auch Faltblätter wurden verteilt, um über diese künstlerische Intervention hinaus zu informieren. Die Rückgabestelle übergab außerdem demonstrativ ein „Sichergestellt“-Schild an die Behörden. Diese Aktion ist als eine symbolische Überreichung der Aufgabe der Aufarbeitung an die Politik bzw. Öffentlichkeit zu verstehen und somit zugleich als Aufforderung zu einem Diskurs, der über den begrenzten Rahmen des Projekts hinausgeht. Vor allem diese Intention einer langfristig veränderten Wahrnehmung, der Verbesserung und Anregung eines bestimmten Diskurses ist künstlerischen Interventionen inhärent, jedoch vielfach schwer zu erreichen.

Anhand des Projekts Rückgabe/Restitution zeigt sich zudem eindrücklich, wie völlig anders sich der Umgang mit künstlerischen Interventionen gestaltet, wenn diese tatsächlich dauerhaft ins Stadtbild eingreifen, eben um problematische Inhalte sichtbar zu machen. So wurden die „Sichergestellt“-Schilder abmontiert und zudem ein Strafverfahren mit dem Vorwurf der schweren Sachbeschädigung gegen den Künstler Wolfram Kastner eingeleitet. Dieses Strafverfahren bezog sich auf eine weitere künstlerische Intervention, die im Rahmen des breit angelegten Projektes 2001 umgesetzt wurde. Hintergrund der Intervention bildete die Gedenktafel von Theodor Herzl, die an dessen kurzen Aufenthalt in Salzburg erinnern soll. Dazu las man auf der Tafel folgendes Zitat: „In Salzburg brachte ich einige der glücklichsten Stunden meines Lebens zu.“ Es fehlte jedoch der entscheidende Nachsatz: „Ich wäre auch gerne in dieser schönen Stadt geblieben, aber als Jude wäre ich nie zur Stellung eines Richters befördert worden.“*7 *(7) Diese wesentliche Ergänzung und notwendige Kontextualisierung wurde im Zuge des Projekts von Kastner und einigen Studierenden handschriftlich vorgenommen. So handelte es sich in juristischer Hinsicht zweifellos um Sachbeschädigung, jedoch um eine absolut notwendige im Sinne der Korrektur eines aus seinem Kontext gerissenen und somit verfälschten Zitats. Die Folge war nicht nur das Strafverfahren, sondern tatsächlich letztendlich auch die offizielle Richtigstellung der Gedenktafel in Form einer weiteren, jedoch kleineren Plakette.

Künstlerische Interventionen bedingen in der Regel einen Eingriff in den öffentlichen Raum, mögen diese auch nicht immer von dauerhafter Natur sein. Augenfällig übernimmt hier Kunst eine wichtige Funktion, weist auf Missstände hin, die nur zu gern von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen werden (wollen). Diese Interventionen sind meist unangenehm und sollen in ihrem Wesen auch irritieren, denn sie bergen die einzigartige Möglichkeit des Dialogs und der (positiven) Veränderung in sich. Eben dieser Anstoß eines längst überfälligen Diskurses durch künstlerische Interventionen, durch Kunst, wird in den überwiegenden Fällen von Seiten der öffentlichen Hand unterbunden. Im Falle der Gedenktafel von Herzl wurde zwar letztlich eine Korrektur vorgenommen, aber auch hier wurde der Künstler zuvor strafrechtlich belangt. Künstlerische Interventionen stellen also in Bezug auf die Erinnerungskultur ein wichtiges Korrektiv dar, können durchaus Veränderungen bewirken und langfristig zu einem Umdenken führen. ‑ Vorausgesetzt man hat einen langen Atem. Die Frage der generellen Sinnhaftigkeit oder Wirkungskraft von Tafeln und Plaketten als Form der Gedächtnispolitik muss hier außen vor gelassen werden. Wichtig wäre hier vor allem ein partizipativer Ansatz, der etwa in vielen weiteren Projekten von Martin Krenn aufgegriffen wird, um eben solche Erinnerungsorte abseits von Gedenktafeln mit kritischer Wahrnehmung zu füllen.

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Seit 2004 werden von der Stadt Salzburg Stadtspaziergänge angeboten, bei denen man den Spuren bedeutender Salzburgerinnen folgen kann. Nähere Infos unter: https://www.stadt-salzburg.at/internet/leben_in_salzburg/frauen/frauen_stadtspaziergaenge.htm

Vgl. „Erinnerungskultur und Gedächtnispolitik“, http://www.uni-klu.ac.at/frieden/inhalt/442.htm (20.06.2016).

Vgl. Michael Braun, „Erinnerungskultur“, http://www.kas.de/wf/de/71.7680/ (20.06.2016).

Vgl. http://www.ikufo.de/rueckgabe/intro.html (29.6.2016).

Das Labor k3000 ist eine Plattform für transnationale Netzwerk- und Rechercheprojekte, Ausstellungen, Video und Web-Produktionen.

