Projekt 1: Pfau und Lappan
„Pfau und Lappan“ war ein Field-Recording-Projekt, das der Künstler und Komponist hans w. koch im Rahmen der Kunstvermittlung des ERHfM zwischen April bis Juni 2011 mit Bewohnern*3 *(3) der Zentralen Aufnahme- und Ausländerbehörde Niedersachsen (ZAAB) realisierte.
hans w. koch*4 *(4) hatte sich entschieden, mit einer Gruppe von Flüchtlingen, die in den Unterkünften der ZAAB auf einem ehemaligen Klostergelände Blankenburg am östlichen Stadtrand untergebracht waren, Tonaufnahmen zu machen. Ziel war es, die Orte und Situationen, die sie im Alltag erlebten, mit dem Hörsinn zu erforschen und typische Geräusche festzuhalten. In einem Radiobeitrag über das im 13. Jahrhundert gegründete Kloster wird die Ansiedlung in der Peripherie zusammengefasst: „Es war schon immer ein Ort, an den Menschen aus Bremen und Oldenburg abgeschoben wurden, Menschen, die man in den Städten nicht haben wollte.“*5 *(5) Eine erste Hürde, die das Projekt nehmen musste, war, interessierte Teilnehmer_innen zu finden und für die Idee zu gewinnen.
Für diese Kontaktaufnahme war ich als Kunstvermittlerin des ERHfM zuständig. Glücklicherweise hatte ich auf einer Veranstaltung Lothar Zielasko kennen gelernt, der als Sozialpädagoge und Kulturbeauftragter in Blankenburg arbeitete. Die Einrichtung dieser außergewöhnlichen Stelle war einem Streik der Bewohner_innen zu verdanken, die 2006 gegen unwürdige Lebensbedingungen protestiert hatten. Dank seiner Vermittlung konnte ich ein Treffen mit einigen Bewohnern vor Ort vereinbaren.
Die sogenannte Erstaufnahmestelle befand sich in einer schwierigen Situation: Das Innenministerium hatte, vor allem aus Kostengründen, im Februar 2010 die Schließung und Räumung der ZAAB, in der zu dem Zeitpunkt ca. 570 Asylbewerber_innen lebten, bis zum 30. Juni 2011 beschlossen. Die Stadt Oldenburg war aufgrund des überregionalen Verteilungsschlüssels verpflichtet, ab 1. Juli die Unterbringung für etwa 450 Asylsuchende zu gewährleisten. Von den bisher in Blankenburg lebenden hatten Anfang Mai nur 89 Personen eine dezentrale Unterkunft gefunden, weniger allerdings mit der Unterstützung der Stadt als vielmehr durch private Initiativen (so verlautbarte der Flüchtlingsrat). Unser Projekt fand also genau unter diesen Bedingungen des Umbruchs statt.
Ich fuhr mit dem Bus aufs Land und musste mich am Eingang ausweisen und warten, bis ich abgeholt wurde. Die Gebäude, in denen die Flüchtlinge untergebracht waren, waren baufällig, die Räume klein. Ein Flüchtling nahm an dem Treffen teil. Er erklärte sich bereit, Bekannte und Freunde in Blankenburg zu informieren. hans w koch reiste eine Woche später an, mit Bahn und Bus, es kam zu Verzögerungen. Wir stellten fest, dass die Busse nur bis zum frühen Abend fuhren, am Wochenende gab es eine Verbindung alle zwei Stunden. Die Buslinie war für Bewohner_innen, die kein Fahrrad hatten, die einzige Verbindung in die sieben Kilometer entfernte Stadt.
Während wir gemeinsam Kaffee tranken, erklärte hans w. koch vier Flüchtlingen aus Afghanistan und Elfenbeinküste das Konzept und zeigte ihnen die Aufnahmegeräte. Zwei Audiogeräte wurden für zwei Wochen verliehen, um tatsächlich den Alltag in Blankenburg aufnehmen zu können. Dank des Angebots von Herrn Zielasko, den Fahrdienst zu übernehmen, konnten auch im Stadtzentrum Aufnahmen gemacht werden, so zum Beispiel am Lappan, einer großen Kreuzung, die den Dreh- und Angelpunkt der Buslinien bildet.
Nanna Lüth ( 2015): Social Hacking: Listige Eingriffe in Wissens- und Raumordnungen. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 06 , https://www.p-art-icipate.net/social-hacking-listige-eingriffe-in-wissens-und-raumordnungen/