Die Möglichkeit internationaler Partnerschaft

Das Tskaltubo Lab for Urgent Questions als künstlerische Beziehungsarbeit

Das Austarieren asymmetrischer Beziehungen

Es liegt auf der Hand, dass die Kollektiv-Mitglieder aus Westeuropa in vieler Hinsicht gegenüber den jungen Leuten in Tskaltubo privilegiert erscheinen. So verfügen sie über monetäre Ressourcen und Mobilität, die ihnen etwa ermöglichen, in die georgische Provinz zu reisen, während die meisten lokalen Menschen nur übers Internet über die Orts- und Landesgrenzen hinaus Verbindungen knüpfen und pflegen können. Die Kollektiv-Mitglieder haben zudem Zugang zu einer international vernetzten und spezialisierten Bildung, die ihnen ein anderes Selbstverständnis im Umgang mit autoritären oder definitionsmächtigen Diskursen gibt, und die sie über Diskussionen, wie etwa derjenigen zum Begriff der partizipativen Kunst, in Kenntnis setzt. Zudem scheinen sie frei in der Wahl eines selbstbestimmten Lebensstils zu sein, was gerade aus Sicht der Jugendlichen im christlich-orthodox geprägten Umfeld Westgeorgiens zum Sehnsuchtsbild werden und ein erstrebenswertes soziales Kapital darstellen kann.

Es gibt somit ein in der Voraussetzung des Projekts veranlagtes Gefälle zwischen den von außen kommenden Kollektiv-Mitgliedern und den lokalen Beteiligten, das sich nicht ohne weiteres überwinden lässt. Wie Maja Leo, eines der nD-Mitglieder, deutlich macht, sind sich die initiierenden Kunstschaffenden über dieses Gefälle im Klaren. Die gegenseitige Positionierung und Adressierung stellt für sie somit auch eine zentrale Herausforderung im Projekt dar.

Wir haben die Jugendlichen im Lab erst mal utopisch-idealistisch als ‚collaborators‘, im Sinne von ‚co-workern‘ angesprochen. Wobei trotzdem ein unerwünschtes Machtverhältnis in unsere Zusammenarbeit eingeschrieben war, das aus unseren unterschiedlichen Ausgangspositionen rührte und das sich im Verlauf immer wieder zeigte. Das haben wir thematisiert und versucht auszuhebeln. Am besten hat das funktioniert, sobald sich ein freundschaftliches Verhältnis zwischen uns und den Jugendlichen eingestellt hatte.*3 *(3)

Obwohl das Kollektiv den Begriff der Partizipation vermeidet, weist Maja Leos Aussage genau auf das im Diskurs zentrale Dilemma zwischen einerseits einer utopischen „togetherness“, also einer angestrebten Gleichheit zwischen den Beteiligten, die sich jedoch nur vordergründig einlösen lässt, und andererseits einer Machtposition der Initiatoren/Initiatorinnen hin. Auffällig in dieser Hinsicht ist die Verwendung des Begriffs eines „freundschaftlichen Verhältnisses“, der im Zitat und auch in Gesprächen mit anderen Kollektiv-Mitgliedern oft fällt. Dem Begriff haftet gerade vor dem Hintergrund des Gefälles wiederum etwas Idyllisch-Utopisches an. So lässt sich in Frage stellen, ob sich in dieser von Ungleichheit geprägten Konstellation Freundschaft im Sinne einer reziproken Beziehung überhaupt einstellen kann. Der Begriff erweckt den Vorbehalt, dass er, ähnlich wie dies Bishop unter dem Begriff „togetherness“ beschrieben hat, eine idealisierte Vorstellung suggeriert. Mit der Verwendung des Begriffs des „Freundschaftlichen“ scheint das Kollektiv somit Kritikern und Kritikerinnen in die Hände zu spielen, die von einer grundsätzlichen Skepsis gegenüber partizipativen Projekten mit asymmetrischen Machtverhältnissen ausgehen.

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Bishop, Claire (2004): Antagonism and Relational Aesthetics. In: October, Herbst 2004.

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Bishop, (2006): The Social Turn: Collaboration and its Discontents. In: Artforum, Februar 2006.

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Bourriaud, Nicolas (1998): Esthetique Relationelle. Dijon: Les Presses du réel. Crossick, Geoffrey /Kaszynska, Patrycja (2016): Understanding the value of arts & culture. The AHRC Cultural Value Project, Swindon: Arts & Humanities Research Council.

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Hagoort, Erik (2005): Good Intentions. Judging the Art of Encounter. Amsterdam: Foundation for Visual Arts, Design and Architecture.

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Kester, Grant H. (2004):  Conversation Pieces. Community and Communication in Modern Art. Berkeley: University of California Press.

