Schulische Experimentierräume im Spannungsfeld von Kunst und Wissenschaft

Ein interdisziplinärer Ansatz zur Vermittlung experimenteller Musik im Unterricht der Sekundarstufe II: Pädagogische Leitideen und Einblicke in das Projekt KLANGKÖRPER – KÖRPERKLANG

I. Einleitende Überlegungen

Ein Blick in die gegenwärtige Unterrichtspraxis verdeutlicht, dass die Vermittlung*1 *(1) experimenteller Musik (sowie Neuer Musik im Allgemeinen) wenig Eingang findet. Das erweist sich in mehrfacher Hinsicht als bedauerlich: Experimentelle Musik eröffnet den Lernenden eine Vielzahl an Möglichkeiten der selbsttätigen künstlerisch-kreativen Auseinandersetzung auf Basis unterschiedlicher Vorgaben – vom völlig freien Experimentieren zu einem Thema bis hin zur Umsetzung detaillierterer Konzepte – und mit verschiedenen Materialien, wobei individuelle Fähigkeiten bzw. Vorerfahrungen in besonderer Weise fruchtbar gemacht werden können. Darüber hinaus vermag sie es, Wahrnehmungskonventionen aufzubrechen und den Lernenden auf diese Weise neue Erfahrungsräume zu erschließen.

Mitunter diese Aspekte bewogen mich dazu, ein Projekt mit dem Titel KLANGKÖRPER – KÖRPERKLANG zu entwickeln, das seit Jänner 2017 an einem Salzburger Gymnasium umgesetzt wird und als Pilotprojekt in der Erstellung von Konzepten zur Vermittlung experimenteller Musik in der Sekundarstufe II zu verstehen ist. Intention dieses Projektes ist es, den Lernenden Experimentierräume im Spannungsfeld von Kunst und Wissenschaft zu eröffnen, zwar mit dem primären Ziel der Vermittlung experimenteller Musik, jedoch ausgehend vom breiten Begriff des Experiments. So findet eine interdisziplinäre Auseinandersetzung mit dem Thema, ein ‚Eintauchen‘ in verschiedene Experimentierfelder, welche sowohl im Bereich experimenteller Kunst unterschiedlicher Sparten*2 *(2) als auch in den Naturwissenschaften anzusiedeln sind, statt. Dieser innovative interdisziplinäre Zugang fußt auf der Annahme, dass die Entwicklung eines differenzierten Verständnisses vom Begriff des Experiments im Speziellen für SchülerInnen höherer Jahrgangsstufen interessant und gewinnbringend sein kann: Er bietet die Möglichkeit den Lernenden das Spektrum an vielfältigen Verwendungsweisen des Experiments, wie es auch experimentelle Musik prägt, zu verdeutlichen und ihnen verschiedene Handlungsoptionen, die das experimentierende Tätigwerden bietet, aufzuzeigen.

In pädagogischer Hinsicht stellt sich die Frage, wie Unterricht gestaltet sein müsste, um Experimentierräume zu öffnen und eine qualitätsvolle Vermittlung experimenteller Musik zu ermöglichen. Dazu werden nachstehend Leitideen expliziert und diskutiert. Ausgehend davon wird im Abschnitt III dieses Textes das Projekt KLANGKÖRPER – KÖRPERKLANG vorgestellt und werden punktuell Einblicke in dessen Umsetzung gewährt. Den Abschluss bilden – als eine Art Ausblick – einige Gedanken zur geplanten Evaluation des Projektes.

star

Bacon, Francis (1620): Neues Organon: lateinisch–deutsch. Herausgegeben von Wolfgang Krohn (1990). Hamburg: Meiner.

star

Blumröder, Christoph von (1981): Experiment, experimentelle Musik. In: Eggebrecht, Hans Heinrich (Hg.): Handwörterbuch der musikalischen Terminologie. Wiesbaden: Franz Steiner Verlag.

star

Brandstätter, Ursula (2011): Experimentelle Musik braucht experimentelle Didaktik. Das Projekt „QuerKlang“ an der Universität der Künste Berlin. In: Diskussion Musikpädagogik, Heft 51. Hamburg: Hildegard Junker Verlag, S. 12–16.

star

Brandstätter, Ursula (2013): Erkenntnis durch Kunst. Theorie und Praxis der ästhetischen Transformation. Wien u.a.: Böhlau.

star

Brockhaus(Hg.) (2006): Experiment. In: Brockhaus. Enzyklopädie in 30 Bänden. Band 8. Mannheim u.a.: Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, S. 648.

star

Handschick, Matthias (2014): Künstlerische Freiheit pädagogisch anleiten? Überlegungen zum Problem der Betreuung individueller und kollektiver schöpferischer Prozesse im Musikunterricht sowie zum didaktischen Potential offener Wahrnehmungssituationen. In: Schwarzbauer, Michaela/ Hinterberger, Julia (Hg.): Individuum – Collectivum. Dokumentation eines Projekts im Rahmen des Forschungsprogramms „Sparkling Science“. Wien: UE, S. 297–309.

