Are 100 Words Enough to Represent Artistic Research?

Ein Selbstinterview

Spielt der Begriff des Experiments eine Rolle für euch?

Nein, und das ist auch gut so, obwohl mich der Experimentbegriff lange beschäftigt hat. Baz zum Beispiel beschreibt seine Praxis auf der Webseite des Earthrise Repair Shops als „experiment in performance conservation and regeneration founded on ecological principles“ (Kershaw o.J.: o.S.).star (*14) Baz’ Verwendung des Begriffs ,Experiment‘ erscheint mir im Kontext künstlerischer Forschung, aber auch der Relationen von Ökologie und Performance in einem buchstäblichen Sinne spannend, insofern die Geschichte der Experimentalsysteme seit der Frühen Neuzeit sich gerade als eine Geschichte der Dominanz des Menschen über die Natur darstellt. Dass die Künste dennoch den Begriff Experiment für sich in Anspruch nehmen, hat nicht zuletzt mit der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts, insbesondere mit den historischen Avantgardebewegungen, zu tun, die ihre Praktiken im Zwischen von Kunst und Wissenschaft verorteten und – man denke nur an die Manifeste der Futuristen – der Fortschrittsorientierung moderner Naturwissenschaften in nichts nachstanden. Auch mein Interesse am Begriff des Experiments speiste sich aus der Beschäftigung mit den historischen Avantgarden und ihren Bezügen zu frühneuzeitlichen Experimentalkulturen. Als Topoi sind jedoch beide – sowohl der Begriff des Experiments als auch der des Experimentellen – zu unscharfen Grauzonen geworden, in deren Nebel kaum noch etwas trennscharf wahrnehmbar wird, und doch scheint ein gewisser Konsens über ihre Verwendung zu herrschen, sodass jedeR irgendwie weiß, was damit gemeint sein soll. So schreibt Dieter Mersch an einer Stelle, dass die Tatsache, „[d]ass die Kunst und die Künste experimentell verfahren, ein Gemeinplatz“ sei (Mersch o.J.: 1).star (*10) An diesem Punkt befinden wir uns (noch), in lack of a better word.

Was steht dabei auf dem Spiel?

Die Publikationen zu künstlerischer Forschung zeigen, dass die Untersuchung künstlerischer Forschung in den bildenden Künsten deutlich weiter ist als in den darstellenden Künsten, zumindest in Deutschland. Hier gibt es einfach auch noch zu wenige Institutionen, die sich dem öffnen, wie etwa die Hafencity University mit dem künstlerisch-wissenschaftlichen Doktorandenkolleg Versammlung & Teilhabe, das aus der Kooperation zwischen HafenCity University, K3 und Fundus Theater hervorging und von 2012 bis 2014 lief. Dessen Arbeit wird seit 2015 mit dem Kolleg Performing Citizenship weitergeführt, für das die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg als neuer Kooperationspartner hinzugekommen ist. Für mich käme es darauf an, diesen Diskurs zu stärken und weiterzuführen. Es geht für mich nicht um die Frage, wer das größte Stück vom Kuchen der Forschung bekommt, sondern um die Anerkennung des Gewinns, den wir daraus ziehen, wenn wir den Kuchen gleichmäßig aufteilen.

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Bippus, Elke (2005): Landschaft – Karte – Feld. Modelle der Wissensbildung zwischen künstlerischer und wissenschaftlicher Praxis. Bremen: thealit.

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Bippus, Elke (2009): Einleitung. In: Dies. (Hg.): Kunst des Forschens. Praxis eines ästhetischen Denkens. Zürich u. Berlin: diaphanes, S. 7-23.

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Cvejic, Bojana (2015): Choreographing Problems. Expressive Concepts in European Contemporary Dance and Performance. Basingstoke: Palgrave MacMillan.

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O.V. (o.J.): Der Digitale Grimm. Das Deutsche Wörterbuch, Bd. 17, Sp. 235-243. Online unter: woerterbuchnetz.de/DWB/?sigle=DWB&mode=Vernetzung&lemid=GS37828#XGS37828.

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Goehr, Lydia (2006): Explosive Experimente und die Fragilität des Experimentellen. Adorno, Bacon und Cage. In: Schramm, Helmar et al. (Hg.): Spektakuläre Experimente. Praktiken der Evidenzproduktion im 17. Jahrhundert. Berlin u. New York: Walter de Gruyter, 477-506.

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Haraway, Donna (1988): Situated Knowledges: The Science Question in Feminism and the Privilege of Partial Perspective. In: Feminist Studies 14.3, S. 575-599.

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Latour, Bruno (1998): From the World of Science to the World of Research? In: Science 280 (1998), S. 208-209.

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Krämer, Sybille (2007): Was also ist eine Spur? Und worin besteht ihre epistemologische Rolle. Eine Bestandsaufnahme. In: Dies./Kogge, Werner/Grube, Gernot (Hg.): Spur. Spurenlesen als Orientierungstechnik und Wissenskunst. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 11-33.

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Manning, Erin (2016): The Minor Gesture. Durham u. London: Duke University Press 2016.

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Mersch, Dieter (o.J.): Was heißt, im Ästhetischen forschen? Online unter: http://www.dietermersch.de/Texte/PDFs/ (9. Mai 2017).

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Mersch, Dieter (2009): Kunst als epistemische Praxis. In: Bippus, Elke (Hg.): Kunst des Forschens. Praxis eines ästhetischen Denkens. Zürich u. Berlin, S. 27-47.

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Mersch, Dieter (2015): Epistemologien des Ästhetischen. Zürich u. Berlin: diaphanes.

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Schulze, Janine (Hg.) (2010): Are 100 Objects Enough to represent the Dance? Zur Archivierbarkeit von Tanz. München: e-prodium Verlag.

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Kershaw, Baz (o.J.): Earthrise Repair Shop. Online unter: http://performancefootprint.co.uk/projects/earthrise-repair-shop/

Daniela Hahn ( 2017): Are 100 Words Enough to Represent Artistic Research?. Ein Selbstinterview. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 08 , https://www.p-art-icipate.net/are-100-words-enough-to-represent-artistic-research/