Die ‚Night School‘ bei den Wiener Festwochen 2017
Raum für Verhandlung und Produktion dekolonialisierten Wissens und Denkens in ‚weißen‘ Kontexten
Und tatsächlich war die Night School auch ein Raum für Konflikte. Eine weiße*1 *(1) Studentin forderte beispielsweise in der zweiten Sitzung nach einer Diskussion über Alltagsrassismus und -diskriminierung eine Moderation, da sie das Gefühl hatte, im Gegensatz zu einer Schwarzen*2 *(2) Künstlerin und Aktivistin nicht genug Raum zu bekommen. Diese Forderung nach Kontrolle des Sprechraums verweist genau auf jene Machtmechanismen, die im Rahmen der Night School dekonstruiert werden sollen. Daher bezeichnete die Künstlerin, die durch Moderation in ihre Schranken verwiesen werden sollte, diese Situation als Gewalt, die sie an ihrem Körper spürt, wie verschiedene Formen der täglichen Gewalt an Schwarzen Individuen. Die Person, die die Moderation gefordert hatte, war entrüstet.
Weiße Personen, oder BewohnerInnen von „Happyland“, wie Tupoka Ogette (2017: 21) (*10) den Zustand weißer Personen bezeichnet, die sich noch nicht aktiv und bewusst mit Rassismus beschäftigt haben, reagieren besonders entrüstet, wenn sie des Rassismus bezichtigt werden. Ogette (ebd.) (*10) erläutert, dass in „Happyland“ Rassismus das Vergehen der Anderen und etwas ‚Grundschlechtes‘ ist, verübt durch NPD, AfD, Hitler oder den Ku-Klux-Klan. Daher könne des Rassismus nur bezichtigt werden, wer vollen Bewusstseins und vorsätzlich beschließe, eine rassistische Handlung auszuüben. Und unabhängig davon, ob die Handlung vorsätzlich sei oder nicht, trage die verursachende Person keinerlei Verantwortung für die Wirkung einer Handlung, da die Wirkung dementsprechend nur im Auge des Betrachters liege (ebd). (*10) Aus diesem Grund reagieren HappyländerInnen auf die geringste Andeutung, dass etwas an ihrem Verhalten rassistisch sein könnte, wütend und defensiv. „Denn einen Rassismusvorwurf zu erhalten“, so Ogette (2017: 22) (*10) „ist immer schlimmer und emotional schwerwiegender, als das, was die fragliche Situation oder der fragliche Spruch ausgelöst hat. Deshalb macht man sich in Happyland auch vielmehr Sorgen darüber, rassistisch genannt zu werden, als sich tatsächlich mit Rassismus und dessen Wirkungsweisen zu beschäftigen.“ (ebd.) (*10) Den Mechanismus, auf einen Rassismusvorwurf empört zu reagieren und die Person zu bestrafen, die Rassismus benannt hat, um sie einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen, nennt die kritische Weißseinsforscherin Robin DiAngelo „white fragility“ (DiAngelo 2015). (*3)
Allgemein stellen Lôbo und Seefranz allerdings eines klar:
„Der Plan der Night School, ganz auf minoritäre und marginalisierte Standpunkte zu setzen, bedeutet nicht, diese zu idealisieren. Es heißt genauso wenig unterdrücktes Wissen zu romantisieren und herrschendes zu ignorieren. Jedes Wissen muss genau kritisch überprüft und weiterentwickelt werden.“
Dilara Akarçeşme ( 2017): Die ‚Night School‘ bei den Wiener Festwochen 2017. Raum für Verhandlung und Produktion dekolonialisierten Wissens und Denkens in ‚weißen‘ Kontexten. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 08 , https://www.p-art-icipate.net/die-night-school-bei-den-wiener-festwochen-2017/