Die ‚Night School‘ bei den Wiener Festwochen 2017

Raum für Verhandlung und Produktion dekolonialisierten Wissens und Denkens in ‚weißen‘ Kontexten

Zwischen März und Juni 2017 fand in Wien im Rahmen der Akademie des Verlernens der Wiener Festwochen ein ungewöhnliches Projekt statt. Marissa Lôbo und Catrin Seefranz initiierten die Night School 2017 und beschreiben ihr Vorhaben folgendermaßen:

„Die Night School ist eine experimentelle Abendschule, in der von minoritären und marginalisierten, rebellischen und verletzlichen Positionen aus gedacht, gelehrt und gelernt wird.“ (Lôbo/Seefranz 2017)star (*7)

Dieser Text basiert auf der Teilnahme der Autorin an dem experimentellen Format der Night School im Frühjahr 2017 und soll zum einen Einblicke in Vorträge und Diskussionen geben, zum anderen aber auch persönliche Eindrücke anekdotenhaft vermitteln.

Wöchentlich kamen Personen aus unterschiedlichsten Kontexten (Interessierte, KünstlerInnen, Studierende, AktivistInnen) in den klassischen, europäisch-barocken Räumlichkeiten des Wiener Volkskundemuseums zusammen, um gemeinsam zu versuchen, Aspekte jenes Wissens zu verlernen, das wir – sowohl als TeilnehmerInnen der Night School als auch als Mitglieder einer gemeinsamen Gesellschaft – auf intransparent gewaltvolle Art und Weise ‚gelehrt‘ wurden. Dies können Gewissheiten, Übereinkünfte, Machtverhältnisse, Glaubenssätze oder Privilegien sein (vgl. Lôbo/Seefranz 2017).star (*7)

Wessen Wissen gilt als ‚Wissen‘? Wessen Kunst gilt als ‚Kunst‘? Wessen Wissen und Kunst wird von etablierten Institutionen als Selbstverständlichkeit bzw. ‚Normalität‘ erachtet? Wer hat in diesen Institutionen Entscheidungsmacht oder Deutungshoheit? Wer profitiert von diesen Entscheidungen und Deutungen? Wie haben sich diese Strukturen etabliert? Welche Werkzeuge und Strategien braucht es, um an ihnen zu rütteln? Dies waren fundamentale Fragen, die aufgeworfen und diskutiert wurden.

„Diese kleine Schule öffnet jede Woche ihre Türen, um sich in hegemoniale Wissensregime einzumischen. Auf dem Lehrplan stehen Formen, Körper, Methoden, Standpunkte, Geographien und Fantasien, die zu dem beitragen können, was man Dekolonisierung von Wissen und Lernen, vielleicht auch Popular Education und hoffentlich Pedagogies of Possibility nennen kann. Also Bildung, die gegen das Mantra der Alternativlosigkeit auf dem Möglichen besteht.“ (Lôbo/Seefranz 2017)star (*7)

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Arndt, Susan/Maureen Maisha Eggers/Grada Kilomba/Piesche,Peggy (Hg.) (2009): Mythen, Masken, Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. Münster: unrast.

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Castro Varela, María do Mar (2007): Verlernen und die Strategie des unsichtbaren Ausbesserns. Bildung und Postkoloniale Kritik. In: Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst, o. Jg., H. 3,  S. 4-7

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DiAngelo, Robin (2015): White Fragility: Why It’s So Hard to Talk to White People About Racism. Online unter https://goodmenproject.com/featured-content/white-fragility-why-its-so-hard-to-talk-to-white-people-about-racism-twlm/ (30.07.2017)

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El-Tayeb, Fatima (2016): Undeutsch: Die Konstruktion des Anderen in der postmigrantischen Gesellschaft. Bielefeld: transcript.

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Kilomba, Grada (2008): Plantation Memories. Episodes of Everyday Racism. Münster: unrast.

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Kuria, Emily Ngubia (2015): Eingeschrieben. Zeichen setzen gegen Rassismus an deutschen Hochschulen. Berlin: w_orten & Meer.

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Lôbo, Marissa/Seefranz, Catrin (2017): Idee. Online unter http://www.nightschool.at/de/concept/ (02.08.2017)

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Lôbo, Marissa/Catrin Seefranz (2017a): Lehrplan. Online unter http://www.nightschool.at/de/lehrplan/ (02.08.2017)

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Mattiuzzi, Michelle (2013): Vasli Souza Interview Michelle Mattiuzzi (Brazilian Performer). Online unter https://www.youtube.com/watch?v=-IYnXBt8ZaE(18.08.2017)

 

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Ogette, Tupoka (2017): Exit Racism. Rassismuskritisch Denken lernen. Münster: unrast.

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Spivak, Gayatri Chakravorty (2015): Crimes of Identity. In: Duschinsky, Robbie/Walker, Susan (2015) (Hg.): Juliet Mitchell and the Lateral Axis. Twenty-First-Century Psychoanalysis and Feminism. New York: Palgrave Macmillan. S. 206-227.

Emily Ngubia Kuria (2015: 22) beschreibt nach Eggers, Kilomba, Piesche & Arndt (2005: 13), dass weiß, klein und kursiv geschrieben, nicht eine Identität beschreibt. Vielmehr ist es ein von Schwarzen TheoretikerInnen entwickelter analytischer Begriff, „um die Architektur weißer Dominanz- und Machtverhältnisse sowie die damit verknüpfte Ausübung rassistischer Systeme und Praktiken zu beschreiben.“ (ebd.)

„Schwarz“ mit einem großen S. geschrieben, so Kuria (2015: 12), ist eine Selbstbezeichnung von Schwarzen Menschen. Sie soll als Akt des Widerstands die von rassistischen Terminologien behaftete Identität von Schwarzen Personen zurückfordern.

Dilara Akarçeşme ( 2017): Die ‚Night School‘ bei den Wiener Festwochen 2017. Raum für Verhandlung und Produktion dekolonialisierten Wissens und Denkens in ‚weißen‘ Kontexten. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 08 , https://www.p-art-icipate.net/die-night-school-bei-den-wiener-festwochen-2017/