Partizipative Räume als Nährboden kultureller Bedeutungsproduktion

Interventionen und Herstellen von ‚anderen‘ Räumen

Mit Blick auf kulturelle Bedeutungsproduktion*8 *(8) spielt der Raumbegriff folglich vor allem dann eine zentrale Rolle, wenn es um das Herstellen von Räumen geht, die bestehende etablierte räumliche Konstellationen und ihre Handlungsnormen zu durchbrechen und eine Neuverhandlung über bestehende (symbolische) Zuschreibungen zu evozieren suchen. Interventionen in bestehende Raumkonstellationen, Irritationen und/oder das aktive Herstellen von Gegenräumen können diese Machtverhältnisse sichtbar machen und bestehende Strukturen und Repetitionsmechanismen aufbrechen – und Syntheseleistungen abseits repetitiver Handlungsmuster ermöglichen.

Michel Foucault hat mit seinen Überlegungen zu Heterotopien als Gegenräume oder auch ‚andere Räume‘ jene Raumkonzepte, die die Konfrontation mit bestehenden Raumanordnungen aufgreifen, maßgeblich geprägt. Er beschreibt die uns vertraute räumliche Organisation als eine Art „normative Setzung“ die einen „gesellschaftlichen Normalraum“ (Warning 2009: 12, in Bezug auf Foucault) darstellt. Aus diesem nehmen sich jene Räume heraus, die „als Ort in Widerspruch zu allen anderen Orten stehen“ (Foucault 2012: 320).star (*8) Diese ‚anderen‘ Räume beziehen sich zwar auf den uns umgebenden gesellschaftlichen Normalraum, durchbrechen diesen aber, indem sie in ihrer Anordnung ein Verhalten ermöglichen, das sich bestehenden Normen widersetzt oder diese negiert. Sie eröffnen einen Erfahrungsraum, der sich mit konventionellen Wahrnehmungsstrukturen und geläufigen Interpretationsschemata nicht erschließen lässt. Derart lassen diese Räume gedankliche Leerstellen entstehen, die illusionäre Freiräume eröffnen, imaginative Prozesse und folglich (auch) einen Reflexionsprozess über gängige Raumkonstellationen in Gang setzen (können). In ihrer Referenz auf den uns umgebenden Normalraum wird die Vorstellung eines Gegenraums auch oft als Zwischenraum (vgl. Hoff 2003star (*11) und Bhabha 2000star (*1)) gefasst und weiterentwickelt.

Künstlerische Interventionen und kritische kulturelle Initiativen greifen in diesen ‚Normalraum‘ ein, beziehen sich auf diesen, indem sie bewusst das bestehende Raumgefüge und etablierte Raumkonstellationen aufzubrechen und zu überschreiten suchen. Sie stellen temporär diesen Zwischenraum her (vgl. Lang 2014b).star (*14)

star

Bhabha, Homi K. (2000): Die Verortung der Kultur. Tübingen: Stauffenburg.

star

Bourdieu, Pierre (2003): The Field of Cultural Production. New York: Columbia University Press.

star

Bourriaud, Nicolas (2009): Relational Aesthetics. Dijon: Les presses du réel.

star

Busch, Kathrin (2007): Hybride. Der Raum als Aktant. In: Kröncke, Meike/Mey, Kerstin/Spielmann, Yvonne (Hg.): Kultureller Umbau. Räume, Identitäten und Re/Präsentationen. Bielefeld: transcript. S. 13-27.

star

Cassirer, Ernst (1990): Versuch über den Menschen. Einführung in eine Philosophie der Kultur, Frankfurt/Main.

star

De Certeau, Michel (2006): Praktiken im Raum (1980). In: Dünne, Jörg/Günzel, Stefan: Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt/Main: Suhrkamp, S. 343-353.

star

Foucault, Michel (2012): Andere Räume. In: Dünne, Jörg/Günzel, Stephan (Hg.) (2012): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt: Suhrkamp, 7. Aufl., S. 317-329.

star

Fraser, Nancy (1996): Öffentlichkeit neu denken. Ein Beitrag zur Kritik real existierender Demokratie. In: Scheich, Elvira (Hg.): Vermittelte Weiblichkeit. Feministische Wissenschafts- und Gesellschaftstheorien. Hamburg: Hamburger Editionen, S. 151-158.

