Social Hacking: Listige Eingriffe in Wissens- und Raumordnungen

Social Hacking: Lernende Institution, veränderte Anordnung

Beide Projekte zielten auf soziales Lernen, insbesondere auf das soziale Lernen der Institution, ab und brachten eine Auseinandersetzung mit Räumen und ihren Ordnungen, in Form der Unterscheidung zwischen städtischen Zentren und ländlicher Peripherie, mit sich. Gleichzeitig stehen die beschriebenen Herangehensweisen exemplarisch für das Austricksen oder Umkodieren von Betriebs- und Herrschaftssystemen mithilfe von Medien und Kunst. Die Vorgehensweise lässt sich auch als Social Hacking, als listiges und unkonventionelles Umgehen mit sozialen und medialen Gefügen, bezeichnen. (Vgl. Lüth 2012)star (*5)

Social Hacking im Kulturbetrieb ist (jedoch) eine knifflige Aufgabe, vor allem, wenn diese Aufwände der Kunstvermittlung nur als Mischkalkulation von Publikumsködern und „Sonder“angeboten*7 *(7) akzeptiert werden. Machbar war die Durchführung inklusiver Projekte in Oldenburg durch eine unabhängige Finanzierung, durch die die Kunstvermittlung auf ihrer Selbstbestimmung bestehen und einer Vereinnahmung als Dienstleistung widersprechen konnte.

Versuche, die unterschiedlichen Räume und Situationen zu erforschen und umzugestalten intendieren, verkomplizieren bei allen Beteiligten tendenziell das Wahrnehmen, Verhalten und Denken. Mit dem zunehmenden Wissen über das komplexe Verwobensein von Umwelt, Selbst und Medien und mit der Erfahrung, dennoch in der Komplexität agieren zu können (Mörsch 2009: 13),star (*6)*8 *(8) wachsen die Potenziale für kritisches Denken und Handeln: „Bei dieser Arbeit wechseln die Positionen von Lehrenden und Lernenden, der Bildungsprozess wird als ein auf Wechselseitigkeit beruhendes, wenn auch durch […] Machtverhältnisse strukturiertes Geschehen verstanden.“ (Ebd.)star (*6) Oder anders gesagt: Lernen geschieht so auf mehreren Seiten.

Von einzelnen jugendlichen Teilnehmer_innen wie den ZAAB-Bewohner_innen wurden beobachteterweise technische Fertigkeiten erworben. Auch die Ideenfindung und Realisierung einer Performance bzw. von Fieldrecording wurden eingeübt; auch ich selbst lernte technisch, methodisch und künstlerisch manches, vor allem allerdings vieles über die Lebensverhältnisse, Interessen und Artikulationsformen der angereisten Teilnehmer_innen. So wurde bei den Soundaufnahmen zu „Pfau und Lappan“ deutlich, dass Gesang für die afghanischen Teilnehmer eine zentrale, kulturelle Praxis in der ZAAB darstellte und unbedingt aufgenommen werden musste, oder dass die Inszenierung makaber-humoristischer Situationen auf dem Land für „Besonders Wohlerzogene Jugendliche“ überaus befreiend wirken kann. Beide Male wuchs mein Wissen ‑ und vielleicht gilt das auch für die Teilnehmenden ‑ insbesondere im Bereich des Symbolischen bzw. „Rede- und Körperwissens“ an, „das [Sigmund] Freud ‚schwer bestimmbar‘ nannte“ (Sturm 2005: o.S.).star (*7)

Auch die Institution lernte. Ein Resultat des Lernprozesse äußerte sich in der Bereitschaft, dem BWJ-Video am Museumstag einen Platz einzuräumen, und bei verschiedenen Gelegenheiten, zu denen die Refugees im Anschluss an „Pfau und Lappan“ als willkommene Gäste eingeladen oder empfangen wurden. Es handelt sich dabei allerdings um relativ kleine Lernschritte, wenn der Anspruch im Sinne „transformativer Kunstvermittlung“ ist, „die Funktionen der Ausstellungsinstitution zu erweitern und sie politisch, als Akteurin gesellschaftlicher Mitgestaltung, zu verzeichnen“ (Mörsch 2009: 10).star (*6)

