„It’s not a refugees’ orchestra. It’s Syrian Expat Philharmonic Orchestra“

Analyse eines Gesprächs mit dem Orchestergründer Raed Jazbeh: erste Einblicke

Bereits in diesem ersten Interviewabschnitt sowie im weiteren Gesprächsverlauf wird deutlich, dass Jazbeh den Begriff ‚Flüchtling‘ nicht per se für problematisch hält. Im Gegenteil, er positioniert sich diskursiv selbst als ‚refugee‘: „I’m a refugee“ (B2, Z.4).star (*7) Jazbehs zumindest neutrales, wenn nicht sogar positiv konnotiertes Begriffsverständnis wird an späterer Stelle noch deutlicher, als er seine Selbstpositionierung mit einem Gefühl von Stolz in Verbindung bringt: „I’m proud I’m a refugee, I’m proud.“ (B2, Z.157)star (*7)

MM:    […] It’s very interesting that you said at the very beginning that it’s not a refugees’ orchestra, it’s the Syrian Expat Philharmonic Orchestra.

RJ:      Expat that means you don’t live in your country.

MM:    Yeah, I know.

RJ:      So, some of them are refugees, like me, I’m a refugee. Some of them are not refugees, maybe students or teachers or musicians in some symphonic orchestras.

[…]

MM:    So, do you perceive yourself as a refugee or don’t you like to be termed a refugee?

RJ:      I’m proud I’m a refugee (MM: really?), I’m proud.

MM:    Because…?

RJ:      Because there is no difference between any human to any human, if I have a German ID or I’m a refugee or I’m Syrian or Indian, so it’s not any different.

MM:    Yes, that’s true, but I mean, you’re also …

RJ:      So, if they, I don’t know, say that we are refugees, okay, and I have my right to find a safer place to live, to save my life, to try to save the lives of my family. It is my right.

MM:    Yes, of course!

RJ:      Anyone in the world has rights to find a safer place to continue his life or her life. So if they would like to say that I’m a refugee, yes, I’m a refugee and I’m proud, no problem!

MM:    Okay, so, it’s not a problem for you (RJ: no), this term ‘refugee’ …

RJ:      No, why?

MM:    … because you’re also a musician and (RJ: no, no) you have, I don’t know …

RJ:      No, not any problem. I’m proud because people – I see what they do in their life. I don’t care if they are refugees or not refugees, if they are Germans or Syrians etcetera. I care about what they can do in their life. Good things, good aims, noble aims or bad things. So, I care about this.

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Amri, Samih (22. 09. 2015): Flüchtlinge musizieren gemeinsam im syrischen Exil-Orchester. Online unter http://p.dw.com/p/1GaD1 (25. 08. 2016).

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DWDS (Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache) (2017): Experiment. Online unter https://www.dwds.de/wb/Experiment(30. 06. 2017).

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Kruse, Jan (2015): Qualitative Interviewforschung. Ein integrativer Ansatz. 2., überarb. u. erg. Aufl. Weinheim/Basel: Beltz Juventa.

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Kruse, Jan/Schmieder, Christian (2012): In fremden Gewässern. Ein integratives Basisverfahren als sensibilisierendes Programm für rekonstruktive Analyseprozesse im Kontext fremder Sprachen. In: Kruse, Jan/Bethmann, Stephanie/Niermann, Debora/Schmieder, Christian (Hg.): Qualitative Interviewforschung in und mit fremden Sprachen. Eine Einführung in Theorie und Praxis. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 248-295.

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Leopold, Silke (2013): Musikwissenschaft und Migrationsforschung. Einige grundsätzliche Überlegungen. In: Ehrmann-Herfort, Sabine/Leopold, Silke (Hg.): Migration und Identität. Wanderbewegungen und Kulturkontakte in der Musikgeschichte (= Analecta Musicologica; 49). Kassel [u.a.]:, S. 30‑39.

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o. V. (17. 09. 2015): Syrische Flüchtlinge gründen Exil-Orchester. Online unter http://www.zeit.de/news/2015-09/17/musik-syrische-fluechtlinge-gruenden-exil-orchester-17075602 (03. 07. 2017).

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B2: Interview mit Raed Jazbeh, Gründer des Syrian Expat Philharmonic Orchestra, Berlin, 09. 09. 2016 (39:24).

Der Zusammenschluss von im Exil lebenden MusikerInnen per se stellt hingegen keine Neuheit dar, wie Ralf Döring anmerkt. So sieht er die Formation des Syrian Expat Philharmonic Orchestra im Zusammenhang mit einer deutschen Orchestertradition. Er nennt hierzu beispielhaft die Bamberger Symphoniker, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Osten nach Deutschland ausgewanderte MusikerInnen vereinigten, sowie die Philharmonia Hungarica, die sich aus ungarischen MusikerInnen zusammensetzte, die nach dem 1956 durch sowjetische Truppen niedergeschlagenen Volksaufstand ihre Heimat verlassen hatten. (vgl. Döring 2017)

In einem Artikel der Zeit Online wird das Syrian Expat Philharmonic Orchestra explizit als „großes Experiment“ (o. V. 2015: o. S.) bezeichnet.

Die Musikwissenschaftlerin Silke Leopold beispielsweise stellt fest: „Musikwissenschaft und Migrationsforschung sind zwei Bereiche, die bisher eher von gegenseitiger Nichtwahrnehmung als von Zusammenarbeit geprägt sind.“ (Leopold 2013: 30)

Bei der Auswertung meiner Interviews orientiere ich mich an der qualitativen Interviewforschung nach Jan Kruse. Dieser plädiert für das sogenannte integrative Basisverfahren, das sich als ein „durch die genuin sozialwissenschaftliche Zielperspektive gerahmtes gesprächs- bzw. textlinguistisches Verfahren“ (Kruse 2015²: 463) versteht. Dementsprechend setzt es in einem ersten Schritt auf der sprachlichen Ebene an. Am Beginn der Analyse stehen das Wie des Sprechens und damit die Frage nach Bedeutungszuschreibungen und -konstruktionen qua sprachlicher Mittel. Dabei gilt das Prinzip der Offenheit und Verlangsamung, das heißt Deskription und Interpretation werden „auseinandergezogen“. (vgl. Kruse/Schmieder 2012: 272f.; 277f. und Kruse 20152: 477–479) In einem zweiten Schritt werden auf dieser Grundlage erste Lesarten bzw. Interpretationen formuliert und schließlich nach und nach konkretisiert und verdichtet. (vgl. Kruse 2015²: 479)

Magdalena Marschütz ( 2017): „It’s not a refugees’ orchestra. It’s Syrian Expat Philharmonic Orchestra“. Analyse eines Gesprächs mit dem Orchestergründer Raed Jazbeh: erste Einblicke. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 08 , https://www.p-art-icipate.net/its-not-a-refugees-orchestra-its-syrian-expat-philharmonic-orchestra/