Ladyfeste: Zehn Jahre queer-feministischer Aktivismus
Das erste Ladyfest fand 2000 in Olympia, Washington (USA) statt: “a non-profit, community-based event designed by and for women to showcase, celebrate and encourage the artistic, organizational and political work and talents of women” (Webseite Ladyfest Olympia) (* 33 ). Ein Kollektiv von mehr als 50 AktivistInnen organisierte Performances, Auftritte von Bands, Lesungen und Ausstellungen. Viele der OrganisatorInnen und TeilnehmerInnen waren in den 1990er Jahren in die Riot-Grrrl-Bewegung involviert und sahen das Ladyfest als Fortführung ihres aktivistischen und künstlerischen Engagements. Das viertägige Festival zog ein Publikum von 2.000 Menschen an und konnte 30.000 USD an freiwilligen Spenden für eine lokale Non-Profit-Frauenorganisation einheben.
Dieses erste Ladyfest nimmt eine besondere und wichtige Rolle ein: Es hat soviel Begeisterung auslösen können, dass als Schneeballeffekt Ladyfeste an vielen weiteren Orten organisiert wurden. Zentral dabei war das Internet (auf dessen Rolle ich später näher eingehen möchte): Auf der Ladyfest-Olympia-Webseite wurden Informationen über Ziele, Programm und Hintergrund weitergetragen und bis zum Jahr 2005 andere Ladyfeste angekündigt. Im Sinne des Rhizoms verketteten sich die Linien und Strukturen der Riot-Grrrl-Bewegung zu diesem ersten Ladyfest, das wiederum neue Linien – andere Ladyfeste – hervorbrachte. Diese „wuchern“ weiter, verzweigen und verketten sich.
In den letzten zehn Jahren (2000 bis 2010) fanden 264 Ladyfeste in 34 verschiedenen Ländern statt, davon 135 in Europa (38 im deutschsprachigen Raum), 87 in Nordamerika, 28 in Südamerika, neun in Australien/ Neuseeland, drei in Afrika und zwei in Asien (Stand Juli 2010). Weitere 17 Ladyfeste sind für das Jahr 2010 noch geplant. Die Anzahl der organisierten Ladyfeste stieg stetig bis zum Höhepunkt im Jahr 2008 mit 41 Ladyfesten.
Anzahl der Ladyfeste (LF) pro Jahr:
Anzahl der Ladyfeste nach Ländern (August 2000 bis Juli 2010)
Viele weitere Festivals mit einem ähnlichen Ansatz wurden unter anderen Namen (vor allem in nicht englischsprachigen Ländern) wie z.B. Rdeče zore/Red Dawns (Slowenien), Belladonna (Brasilien), KuñaFest (Peru), FemFest (Chile), PitchWise (Bosnien und Herzegowina)*3 *( 3 ) organisiert (vgl. Kneževic 2008) (* 16 ).
Jedoch kann der Name Ladyfest auch von der Kulturindustrie vereinnahmt werden: In Rotterdam (Niederlande) wurde das „Label“ Ladyfest im Jahr 2009 von einer Plattenfirma übernommen und kommerziell aufbereitet, was beim ursprünglichen Ladyfest-Organisationsteam für Empörung sorgte: „The organization of the original Ladyfest believes that this is disrespectful of the 10-year tradition of Ladyfest, and is encouraging the wrong image of ‚women (on stage)‘“ (Webseite “Music from Netherlands“) (* 34 ). Als Gegenevent wurde deshalb ein neues Festival ins Leben gerufen „The Return of no Future“*5 *( 5 ), ein Festival, welches nach den nicht-kommerziellen, queer-feministischen Prinzipien des ursprünglichen Ladyfests funktioniert. Dieses Beispiel der kommerziellen Vereinnahmung könnte im Sinne eines asignifikanten Bruchs gelesen werden, indem eine Brechung stattfindet und die Linien an einer anderen Stelle weiterwuchern.
Ladyfeste werden oft als Beispiele für eine Musikszene genannt, sie sind jedoch viel mehr: Ladyfeste können sehr unterschiedliche Gestalt annehmen, abhängig von den lokalen Kontexten, in die sie jeweils eingebettet sind, und sie haben eine Vielfalt an queer-feministischer kultureller Produktion hervorgebracht, von spoken word über Musik, Film, Ausstellungen, Workshops, Podiumsdiskussionen bis zu künstlerischen und online-Projekten. Je nach inhaltlicher und organisatorischer Ausrichtung des Festivals, dem örtlichen Kontext und den Interessenschwerpunkten des Organisationsteams liegt der Fokus mehr auf musikalischen Beiträgen oder auf Workshops, Ausstellungen, Diskussionen und Präsentationen bzw. auf einer Mischung derer. Für Sushila Mesquita, Mitorganisatorin des Ladyfests Wien 2004, ist das diskursive Programm zentral: „Ich finde es ganz wichtig, dass Ladyfeste eben nicht nur Musikfestivals sind, weil es sich z.B. während eines Konzerts nicht gut plaudern lässt und dieser Austausch von Erfahrungen und Informationen ist für mich ganz zentral. Deswegen haben gerade Workshops oder Vorträge oder Diskussionsrunden einfach auch einen sehr großen Stellenwert für mich“ . Dementsprechend gestaltete sich auch das Programm des Ladyfests Wien 2004, fanden doch neben 17 Konzerten zwölf verschiedene Workshops, eine Demonstration, Vorträge, Diskussionen, Ausstellungen und Filmvorführungen statt.
