„It’s not a refugees’ orchestra. It’s Syrian Expat Philharmonic Orchestra“

Analyse eines Gesprächs mit dem Orchestergründer Raed Jazbeh: erste Einblicke

Es geht ihm einerseits darum, richtig zu stellen, dass nicht alle MusikerInnen erst aufgrund des Krieges, sondern einige von ihnen bereits zuvor nach Europa kamen. Andererseits zeigen einige Folgeaussagen von Jazbeh, so möchte ich argumentieren, die Notwendigkeit einer kritischen Reflexion des Begriffs ‚Flüchtling‘, der oftmals zu einer einseitigen Festschreibung von Menschen führt. So drückte er beispielsweise seinen Ärger darüber aus, dass JournalistInnen häufig den Fluchtaspekt vorrangig thematisierten, wodurch die einzelnen MusikerInnen sowie deren Musik in den Hintergrund rückten.

[…] I don’t have a problem as a refugee. […] But the media they care about you not because you’re a musician or because you do a great music or a great job. They care about you because you are a refugee. And okay, no problem, care about me because I’m a refugee, but also see my music! (B2, Z.240-246)star (*7)

MM:    That’s a good point because the first concert it was sold out and there was extensive media coverage as you already told. The press wrote a lot of things. How did you feel about the media coverage, the praise and the criticism?

RJ:      You know, it’s very important, the media so people know you. So, all of us say ‘Thank you very much for the media, for the press!’ But we have one problem: Most of them they would like to write about us what they want and not what we are. For example, some newspapers, they say ‘refugees’ orchestra’. What?! Why do you say ‘refugees’ orchestra’ if you know that not all of us are refugees?! But they need a title, their brilliant title to read, you know. So, and some of them, if they would like to do an interview with you he or she – I mean the journalist – doesn’t care if you are a musician or not. If you are a refugee and if you have a story …

MM:    Yes, that was the reason why I asked you if you have a problem to be termed a refugee because …

RJ:      No, I don’t have a problem as a refugee.

MM:    Yeah, but the journalists …

RJ:      But the media they care about you not because you’re a musician or because you do a great music or a great job. They care about you because you are a refugee. And okay, no problem, care about me because I’m a refugee, but also see my music! So they care about your story, how you came, arrived in Germany, they would like to find the story: ‘Oh, you came by sea? By Turkey to Greece blabla…’ Okay, and talk a little bit about my concert, talk about my music, talk about the music and the soloists!

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Amri, Samih (22. 09. 2015): Flüchtlinge musizieren gemeinsam im syrischen Exil-Orchester. Online unter http://p.dw.com/p/1GaD1 (25. 08. 2016).

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DWDS (Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache) (2017): Experiment. Online unter https://www.dwds.de/wb/Experiment(30. 06. 2017).

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Kruse, Jan (2015): Qualitative Interviewforschung. Ein integrativer Ansatz. 2., überarb. u. erg. Aufl. Weinheim/Basel: Beltz Juventa.

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Kruse, Jan/Schmieder, Christian (2012): In fremden Gewässern. Ein integratives Basisverfahren als sensibilisierendes Programm für rekonstruktive Analyseprozesse im Kontext fremder Sprachen. In: Kruse, Jan/Bethmann, Stephanie/Niermann, Debora/Schmieder, Christian (Hg.): Qualitative Interviewforschung in und mit fremden Sprachen. Eine Einführung in Theorie und Praxis. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 248-295.

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Leopold, Silke (2013): Musikwissenschaft und Migrationsforschung. Einige grundsätzliche Überlegungen. In: Ehrmann-Herfort, Sabine/Leopold, Silke (Hg.): Migration und Identität. Wanderbewegungen und Kulturkontakte in der Musikgeschichte (= Analecta Musicologica; 49). Kassel [u.a.]:, S. 30‑39.

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o. V. (17. 09. 2015): Syrische Flüchtlinge gründen Exil-Orchester. Online unter http://www.zeit.de/news/2015-09/17/musik-syrische-fluechtlinge-gruenden-exil-orchester-17075602 (03. 07. 2017).

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B2: Interview mit Raed Jazbeh, Gründer des Syrian Expat Philharmonic Orchestra, Berlin, 09. 09. 2016 (39:24).

Der Zusammenschluss von im Exil lebenden MusikerInnen per se stellt hingegen keine Neuheit dar, wie Ralf Döring anmerkt. So sieht er die Formation des Syrian Expat Philharmonic Orchestra im Zusammenhang mit einer deutschen Orchestertradition. Er nennt hierzu beispielhaft die Bamberger Symphoniker, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Osten nach Deutschland ausgewanderte MusikerInnen vereinigten, sowie die Philharmonia Hungarica, die sich aus ungarischen MusikerInnen zusammensetzte, die nach dem 1956 durch sowjetische Truppen niedergeschlagenen Volksaufstand ihre Heimat verlassen hatten. (vgl. Döring 2017)

In einem Artikel der Zeit Online wird das Syrian Expat Philharmonic Orchestra explizit als „großes Experiment“ (o. V. 2015: o. S.) bezeichnet.

Die Musikwissenschaftlerin Silke Leopold beispielsweise stellt fest: „Musikwissenschaft und Migrationsforschung sind zwei Bereiche, die bisher eher von gegenseitiger Nichtwahrnehmung als von Zusammenarbeit geprägt sind.“ (Leopold 2013: 30)

Bei der Auswertung meiner Interviews orientiere ich mich an der qualitativen Interviewforschung nach Jan Kruse. Dieser plädiert für das sogenannte integrative Basisverfahren, das sich als ein „durch die genuin sozialwissenschaftliche Zielperspektive gerahmtes gesprächs- bzw. textlinguistisches Verfahren“ (Kruse 2015²: 463) versteht. Dementsprechend setzt es in einem ersten Schritt auf der sprachlichen Ebene an. Am Beginn der Analyse stehen das Wie des Sprechens und damit die Frage nach Bedeutungszuschreibungen und -konstruktionen qua sprachlicher Mittel. Dabei gilt das Prinzip der Offenheit und Verlangsamung, das heißt Deskription und Interpretation werden „auseinandergezogen“. (vgl. Kruse/Schmieder 2012: 272f.; 277f. und Kruse 20152: 477–479) In einem zweiten Schritt werden auf dieser Grundlage erste Lesarten bzw. Interpretationen formuliert und schließlich nach und nach konkretisiert und verdichtet. (vgl. Kruse 2015²: 479)

Magdalena Marschütz ( 2017): „It’s not a refugees’ orchestra. It’s Syrian Expat Philharmonic Orchestra“. Analyse eines Gesprächs mit dem Orchestergründer Raed Jazbeh: erste Einblicke. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 08 , https://www.p-art-icipate.net/its-not-a-refugees-orchestra-its-syrian-expat-philharmonic-orchestra/