Kulturelle Bedeutungsproduktion: Aktives Mitgestalten von Raumkonstitutionen
Räumen wohnen folglich Machtkonstellationen inne. Diese Machtkonstellationen aufzuzeigen, zu reflektierten, zu durchbrechen und (auch) neu zu verhandeln, korreliert mit dem Verständnis eines dissensorientierten öffentlichen Raumes (vgl. Drüeke 2013; (*7) Fraser 1996; (*9) Mouffe 2002 (*18) und 2007 (*19)): Konfliguierende Perspektiven sind als Grundvoraussetzung für (demokratische) kulturelle Entwicklungen anzusehen. Dieser Anspruch impliziert ‑ positiv interpretiert ‑ jenes Konfliktpotential, das Wissensaustausch und Veränderung generell erst ermöglicht. (vgl. Miessen 2012; (*24) Bhabha 2000; (*1) Lang 2014b (*14)). (Kulturelle) Aushandlungsprozesse brauchen demzufolge divergierende Interessenshaltungen, unterschiedliche Perspektiven und Intentionen, damit ein Prozess eines perspektivischen Weiter-, Um- und/oder Neudenkens evoziert werden kann. Denn dieser Prozess ist wiederum Voraussetzung, dass ein (kultureller) Wissensbestand korrigiert, adaptiert, uminterpretiert, ergänzt werden kann oder auch als kulturelle Re-Interpretation (ent)wachsen kann.
Jedoch: In ihrer kontextuellen Einbindung von Macht und Identität(-sbildung), die politische, legale, wirtschaftliche und soziale Dimensionen umfasst, ist Kultur*5 *(5) von zahlreichen Interessensansprüchen geprägt und findet als Ordnungssystem – zumeist unbewusst/latent – in alltäglichen Praktiken, Handlungen und Perspektiven ihren (alltagsrealen) Ausdruck. Die Bildung kultureller Identitäten,*6 *(6) die in diesen Praxen und Einstellungen ihren Ausdruck finden, unterliegen dabei Steuerungsmechanismen, die jedoch vielfach dem Machterhalt oder der Einforderung von Macht innerhalb der Gesellschaft dienen, bzw. sind von diesen oft maßgeblich beeinflusst (vgl. Lang 2015: 45). (*16) Diese Perspektive auf Kultur macht sichtbar, inwiefern Kultur auch als gesellschaftspolitisches, machtgeprägtes, und vor allem ordnungssteuerndes Bedeutungsfeld aufzufassen ist.
Denn Kultur wird in dem Sinne ‚produziert‘*7 *(7), dass in Produktionsprozessen immaterieller Produkte (wie etwa Lebensstile, Einstellungen, Verhaltensmodi) Mechanismen analog zu einem materiellen Produktionsprozess erkennbar und vor allem systemerhaltend eingesetzt werden. Das kulturelle ‚System‘ kann folglich (auch) als „System von Grenzen“ (Steinrücke 2005: 33) (*27) verstanden werden, das es bewusst zu reflektieren und in das es – für partizipative kulturelle Entwicklungen – zu intervenieren gilt. Ein Bewusst-Werden ist der erste und wesentliche Schritt, um zu einer positiven Konnotation von kultureller Produktion zu gelangen: Denn diese umschließt oder sollte umschließen, dass aus zivilgesellschaftlicher Perspektive kulturelle Prozesse nicht nur einem ‚Culture just happens‘ unterliegen, sondern, dass die aktive Mitgestaltung von zahlreichen Personengruppen und Individuen möglich ist (vgl. Zobl/Lang 2012). (*23)
Diese aktive Mitgestaltung an kulturellen Entwicklungen ist ein Merkmal von Selbstermächtigung und demokratischer Mitsprache, wie auch der französische Philosoph Jaques Rancière in seinem Plädoyer „Der emanzipierte Zuschauer“ (2009) betont. Er verweist auf die Notwendigkeit, hierarchisierende Grenzen zu überschreiten und selbst aktiv „Geschichte“ zu interpretieren und mitzubestimmen: Denn „es gibt überall Ausgangspunkte, Kreuzungen und Knoten, die uns etwas Neues zu lernen erlauben, wenn wir erstens die radikale Distanz, zweitens die Verteilung der Rollen und drittens die Grenzen zwischen den Gebieten ablehnen“ (Rancière 2009: 28). (*26) Aktiv „Geschichte“ mitzubestimmen, eine Veränderung eines gesellschaftlichen Status quo zu initiieren, ist Intention sogenannter kultureller Interventionen, die bewusst Prozesse der Reflexion und Diskurse über (als solche empfundene) kulturelle, soziale oder gesellschaftliche Missstände in Gang zu setzen – und folglich bestehende Raumkonstellationen und Raumgefüge zu durchbrechen suchen.
Siglinde Lang ( 2015): Partizipative Räume als Nährboden kultureller Bedeutungsproduktion. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 06 , https://www.p-art-icipate.net/partizipative-raume-als-nahrboden-kultureller-bedeutungsproduktion/