star

Fuchs, Max (2011): Kunst als kulturelle Praxis. Kunsttheorie und Ästhetik für Kulturpolitik und Bildung. München: kopaed.

star

Hoff, Karin (2003): Die Entdeckung der Zwischenräume. Literarische Projekte der Spätaufklärung zwischen Skandinavien und Deutschland. Göttingen: Wallstein.

star

Klaus, Elisabeth (2012): Cultural Production in Theory and Practice. In: p/art/icipate: Kultur aktiv gestalten. E-Journal des Programmbereichs Contemporary Arts & Cultural Production. Kooperationsschwerpunkt Wissenschaft & Kunst. Online unter: http://www.p-art-icipate. net/cms/cultural-production-in-theory-andpractice/ (21.10.2014)

star

Lang, Siglinde (2014a): Partizipation.Kunst.Kulturelle Produktion. In: Neue Kunstwissenschaftliche Publikationen, Vol. 1. Online unter http://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/nkf/article/view/16758/10661 (4.3.2015)

star

Lang Siglinde (2014b): Zwischen Fakt und Fiktion. Partizipative (Gegen-)Räume als Stätten kollaborativer Wissensproduktion. In: Westphal, Kristin/Stadler-Altmann, Ulrike/Schittler, Susanne/Lohfeld, Wiebke (Hg.): Räume Kultureller Bildung. Nationale und transnationale Perspektiven Räume kultureller Bildung. Weinheim/Basel: Beltz-Verlag.

star

Lang, Siglinde (2015): Partizipatives Kulturmanagement. Interdisziplinäre Verhandlungen zwischen Kunst, Kultur und Öffentlichkeit. Bielefeld: transcript.

star

Lefebvre, Henry (1974): The Production of Space. Oxford/Cambridge.

star

Löw, Martina (2001): Raumsoziologie. Frankfurt a.M., Suhrkamp.

star

Massey, Doreen (2003): Spaces of Politics – Raum und Politik. In: Gebhardt, Hans/Reuber, Paul/Wolkersdorfer, Günter (Hg.): Kulturgeographie. Aktuelle Ansätze und Entwicklungen. Berlin, Messerschmidt, S.31-46.

star

Miessen, Markus (2012): Albtraum Partizipation. Berlin: Merve.

star

Mouffe, Chantal (2002): Für eine agonistische Öffentlichkeit. In: Enwezor, Okwui et al. (Hg.): Demokratie als unvollendeter Prozess. Ostfeldern-Ruit: Hatje-Cantz, S. 104.

star

Mouffe, Chantal (2007): Pluralismus, Dissens und demokratische Staatsbürgerschaft. In: Nonhoff, Martin (Hg.): Diskurs radikale Demokratie – Hegemonie. Zum politischen Denken von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe. Bielefeld: transcript, S. 41-46.

star

Paetzold, Heinz (2008): Ernst Cassirer zur Einführung, Hamburg: Junius.

star

Jacques Rancière (2009): Der emanzipierte Zuschauer. Wien: Passagen Verlag.

star

Royo, Victoria Pérez, Sánchez José A., Blanco Cristina (2012): In-Definitions. Forschung in den performativen Künsten. In: Peters, Sibylle (Hg.): Das Forschen aller: Artistic Research als Wissensproduktion zwischen Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft. Bielefeld: transcript, S. 23-46.

star

Steinrücke, Margaretha (2005): Pierre Bourdieu. Die verborgenen Mechanismen der Macht. Hamburg: VS-Verlag.

star

Warning, Rainer (2009): Heterotopien als Räume ästhetischer Erfahrung. München: Fink.

star

Zobl Elke/Lang, Siglinde (2012): P/ART/ICIPATE– The Matrix of Cultural Production. Künstlerische Interventionen im Spannungsfeld von zeitgenössischer Kunst, partizipativer Kulturproduktion und kulturellen Managementprozessen. Ein Werkstattbericht über ein Forschungsprojekt. In: kommunikation.medien, Ausgabe 1. Online unter http://www. journal.kommunikation-medien.at (12.10.2013)

Nach de Certeau Orte, die durch (künstlerisches) Handeln zu Räumen gemacht werden. (vgl. de Certeau 2006: 345)

Dieses (Gegen-)Raumverständnis folgt Michel Foucaults Konzept einer Heterotopie (vgl.  Foucault 1992). Der Interpretations- und Gedankenstrang wird hier jedoch stärker in Richtung eines Zwischenraums (vgl. Bhabha 1990) bzw. partizipativen Raums, der in bewusster Relation zu dem uns umgebenden ‚Normalraum‘ und zu alltäglichen Lebenswelten steht, entwickelt.

