Deplatziertheit
Maximiliane Buchner
Die Ursprünge des im Kontext der Kunstvermittlung nicht etablierten Begriffs der Deplatziertheit liegen 1. im technisch-nautischen Bereich bzw. schildern 2. einen dem Ursprung einer Sache/eines Menschen fremden örtlichen Zustand. Im Bereich des Schiffbaus wird der Terminus Deplatziertheit (deplacement) ursprünglich als fixe Größe angewandt und bezeichnet die Wasserverdrängung, die ein Schiff durch seine Masse im Wasser hervorruft. Unter dem Begriff „displaced persons“ wurden hingegen Ende des Zweiten Weltkrieges jene Personen zusammengefasst, die sich durch die Auswirkungen des Krieges bedingt an einem Ort außerhalb ihrer Heimat aufhielten. Als Adjektiv verwendet ist „deplatziert“ laut Duden als „dem Ort oder der Situation nicht angemessen“ zu verstehen; sinnverwandt wäre die Beschreibung „fehl am Platz“ zu verwenden. Bezogen auf den musealen Kontext bzw. das Museumspublikum beschreibt der Begriff „Deplatziertheit“ das offensichtliche Unbehagen einer dem kulturellen Umfeld fremden BesucherInnenklientel. Dieses Unbehagen kann sich auf verschiedene Weise äußern und sowohl auf die äußeren, räumlichen Rahmenbedingungen als auch den inhaltlichen Kontext (Ausstellungskonzept, Exponate) bezogen sein. Bereits 1981 widmeten sich die Berliner Schriften zur Museumskunde im Rahmen einer umfangreichen Studie der Frage nach „Barrieren des Zugangs zur Institution Museum“ (Klein/Bachmayer 1981: 194-204), (*23) wobei in diesem Zusammenhang nicht räumliche, sondern Barrieren in psychischer und sozialer Hinsicht gemeint sind (ebd. 196).
(*23) Einer dieser Gründe, die die ungeübten BesucherInnen von einer regelmäßigen Frequentierung musealer Einrichtungen abhalten, sei das von ihnen genährte Vorurteil, im Museum herrsche eine gezwungene und unnatürliche Atmosphäre, die „zur Etikette von Museumsbesuchen“ gehöre (ebd. 200).
(*23) Dieser Eindruck der Etikette, die es bei einem Museumsbesuch einzuhalten gelte, führe zu dem Ergebnis, dass „Nicht-Besucher [also nicht geübte Museumsbesucher] […] Museen daher auch zu einem merklichen Anteil“ als „nicht für ihresgleichen“ ansehen (ebd. 199).
(*23) Sie fühlen sich damit im Kontext eines Museumsbesuches deplatziert.
In besonderem Maße lassen sich Verhaltensweisen, aus denen man auf ein Gefühl der Deplatziertheit rückschließen kann, bei so genannten „Großereigniss[en] in Kunst und Kultur“ wie bei der in vielen Städten Deutschlands und Österreichs abgehaltenen Langen Nacht der Museen beobachten. Die Nachfrage bei derartigen eventhaften Kunstangeboten lässt sich weniger auf ein gezieltes Kunstinteresse des Publikums zurückführen als auf den Reiz, der sich aus der ungewöhnlichen nächtlichen Öffnungszeit der Museen ergibt, dem Überangebot an Führungs- und Erlebnismöglichkeiten sowie der wirtschaftlichen Tatsache, mit einer Karte alle teilnehmenden Institutionen besuchen zu können. Inhaltlich sind häufig Museen und Exponate der modernen bzw. zeitgenössischen Kunst vom Unverständnis der nicht geübten BesucherInnen betroffen und rufen in diesem Kontext Gefühle der Deplatziertheit hervor. Während Artefakten früherer Epochen aufgrund der offensichtlichen handwerklichen Fähigkeit ihres Schöpfers grundsätzlich eine höhere Akzeptanz entgegengebracht wird, erscheinen Werke der zeitgenössischen Kunst mit der Ausweitung des tradierten Kunstbegriffs nicht mehr automatisch und per Augenschein einsichtig als Kunstwerke. Bei fehlender Vermittlungsarbeit bleiben nicht vorgebildete BesucherInnen verständnislos dem Artefakt gegenüberstehend. Das Gefühl des Nicht-Verstehens und der Fremdheit in einem unvertrauten Kontext, das sich angesichts anderer, verstehender BesucherInnen verstärkt, kann sich dabei auf unterschiedliche Weise äußern: Durch ein rasches Durchlaufen der Ausstellungsräume mit einer kurzen, unentschlossenen Verweildauer vor den Exponaten, die wenig Zeit-Raum für eine Auseinandersetzung zulässt; durch Unsicherheit im Eingangsbereich und in der Bewegung durch die Ausstellungsräume und sowie durch verbale Äußerungen des Unverständnisses oder auch Unmutes. In Fachkreisen wird das Phänomen der Deplatziertheit zwar bislang nicht expliziert angesprochen, seit den 1970er Jahren und dem Beginn der museumpädagogischen bzw. kunstvermittelnden Arbeit aber mittelbar erkannt und mit Hilfe entsprechender Initiativen abzubauen versucht. Grundsätzlich geht man dabei von dem Ansatz aus, Kunst sei ein Inhaltsfeld, dessen Annäherung mit Anstrengung und Mühe verbunden ist. Ziel kunstvermittelnder Aktivitäten ist es, beim Besucher „Spaß am Museumsbesuch zu entwickeln“ (Hünnekens 2012) (*24) sowie die Begegnung mit künstlerischen Inhalten ansprechend und packend zu gestalten und dem Gefühl der Fremdheit (Deplatziertheit) entgegenzuwirken.