Um von lernenden Institutionen sprechen zu können, ist es vorteilhaft, sie mit Denkvermögen ausgestattet zu entwerfen. (Vgl. star (*6), mit Verweis auf die Aufsatzsammlung der Ethnologin Mary Douglas)star (*8) Auch die Denkweise von Kunstinstitutionen beruht auf der Autorität, festzulegen, wer ein- und wer ausgeschlossen wird, wer als Publikum oder als Gegenüber wichtig ist und in wessen Interesse ein Ausstellungshaus handeln will. Insofern Akteur_innen der Kunstvermittlung in der Lage sind, in diesem Rahmen zu handeln bzw. Gehör zu finden, sind sie also in der Lage, mit stichhaltigen Argumenten und entsprechenden Initiativen ausschließende.

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Nanna Lüth (2003): queens of kunstvermittlung, in: NGBK 2003, S. 64.

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O.V. (o.J.): „Wir über uns“: www.kunstcoop.de. Online unter: http://www.kunstcoop.de/

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Dialogforum IV Kultur (2014): Wohin geht die Reise? Kulturelle Bildung des Bundes am 10. Juni 2014, Podewil, Berlin. http://www.kultur-bildet.de/termin/dialogforum-iv-berlin

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do Mar Castro Varela, Maria/Dhawan, Nikita (2009): Breaking the Rules. Bildung und Postkolonialismus. In: Mörsch, Carmen und das Forschungsteam der documenta 12 Vermittlung (Hg.): Kunstvermittlung 2. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Berlin. S.339-353, hier S. 347 und 352.

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Lüth, Nanna (2012): Butter bei die Fische! Kritische künstlerische Kunstvermittlung als Social Hack. In: Buschkühle u.a. (Hg.), Künstlerische Kunstpädagogik. Gießen. S. 337-349.

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Mörsch, Carmen (2009): Am Kreuzungspunkt von vier Diskursen. Die documenta 12 Vermittlung zwischen Affirmation, Reproduktion, Dekonstruktion und Transformation. In: Mörsch, Carmen und das Forschungsteam der documenta 12 Vermittlung (Hg.): KUNST- VERMITTLUNG 2. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Ergebnisse eines Forschungsprojekts. Zürich. S. 9-33.

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Sturm, Eva (2005): Vom Schnüffeln, vom Schießen und von der Vermittlung. Sprechen über zeitgenössische Kunst, Vortrag am O.K-Centrum für Gegenwartskunst, 6.6.2005. Online unter: http://www.artmediation.org/sturm.html

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Douglas, Mary (1986/1991): How Institutions Think: Enttäuschte Erwartungen, bestätigte Befürchtungen: Kunstcoop© in der „Ordnung der Diskurse“, in: NGBK 2003, S: 76-91, besonders S. 82.

Die Mitglieder von Kunstcoop©: Ana Bilankov, Susanne Bosch, Beate Jorek, Maria Linares (bis 2002), Nanna Lüth, Bill Masuch, Carmen Mörsch und Ulrike Stutz. Vgl. NGBK (Hg.), Kunstcoop© – Künstlerinnen machen Kunstvermittlung, Berlin 2003.

Die Vermittlung musste jährlich neu beantragt werden und war im Zuge der Förderung berichtpflichtig: Besucher_innenzahlen mussten dargestellt werden.

Wir hatten uns bemüht, auch Frauen zu erreichen, leider ohne Erfolg.

Bevor es zur Aufnahmebehörde für Asylbewerber_innen wurde, war das Kloster bis in die 1980er Jahre als psychiatrische Anstalt genutzt worden. Vgl. http://www.radiobremen.de/fernsehen/buten_un_binnen/video61620-popup.html

Damit meine ich anspruchsvollere Projekte, die besonders versuchen, auf einzelne Gruppen einzugehen und sich beispielsweise weniger um Publikumszahlen kümmern.

Das ist das typische Merkmal dekonstruktiver Kunstvermittlung, die Carmen Mörsch als „relativ geschützten Bereich des Probehandelns unter komplexen Bedingungen“ bezeichnet hat.

Nanna Lüth ( 2015): Social Hacking: Listige Eingriffe in Wissens- und Raumordnungen. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 06 , https://www.p-art-icipate.net/social-hacking-listige-eingriffe-in-wissens-und-raumordnungen/