Fatima El-Tayeb (2016: 20f.) (*4) liefert zu diesem Thema ein Beispiel. In ihrem Buch Undeutsch. Die Konstruktion des Anderen in der postmigrantischen Gesellschaft berichtet sie von einer Diskussionsveranstaltung zur Geschichte des Rassenbegriffs in Deutschland, zu der sie als Diskutantin eingeladen war. Als sie allerdings die Liste der eingeladenen WissenschafterInnen sah, ließ ihr Enthusiasmus schlagartig nach: Es waren fast nur weiße, männliche Personen.
Sie schrieb den VeranstalterInnen eine Mail, in der sie sich für die Einladung bedankte, doch darauf hinwies,
- dass eine produktive Veranstaltung zu Rasse und Rassismus „mit einer nahezu ausschließlich weißen Besetzung nicht stattfinden kann“,
- dass es ihr „weniger darum geht, wer vertreten ist, als wer nicht vertreten ist, nämlich die zahlreichen ForscherInnen und AktivistInnen aus rassifizierten Gruppen, die wichtige Arbeiten zu diesem Thema leisten“,
- dass ein „farbenblinder“ Ansatz, der „die durch rassistische Strukturen produzierten Ausschlüsse und Hierarchien ignoriert, methodisch, pädagogisch und politisch dazu verdammt ist, sie zu reproduzieren“,
- dass „Intersektionalität ein theoretisches Konzept ist, das nicht zufällig von Schwarzen feministischen Autorinnen entwickelt wurde, um genau die weißen Flecken zu untersuchen, die entstehen, wenn Theorie entpositionalisiert wird und eine Universalisierung der dominanten Position stattfindet, d.h. meist die Verallgemeinerung weißer, männlicher Erfahrung“,
- dass eine produktive Debatte mehr als die dominante Position und Gruppe repräsentieren muss, was eine kritische Masse an „Anderen“ voraussetzt
und - dass Letzteres umso notwendiger ist, „da der Ausschluss von rassifizierten WissenschafterInnen aus der Debatte um Rasse, Rassismus, Kolonialismus etc. alles andere als ein Einzelfall ist und deswegen als systemisch und systematisch begriffen und adressiert werden muss.“ (Fatima El-Tayeb (2016: 21)
(*4)
Die kurze Antwort war, dass es bei der Konferenz um die wissenschaftliche, nicht die politische Aufarbeitung des Rasse-Begriffs gehe, und dass man sonst natürlich InteressensvertreterInnen betroffener Gruppen eingeladen hätte. Diese Aussage suggeriert einerseits, dass rassifizierte Personen keine Analyse liefern können, sondern lediglich ‚Betroffenheit‘, und andererseits, dass weiße, heteronormative Wissenschaft nicht politisch oder subjektiv sei (El-Tayeb 2016: 22). (*4)
Grada Kilomba beschreibt diesen Zusammenhang folgendermaßen:
„Wenn sie sprechen, ist es wissenschaftlich. Wenn wir sprechen, ist es unwissenschaftlich.
Wenn sie sprechen, ist es universell. Wenn wir sprechen, ist es spezifisch.
Wenn sie sprechen, ist es neutral. Wenn wir sprechen, ist es persönlich.
Wenn sie sprechen, ist es rational. Wenn wir sprechen, ist es emotional.
Wenn sie sprechen, ist es unparteiisch. Wenn wir sprechen, ist es parteiisch.
Sie haben Fakten. Wir haben Meinungen.
Sie haben Wissen. Wir haben Erfahrungen.“ (Kilomba 2008: 26) (*5)
Kilomba (ebd.) (*5) fügt hinzu, dass dies nicht einfache semantische Kategorisierungen sind, sondern eine Dimension von Macht besitzen, die Hierarchien intakt hält und weißer Vorherrschaft („white supremacy“) zuarbeitet. Zusammenfassend schreibt El-Tayeb (2016: 23), dass die Arbeit rassifizierter WissenschafterInnen als Rohmaterial behandelt wird, das durch weiße WissenschafterInnen in eine akzeptable Form gebracht werden muss.
Mit der Frage, wer ein legitimes Subjekt der Wissensproduktion ist, stellt sich auch die weitere Frage, welche Subjekte überhaupt hergestellt werden. Dhawan erläuterte Edward Saids Beschreibung der Dynamik zwischen Macht und Wissen, die an Michel Foucault angelehnt ist. Demnach brauchen wir eine bestimmte Macht, um Wissen zu produzieren, was uns wiederum Macht gibt. Diese Wechselwirkung stellt Herrschaft her und sichert sie zugleich ab (Lôbo /Seefranz 2017). (*7)