Die ‚Night School‘ bei den Wiener Festwochen 2017

Raum für Verhandlung und Produktion dekolonialisierten Wissens und Denkens in ‚weißen‘ Kontexten

Wir stehen im imperial barocken Garten des Wiener Volkskundemuseums rund um eine große schwarze Plane, auf der sich ein Kübel weißer Wandfarbe, ein Drehstuhl und ein Paar Stöckelschuhe befinden. Neben diesen Objekten steht eine Frau. Sie steht still. Sie demonstriert einen Schwarzen nackten Körper. Eine Maske verdeckt ihren Mund. Langsam, Schritt für Schritt, mit erhobenen Händen umrundet sie die Plane. Sie wiederholt dies. Sie nähert sich der Mitte. Sie taucht ihre Hände in die weiße Farbe ein. Erhebt die Hände. Zeigt ihre weißen Hände, indem sie wieder, mit schwerem Schritt, eine Runde dreht. Nach und nach, eindrücklich, färbt sie einen Körperteil nach dem anderen weiß.

Allmählich ist sie am ganzen Körper weiß. Sie zieht die hochhackigen Schuhe an. Vorsichtig steigt sie auf den wackeligen Drehstuhl, der knackst. Ein Gefühl der Sorge macht sich unter den TeilnehmerInnen breit.

Auf dem Drehstuhl mit hohen Schuhen stehend, dreht sie ihn. Danach kniet sie sich auf den instabil wirkenden Stuhl. Sie greift zu ihrer Vulva, und zieht eine lange Perlenkette aus ihrem Körper. Diese wirft sie auf den Boden. Hinter ihr befindet sich ein kleines Waschbecken an der Wand. Sie steigt vom Drehstuhl ab, geht zum Waschbecken und wäscht den Großteil von der weißen Farbe ab. Jetzt hat es leicht zu regnen begonnen. Es ist still. Nur der Wind, der leichte Regen und das Geräusch des Wassers sind zu hören.

Gegenüber des Waschbeckens steht ein großer Baum, an dem ein weißes Kleid hängt. Die Künstlerin geht auf dieses Kleid zu und zieht es an. Sie steht einige Zeit ruhig vor uns.

Langsam nimmt sie die Maske ab, die bisher ihren Mund bedeckt hatte. Wir sehen, dass ihre Lippen mit langen Nadeln zusammengesteckt sind. Sie zieht eine Nadel heraus. Blut ist zu sehen. Es tropft auf ihr weißes Kleid. Sie wiederholt diesen Vorgang einige Male, bis alle Nadeln entfernt sind. Das Kleid ist mittlerweile mit Blut getränkt, erneut herabfallende Blutstropfen perlen teilweise ab.

Sie verlässt uns.

Nach der Performance mit dem Titel Merci Beaucoup, Blanco! erklärt sie, dass sie damit den täglichen Schmerz ausdrücken will, den sie aufgrund der Zuschreibungen an ihren markierten Körper verspürt. „I play with the narratives of white people and the question of colonial desires“, so Mattiuzzi. Innerhalb der weißen Kunstszene wiederum ist sie inkludiert, weil sie exkludiert ist: „My body is a black body in the world of white people.“

Im Interview mit der Vasli Souza Gallery in Malmö erklärt Mattiuzzi, dass diese Performance ein work-in-progress ist und dass sie bei jeder Präsentation dieser Arbeit etwas ändert (Mattiuzzi 2013).star (*9) „Being Black itself makes you either an exotic or a marginalized body“, erklärt sie (ebd.).star (*9) Da Nacktheit immer noch ein Problem für die Gesellschaft sei und Menschen diese fürchten, wolle sie mit ihrem nackten Körper ein Schamgefühl im Publikum produzieren bzw. provozieren.

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Arndt, Susan/Maureen Maisha Eggers/Grada Kilomba/Piesche,Peggy (Hg.) (2009): Mythen, Masken, Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. Münster: unrast.

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Castro Varela, María do Mar (2007): Verlernen und die Strategie des unsichtbaren Ausbesserns. Bildung und Postkoloniale Kritik. In: Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst, o. Jg., H. 3,  S. 4-7

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DiAngelo, Robin (2015): White Fragility: Why It’s So Hard to Talk to White People About Racism. Online unter https://goodmenproject.com/featured-content/white-fragility-why-its-so-hard-to-talk-to-white-people-about-racism-twlm/ (30.07.2017)

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El-Tayeb, Fatima (2016): Undeutsch: Die Konstruktion des Anderen in der postmigrantischen Gesellschaft. Bielefeld: transcript.

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Kilomba, Grada (2008): Plantation Memories. Episodes of Everyday Racism. Münster: unrast.

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Kuria, Emily Ngubia (2015): Eingeschrieben. Zeichen setzen gegen Rassismus an deutschen Hochschulen. Berlin: w_orten & Meer.

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Lôbo, Marissa/Seefranz, Catrin (2017): Idee. Online unter http://www.nightschool.at/de/concept/ (02.08.2017)

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Lôbo, Marissa/Catrin Seefranz (2017a): Lehrplan. Online unter http://www.nightschool.at/de/lehrplan/ (02.08.2017)

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Mattiuzzi, Michelle (2013): Vasli Souza Interview Michelle Mattiuzzi (Brazilian Performer). Online unter https://www.youtube.com/watch?v=-IYnXBt8ZaE(18.08.2017)

 

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Ogette, Tupoka (2017): Exit Racism. Rassismuskritisch Denken lernen. Münster: unrast.

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Spivak, Gayatri Chakravorty (2015): Crimes of Identity. In: Duschinsky, Robbie/Walker, Susan (2015) (Hg.): Juliet Mitchell and the Lateral Axis. Twenty-First-Century Psychoanalysis and Feminism. New York: Palgrave Macmillan. S. 206-227.

Emily Ngubia Kuria (2015: 22) beschreibt nach Eggers, Kilomba, Piesche & Arndt (2005: 13), dass weiß, klein und kursiv geschrieben, nicht eine Identität beschreibt. Vielmehr ist es ein von Schwarzen TheoretikerInnen entwickelter analytischer Begriff, „um die Architektur weißer Dominanz- und Machtverhältnisse sowie die damit verknüpfte Ausübung rassistischer Systeme und Praktiken zu beschreiben.“ (ebd.)

„Schwarz“ mit einem großen S. geschrieben, so Kuria (2015: 12), ist eine Selbstbezeichnung von Schwarzen Menschen. Sie soll als Akt des Widerstands die von rassistischen Terminologien behaftete Identität von Schwarzen Personen zurückfordern.

Dilara Akarçeşme ( 2017): Die ‚Night School‘ bei den Wiener Festwochen 2017. Raum für Verhandlung und Produktion dekolonialisierten Wissens und Denkens in ‚weißen‘ Kontexten. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 08 , https://www.p-art-icipate.net/die-night-school-bei-den-wiener-festwochen-2017/