Die meisten Ladyfeste setzen auf eine gender-queere und eine transgender-inklusive Politik sowie das Konzept der ‚selbst-identifizierten‘ Frau: “Whatever your gender may be, if you feel like a lady, be part of Ladyfest!”, so die oft zitierte Aussage von Ladyfest Hamburg 2003. Während Ladyfeste, wie bereits erwähnt, in der Tradition der Riot-Grrrl-Bewegung stehen, signalisiert der Begriff „Lady“ zwei Bewegungen: Eine Bewegung weg vom Begriff „Riot Grrrl“, ein Label, das von vielen Riot-Grrrl-AktivistInnen als einschränkend wahrgenommen wurde, sowie eine Bewegung hin zu einem Begriff, der auch für jene, die sich als zu alt für ein „grrrl“ fühlen, als passend empfunden wurde. In der Aneignung des englischen Wortes „Lady“ werden Möglichkeiten der ironischen Selbstbezeichnung und der Unterwanderung gesehen:
For me the name Ladyfest is both empowering and a bit of a funny joke. Because the word ‘lady’ comes with a certain image of a rich upper-class well-behaved adult woman, I find it interesting to disrupt and redefine the word. It doesn’t have to refer to one single gender or one age group or one class or one subculture. (Nina Nijsten, feministische Medienproduzentin, Belgien).
Manche Ladyfeste in nicht englischsprachigen Ländern finden neue Schreibweisen und Festivalnamen, wie z.B. „LaD.I.Y.fest Berlin“ oder das bereits erwähnte „KuñaFest“ in Peru, um den Begriff „Lady“ umzudeuten und aufzubrechen. „Lady“ wird als flexibles Konzept für Gender und Alter und als eine anti-essentialistische Identitätskategorie verstanden. Wenn damit auch Distanz zu hegemonialen Zuschreibungen und Exklusionspolitik demonstriert wird, wirft der Begriff „Lady“ dennoch Fragen der In- und Exklusion hinsichtlich klassenspezifischer und „weißer“ Konnotationen auf. Kritische Analysen müssen sich damit auseinandersetzen, „wer diesen Begriff prägt und sich aneignet und für wen eine Aneignung nicht mehr möglich ist, weil dieser Begriff zu sehr in eine Richtung tendiert“, wie Sushila Mesquita bemerkt. Eine Herausforderung besteht darin, die historische Entwicklung aus der überwiegend weißen Mittelklasse und der studentischen Riot-Grrrl-Bewegung aufzubrechen und Ladyfeste zu öffnen, wie Elisa Gargiulo, Organisatorin des Ladyfests Brasilien (2004, 2005, 2006, 2007, 2009, 2010), erläutert:
I really want that other girls are part of the organisation to make it less white and middle-class. But we have to learn and I think we have to understand that at least in Brazil Ladyfest has this Riot Grrrl essence history and then Riot Grrrl is really white and middle-class.
Ladyfeste sind durch ihre auf Riot-Grrrl rekurrierende Geschichte und ihre gemeinsame Namensgebung verbunden; mit einem Third Wave Feminismus teilen sie unkonventionelle kulturelle und politische Ausdrucksformen (u.a. die Herstellung von Fanzines oder Culture Jamming) und die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien (ICTs) als aktivistisches Werkzeug und für politische Ziele (Aragon 2008) (* 1 ). Viele Ladyfeste bekunden ein inhaltliches Interesse an Gesellschaftspolitik, wie die OrganisatorInnen auf der Webseite von Ladyfest Wien 2004: „in unserem interesse liegt die stärkung von politischsozialen prozessen, die staatliche und andere patriachale macht- und zwangsverhältnisse bekämpfen und das leben feministischer/queerer ideen permanent erweitern“. Neben unkonventionellen Formen des politischen Protestes, wie dem Radical Cheerleading , gibt es traditionelles politisches Engagement bei Ladyfesten. So besteht bei vielen Ladyfesten in den USA die Möglichkeit, sich als WählerIn registrieren zu lassen und bei Info-Tischen und Workshops politische Informationen zu Wahlen und Möglichkeiten politischer Partizipation einzuholen.