star

Langbehn, Andreas (2001): Experimentelle Musik als Ausgangspunkt für Elementares Lernen. Saarbrücken: Pfau.

star

Langer, Armin (2008): Stell dir vor, es wird Musik vermittelt, aber keiner macht mit. Aspekte zu einem häufig verwendeten Begriff. In: Malmberg, Isolde/ Wimmer, Constanze (Hg.): Communicating Diversity. Musik lehren und lernen in Europa. Festschrift für Franz Niermann. Augsburg: Forum Musikpädagogik, S. 187–193.

star

Schulz, Andreas/Wirtz, Markus/Starauschek, Erich (2012): Das Experiment in den Naturwissenschaften. In: Rieß, Werner/Wirtz, Markus/Barzel, Bärbel/Schulz, Andreas (Hg.): Experimentieren im mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht. Schüler lernen wissenschaftlich denken und arbeiten. Münster u.a.: Waxmann Verlag, S. 15–38.

star

Schwarzbauer, Michaela (2014): „Individuum – Collectivum“: der Forschungsprozess. In: Schwarzbauer, Michaela/Hinterberger, Julia (Hg.): Individuum – Collectivum. Dokumentation eines Projekts im Rahmen des Forschungsprogramms „Sparkling Science“. Wien: UE, S. 47–100.

star

Stiller, Barbara (2008): Erlebnisraum Konzert. Prozesse der Musikvermittlung in Konzerten für Kinder. Regensburg: ConBrio.

star

Thiers, Bettina (2016): Experimentelle Poetik als Engagement. Hildesheim: Georg Olms Verlag.

star

Wieneke, Julia (2016): Zeitgenössische Musik vermitteln in Kompositionsprojekten an Schulen. Hildesheim u.a.: Georg Olms Verlag.

Vermittlung verstehe ich im Sinne von Barbara Stiller und Armin Langer als einen kommunikativen Prozess, an dem Lernende gleichermaßen wie Lehrende und KünstlerInnen aktiv beteiligt sind (vgl. Stiller 2008: 41; Langer 2008: 187–193).

Ich meine damit experimentelle Kunst aus den Bereichen der Musik, des Tanzes, der bildenden Kunst sowie der Literatur sowie auch intermediale Kunst.

„Es bleibt die reine Erfahrung, die, wenn sie zustößt, Zufall, wenn sie gesucht wird, Experiment heißt“ (Übersetzung zit. nach Langbehn 2001: 38).

Dieses Projekt ist nur aufgrund von Sondergenehmigungen durch den Schulgemeinschaftsausschuss sowie Kooperationspartner und finanzieller Unterstützung durch das Land Salzburg, Kulturkontakt Austria und den Programmbereich ConTempOhr. Vermittlung zeitgenössischer Musik auf die in diesem Abschnitt skizzierte Weise realisierbar. So kann es als Wahlpflichtfach – in den Regelunterricht integriert – stattfinden, es besteht die Möglichkeit, die vorgegebenen Unterrichtszeiten flexibel zu gestalten und die Unterrichtsorte dürfen variieren. Alle Kosten (Eintritte, Personal-, Material-, Fahrt- und Werbekosten) können mittels der finanziellen Zuwendungen abgedeckt werden und die benötigten Räumlichkeiten werden von der Paris Lodron Universität sowie der Universität Mozarteum Salzburg (welche als Kooperationspartnerinnen gewonnen werden konnten) zur Verfügung gestellt.

Folgende Kriterien haben mich bei der Auswahl dieser Beispiele geleitet: Die Werke werden in der Fachliteratur explizit dem Genre experimentelle Poesie beziehungsweise experimentelle Musik zugeordnet (vgl. Blumröder 1981; Thiers 2016: 70–80). Sie eignen sich für eine Betrachtung im Rahmen des schulischen Unterrichts. Zudem sind sie in ihrer Konzeption sehr unterschiedlich, beziehen sich aber alle auf unterschiedliche Weise auf das meinem Projekt zugrundliegende Thema KLANGKÖRPER – KÖRPERKLANG.

Katharina Anzengruber ( 2017): Schulische Experimentierräume im Spannungsfeld von Kunst und Wissenschaft. Ein interdisziplinärer Ansatz zur Vermittlung experimenteller Musik im Unterricht der Sekundarstufe II: Pädagogische Leitideen und Einblicke in das Projekt KLANGKÖRPER – KÖRPERKLANG. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 08 , https://www.p-art-icipate.net/schulische-experimentierraume-im-spannungsfeld-von-kunst-und-wissenschaft/