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Kester, Grant H. (2011): The One and The Many. Contemporary Collaborative Art in a Global Context. Durham: Duke University Press.

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Miessen, Markus (2011): The Nightmare of Participation. Berlin: Sternberg Press.

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Reich, Hannah (2006): „Local Ownership“ in Conflict Transformation Projects. Partners, Participation or Patronage?’, Berghof Occasional Paper, Nr. 27, September 2006.

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Terkessidis, Mark (2015): Kollaboration. Berlin: Suhrkamp.

Das Kollektiv wurde 2010 gegründet, als die meisten Mitglieder Anfang 20 waren und studierten. Ihr Altersunterschied zu den jungen Leuten in Tskaltubo war bei der ersten Projektphase (2012) nur gering. Da das Lab vor allem von Schülern/Schülerinnen besucht wird, vergrößert sich der Altersunterschied in den folgenden Projektphasen.

Eine ähnliche Kritik, wie sie Bishop anhand des Begriffs „togetherness“ fomuliert, findet sich auch in: Miessen 2011.

Maja Leo in einer privaten E-Mail an den Autor (8. Februar 2016), E-Mail liegt dem Autor vor.

https://nd-blog.org/for-now-we-meet/ (Zugriff: 4. Juli 2016).

Tskaltubo Art Festival (jährlich seit 2013), siehe: https://www.facebook.com/Tskaltubo-Art-Festival-698901996792832/ (Zugriff: 4. Juli 2016) und http://www.artasfoundation.ch/de/tskaltuboartfestival(Zugriff: 4. Juli 2016).

artasfoundation trägt in ihrem Logo die Unterschrift „for peace“ und positioniert sich im weiten Feld des „civilian peace building“. Siehe: http://www.artasfoundation.ch/de/ziele (Zugriff: 22. Juli 2016).

Vgl. beispielsweise den Bericht Understanding the Value of Art and Culture des Arts & Humanities Research Council (Crossick/Kaszynska 2016).

Grant Kester liefert einen ausführlichen ideengeschichtlichen Rahmen für die Verbindung von Kunst mit humanitären Anliegen (vgl. Kester 2011: 19-65).

In der internationalen Zusammenarbeit wird mit einer etwas anderen Nuance auch von „patron-client relationship“ gesprochen. Vgl. Reich 2006: 4.

https://www.facebook.com/groups/its.not.that.far/ Eintrag vom 28. November 2013 (Zugriff: 15. Juli 2016).

Maja Leo in einer privaten E-Mail an den Autor (23. Februar 2016), die E-Mail liegt dem Autor vor.

Diese Aufnahmen finden sich teilweise auf der Facebook-Seite des Tskaltubo Labs (Einträge von 2013) oder auf dem Blog der neuen Dringlichkeit. Siehe: https://www.facebook.com/groups/its.not.that.far/ oder https://nd-blog.org/for-now-we-meet/ (Zugriff: 22. Juli 2016).

Maja Leo in einer privaten E-Mail an den Autor (23. Februar 2016), die E-Mail liegt dem Autor vor.

Das Video findet sich unter dem Titel For now we meet workshop auf dem Blog der neuen Dringlichkeit, siehe: https://nd-blog.org/for-now-we-meet/ (Zugriff am 15. Juli 2016).

Maja Leo in einer privaten E-Mail an den Autor (8. Februar 2016), E-Mail liegt dem Autor vor.

Thinking about Georgian Parents, Eintrag vom 24. September 2014, https://www.facebook.com/groups/its.not.that.far/ (Zugriff: 22. Juli 2016).

Das Thema der Selbstorganisation wurde aktiv eingebracht. So fand im Rahmen der zweiten Projektphase auch ein Workshop zum Thema statt, der von Wato Tsereteli, dem Leiter des Center for Contemporary Art in Tiflis, geleitet wurde.

Dieses Gespräch ist auf dem Video For now we meet workshop zu sehen (siehe Anmerkung 14).

Das Video findet sich auf der Facebook-Seite des Tskaltubo Labs und auf der Vimeo-Seite von neue Dringlichkeit: https://vimeo.com/album/1676946/video/103837792 (15. Juli 2016).

Eine Audioaufnahme des Gesprächs liegt dem Autor vor.

Eintrag vom 31. Oktober 2015, https://www.facebook.com/groups/its.not.that.far/ (15. Juli 2016).

Terkessidis bezeichnet die Schärfung eines „organischen Sensoriums“ als eine Form von Wissen, die bei Kollaborationen produziert wird (vgl. Terkessidis 2015: 171).

Marcel Bleuler ( 2016): Die Möglichkeit internationaler Partnerschaft. Das Tskaltubo Lab for Urgent Questions als künstlerische Beziehungsarbeit. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/die-moglichkeit-internationaler-partnerschaft/