Wichtig ist auch die bewusste Reflexion von Raum (In welchen Räumen findet das Ladyfest statt? Wie werden diese Räume gestaltet?) und Raumaneignung. Im Programmheft des Ladyfests Wien 2004 wird das Anliegen beschrieben „queere Räume zu schaffen, die frei sind von allgegenwärtigen rassistischen, homophoben und sexistischen Strukturen“ und zugleich festgestellt: „den Freiraum gibt es nicht“. Mooshammer und Trimmel argumentieren, dass Ladyfeste unterschiedliche feministisch-queere Strategien einsetzen, um einen so genannten Ladyspace zu schaffen. Dieser „Ladyspace“ wird als feministischer Gegenraum beschrieben, der durch Verschiebungen im sozialen Raum und Kritik an vorherrschenden Strukturen entsteht. Eine Vielzahl von Kommunikations- und Repräsentationsformen – wie Graffiti, Plakate, Kleidung und direkte Kommunikation (Mooshammer/Trimmel 2005) (* 21 ) – werden genutzt, um die „Besetzung“ von Räumen zu markieren. Diese Strategien sollen dazu beitragen, einen Raum zu schaffen, „in dem der respektvolle Umgang miteinander sowie das Vertrauen aufeinander einen hohen Stellenwert einnehmen.“ (Mooshammer/Trimmel 2008: 144) (* 21 ). Ein „Ladyspace“ kann demnach nur entstehen, wenn sich alle TeilnehmerInnen aktiv mit der Gestaltung eines solchen Raumes auseinandersetzen, sich daran beteiligen und auf Konflikte einlassen. Wenn die Prozesse des Raumeinnehmens und Reklamierens bewusst gemacht werden, kann dies längerfristige Effekte auf die Veränderung der täglichen Erfahrung von Raum und der Reklamation von Raum haben (Mooshammer/Trimmel 2008) (* 21 ). Diese Reflexion von Raum sowie den Zielen und Gestaltungsmöglichkeiten erfolgt im Vorfeld im Organisationsteam. Ladyfeste werden großteils von AktivistInnen zwischen zwanzig und 35 Jahrenorganisiert, wobei das Hauptaugenmerk auf prozessorientiertes, nicht-hierarchisches und kollektives Handeln und kollaborative Arbeitsweisen gelegt wird. Melissa Steiner, Mitorganisatorin des Ladyfests Auckland 2008, betont den partizipativen Prozess:
I generally do enjoy that collaborative process, it’s what makes Ladyfests what they are, and I love the way afterwards you’ve usually gained new friends and expanded your scene of weirdos.
Die meisten Ladyfeste gliedern sich in verschiedene Arbeitsgruppen, die sich um spezielle Aspekte des Festivals kümmern wie etwa die Workshop-Gruppe, die Musik-Gruppe etc. Wichtige Entscheidungen dieser selbstorganisierten Szene werden basisdemokratisch getroffen, was ständige Ausverhandlungen und Konflikte mit sich bringt. Ladyfeste wurden von den OrganisatorInnen und TeilnehmerInnen kritisiert, da jeder Raum bereits durch vorhergehende Ereignisse und soziale Machtverhältnisse (Graf 2006) (* 11 ) geformt wird:
Among the less flattering outcomes of Ladyfest L.A.? Shitty drama between what became conflict-ridden, mutually resentful cliques among organizers, and community frustration with some of the results of our disorganization, which was met by organizer’s defensiveness and blame-throwing. (Hoffmann 2006: 86) (* 14 )
Wie diese Aussage zeigt, ist das Umsetzen von nicht-hierarchischen, kollektiven Arbeitsweisen und Konsens-Entscheidungen nicht einfach – und auch nie gewesen. Ladyfeste bilden einen brüchigen Raum angesichts der Prekarisierung der Arbeit in einer neo-liberalen Zeit. Da die OrganisatorInnen oder Ausführenden nicht (oder kaum) bezahlt werden, jedoch viel Zeit, Energie und Idealismus investieren, ist Selbstausbeutung eine Tatsache, die nicht verleugnet werden kann (und in frauenspezifischen Räumen immer präsent war und ist). Schwierig gestaltet sich auch die Diskussion um die Bezahlung der KünstlerInnen und Workshop-ReferentInnen:
(…) das zieht halt so einen Rattenschwanz an unterschiedlichen Problemen nach sich: Welche Arbeiten werden wie belohnt und bewertet? Ist dann Organisationsarbeit weniger wert, wenn das nicht bezahlt wird? (Sushila Mesquita, eine Organisatorin des Ladyfests Wien 2004)
Für Chris Köver, Mitorganisatorin des Ladyfests Hamburg 2004, ist die basisdemokratische Form der Entscheidungsfindung unabdingbar, gleichzeitig aber auch sehr energieraubend: „Also das ist total super, aber gleichzeitig ein extrem selbstkritisches System. (…) Es macht (…) Entscheidungsprozesse und die Organisation natürlich auch wahnsinnig energie- und arbeitsintensiv, was es nicht unbedingt leichter macht.“ Doch genau diese vielfältigen Ausverhandlungen können auch produktiv sein, um das eigene Selbstverständnis ständig zu reflektieren und sich mit Differenz auseinanderzusetzen (Groß 2006: 12) (* 12 ).
Elke Zobl ( 2012): Zehn Jahre Ladyfest. Kulturelle Produktion und rhizomatische Netzwerke junger Frauen. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 01 , https://www.p-art-icipate.net/zehn-jahre-ladyfest-kulturelle-produktion-und-rhizomatische-netzwerke-junger-frauen/