Die Begriffe Ablagerungen und Spuren kommen in der Selbstbeschreibung des Projektes des Öfteren vor, eben um auf die bis heute andauernde Einschreibung des Kolonialismus in den öffentlichen Raum zu verweisen. Die kolonialen Ablagerungen und Spuren sind auch gegenwärtig noch präsent und keineswegs verschwunden, wie beispielsweise an Streitgesprächen über kolonialrassistische Bezeichnungen in Kinderbüchern, Kolonialstilmöbeln oder der Bezeichnung einer bekannten Supermarktkette, der Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler, deutlich wird. Allein an der öffentlichen Wahrnehmung und einem öffentlichen Diskurs über diese omnipräsenten Ablagerungen und Spuren mangelt es.

Die deutsche Kolonialvergangenheit wird an dieser Stelle gesondert hervorgehoben, da die eigene kolonialistische Verstrickung und Beteiligung in Deutschland nach wie vor gerne ignoriert bzw. minimiert wird. Ein aktuelles Beispiel hierfür stellt die Debatte um die Anerkennung des Genozids an den Herero und Nama im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika bzw. heutigen Namibia von 1904 bis 1908 dar. Insbesondere die offizielle Anerkennung des Armenien-Genozids durch den Deutschen Bundestag im Juni 2016 veranschaulicht die Doppelmoral der deutschen Politik. So wichtig die Anerkennung des Armenien-Genozids ist, wirkt sie vom Deutschen Bundestag doch scheinheilig, da eine Anerkennung des Genozids an den Herero und Nama sowie eine öffentliche Entschuldigung für die damals begangenen Verbrechen nach wie vor ausstehen. Siehe: Jürgen Zimmerer: „Wer A sagt, muss auch N sagen“. In: taz.de. Online unter: http://www.taz.de/!5306461/ (Stand:05.07.2016).

Das Kartierungsprojekt „mapping.postkolonial.net“ beschäftigt sich auch mit den verborgenen Spuren, die an den Genozid an den Herero und Nama im Stadtraum München erinnern. Siehe: „Der Genozid an den Herero und Nama“. In. „mapping.postkolonial.net”. Online unter: http://mapping.postkolonial.net/article/der-genozid-an-den-herero-und-nama (Stand: 05.07.2016). Ein Beispiel einer kolonialen Ablagerung ist die Swakopmunder Straße: Swakopmund ist eine Stadt im Westen von Namibia, in der sich zur Zeit der Kolonie Deutsch-Südwestafrika ein Konzentrationslager befand, in dem Herero und Nama unter unmenschlichen Bedingungen zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden. Siehe: „Swakopmunder Straße”. In: „mapping.postkolonial.net“. Online unter: http://mapping.postkolonial.net/article/swakopmunder-strasse (Stand: 05.07.2016).

Rösser, Michael: „Übung 33221a ‚Kein Platz an der Sonne‘ – Deutscher (Post)Kolonialismus in Afrika. Grundzüge, Debatten, Methoden. Online unter: https://elearning.uni-regensburg.de/pluginfile.php/1009147/course/overviewfiles/Semesterplan%20-%20%C3%9Cbung%20Kein%20Platz%20an%20der%20Sonne%20SoSe%202016.pdf?forcedownload=1 (Stand:05.07.2016).

Dabei handelte es sich um eine Volksinitiative mit dem Titel “Gegen Masseneinwanderung”, welche im Jahr 2014 zur Abstimmung gebracht und angenommen wurde. Die Einwanderung soll durch Höchstgrenzen für Ausländer*innen und Asylwerber*innen künftig eingedämmt werden. Mehr Informationen: https://www.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis413.html (16.07.2016).

Die Durchsetzungsinitiative (Durchsetzung der „Ausschaffung“ krimineller Ausländer) hingegen sollte eine weitere Verschärfung gegenüber der Masseneinwanderungtinitiative darstellen. Sie wurde 2015 zur Abstimmung gebracht und abgelehnt. Hierbei wurde gefordert, Ausländer*innen, die sich bestimmter Straftaten schuldig gemacht hätten, ohne Ausnahme in das (vermeintliche) Herkunftsland abzuschieben, eine Härtefallregelung per richterlichem Ermessen wäre nicht mehr möglich gewesen. Mehr Informationen: https://www.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis433.html (16.07.2016).

Mehr Informationen: http://www.wochenklausur.at/projekte/02p_kurz_dt.htm (02.07.2016).

Beispielsweise die mutigen Statements bei der Bekämpfung der Drogenkriminalität oder die (zwar gescheiterte) Kampagne für eine Volksabstimmung für das Bedingungslose Grundeinkommen 2016.

Veronika Aqra, Verena Höller, Stefanie Niesner ( 2016): Salzburg – München – Zürich. Drei Fallstudien zu drei Orten, die exemplarisch Gemeinsamkeiten und Unterschiede künstlerischer Interventionen aufzeigen. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/salzburg-munchen-zurich/