Der Beitrag versteht sich als inhaltlicher Status quo in Referenz zum aktuellen Forschungsprojekt ‚Partizipative Räume und kollaborative Wissensproduktion‘ (2015-2017), das ich gemeinsam mit meiner Kollegin Dr. Sandra Chatterjee am Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst durchführe.

Löw definiert diese sozialen Gütern vor allem als materielle Elemente, die auch symbolische Güter sind: „Angeordnet werden also Güter in ihrer materiellen Eigenschaft, verstanden können diese Anordnungen jedoch nur werden, wenn die symbolischen Eigenschaften der sozialen Güter entziffert werden“. (2001: 153)

Wird Kultur – im Sinne der Cultural Studies – als Teil des Alltags verstanden, findet sie nicht nur in sogenannten Artefakten wie literarischen Texten, musikalischen oder künstlerischen Werken ihren Ausdruck, sondern in alltäglichen Gewohnheiten, Handlungen und Gegenständen.

analog zu sozialen und politischen Identitäten

Der Terminus Cultural Production geht auf Pierre Bourdieu zurück, der in „The Field of Cultural Production“ (Bourdieu 2003) verdeutlicht, inwiefern sogenannte „multiple mediators“ (vielfach beteiligte Vermittlungsinstanzen) an kulturellen Bedeutungszuschreibungen mitwirken und durch ihre Einflussnahme Kultur produzieren (vgl. dazu Lang 2015: 44f.)

Kulturelle Produktion wird hier als ein aktives Mitbestimmen kultureller Bedeutungsprozesse aufgefasst. Dies impliziert, dass das Verhältnis von Kultur und Macht(-erhalt) mittels zivilgesellschaftlicher Mitsprache verschoben und zumindest partiell aufgebrochen wird (vgl. u.a. Zobl/Lang 2012; Klaus 2012; Lang 2014; Lang 2015: 59f.).

In diesem Zusammenhang sei – exemplarisch – auf Max Fuchs und seine umfassende Arbeit zu „Kunst als kulturelle Praxis“ (2011) verwiesen, in der er zahlreiche (auch) potentielle Funktionen und Intentionen von Kunst und (auch) Ästhetik erläutert.

Dieser Distanzbegriff, auf den auch Cassirer seine Überlegungen aufbaut, geht (zwar) auf Theodor Adorno und sein Verständnis eines „Doppelcharakters von Kunst“ zurück, Cassirer sieht aber Kunst, trotz ihr Eigenart, als eine im Verhältnis zu anderen kulturellen Symbolen analoge symbolische Form und kulturelle Praxis (und nicht wie bei Adorno im Widerspruch zu anderen kulturellen Praxen).

In der Kommunikationswissenschaft bezieht sich das Verhältnis von Fakt und Fiktion primär auf Fragestellungen des Infotainments bzw. Unterhaltungsaspekte in medialen Vermittlungsformaten. Diese Debatte ist hier nicht gemeint, vielmehr orientiert sich Warning (2009) an literaturtheoretischen Begriffsbestimmungen: Mit ‚Fiktion‘ ist eine Aussage und Darstellung eines Sachverhalts oder Geschehens ohne überprüfbare Referenz gemeint, und verweist ‑ wie bereits Aristoteles formuliert hat – auf etwas, das geschehen könnte. Durch ihre ‚Kontextfaktoren‘ bezieht sich Fiktion als gedankliches Konstrukt zwar auf das, was unter ‚Wirklichkeit‘ verstanden wird, bleibt dabei aber eine (rein) imaginäre Vorstellung dessen, was auch ‚Wirklichkeit‘ sein könnte (vgl. Lang 2015: 87).

Siglinde Lang ( 2015): Partizipative Räume als Nährboden kultureller Bedeutungsproduktion. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 06 , https://www.p-art-icipate.net/partizipative-raume-als-nahrboden-kultureller-bedeutungsproduktion/