Bestehende Machtverhältnisse kritisch zu hinterfragen und sich dafür einzusetzen, Ausschlüssen, Normen und Benachteiligungen, besonders im Feld von Kultur und Bildung, etwas entgegen zu setzen, sind Anliegen einer kritischen, künstlerischen Kunstvermittlung. Anhand von eigenen Kunstvermittlungsprojekten will ich einen solchen Ansatz veranschaulichen und erörtern.
Grundlage für diese Entgegensetzung ist etwas, das häufig vergessen wird, wenn über Vermittlung gesprochen wird: das Einladen von oder Kooperieren mit Personen, die nicht „von sich aus“ Kunst aufsuchen oder bestimmte kulturelle Ressourcen nutzen. Als die Vermittler_innengruppe Kunstcoop©*1 *(1) sich 1999 gründete, verwendeten wir dafür den Begriff einer „offensiven Einladungspolitik“ (*1) und setzten uns folgendes Ziel: „Durch ihre Initiative möchte die Kunstcoop© einer breiteren Öffentlichkeit Zugänge zur Kunst ermöglichen und die Wahrnehmung von und die Akzeptanz für Gegenwartskunst erweitern. In den Dialog über Kunst werden Personen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen und beruflichen Zusammenhängen einbezogen.“ (*2)
Dieser Anspruch widerspricht dem immer wieder aktualisierten Paradigma der Freiwilligkeit, das von Künstler_innen, aber auch Bildungspolitiker_innen (wie der deutschen Bundesbildungsministerin Johanna Wanka im Juni 2014 auf einer Veranstaltung in Berlin) (*3) gerne ins Feld geführt wird, sodass die Teilnahme an Angeboten der kulturellen Bildung schon vorhandene Überzeugung und bestehendes Interesse voraussetzt. Dies schließt jedoch diejenigen Personen aus, die nicht ausreichend mit kulturellem Kapital ausgestattet sind und somit den Zugang zu Kultur noch nicht „gelernt“ haben.
Dennoch sind nach einem weitverbreiteten Verständnis von kultureller Bildung intrinsische Motivation und selbstgesteuertes Lernen die Bildungsideale.
Kunstvermittlung zur Förderung von Mobilität
Als ich 2008 für das Edith-Ruß-Haus für Medienkunst (ERHfM), ein Ausstellungshaus in Oldenburg/Niedersachsen, die Kunstvermittlung entwarf, formulierte ich das gleiche Anliegen etwas unverfänglicher als Einladungsinitiative. Ich zitiere aus dem Förderantrag: „Die Einladungsinitiative des Edith-Ruß-Hauses will ein breites Publikum gewinnen und zugleich verschiedenen sozialen und kulturellen Ausschlüssen entgegenarbeiten.“ In Oldenburg, wo ich vier Jahre lang arbeiten konnte,*2 *(2) gelang es mir, Personengruppen zu erreichen, die ohne die Vermittlung sehr wahrscheinlich keinen Zugang zur dort ausgestellten Medienkunst bekommen hätten.
Im Rückblick will ich anhand zweier konkreter Projekte zeigen, dass diese Agenda dazu führt, sich mit dem Verhältnis von Zentrum und Peripherie zu beschäftigen und es in Frage zu stellen. Es geht in den beiden Beispielen darum, Wege zu etablieren, die es Menschen, die in der Umgebung einer Stadt leben, ermöglicht haben, sich ins und im Zentrum (der Stadt) zu bewegen. Die Förderung von Mobilität und der Austausch zwischen städtischem und ländlichem Raum wurde zur integralen Aufgabe der Kunstvermittlung. Denn der Ausschluss von Mobilität ist für Gayatri C. Spivak das entscheidende Charakteristikum der Subalternen, von denen (Kunst-)Vermitter_innen im Sinne einer postkolonialen Pädagogik lernen können und deren Mobilität sie fördern sowie deren widerständiger Artikulation sie Raum geben sollten. (Vgl. do Mar Castro Varela/Dhawan 2009) (*4)
Nanna Lüth ( 2015): Social Hacking: Listige Eingriffe in Wissens- und Raumordnungen. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 06 , https://www.p-art-icipate.net/social-hacking-listige-eingriffe-in-wissens-und-raumordnungen/