Experimentansätze aus dem Reallabor: Über das Potenzial, spielerisch zu einer Kultur der Nachhaltigkeit zu inspirieren
Ein Bericht aus der Praxis
Unterschiede der Experimentformate
Nachdem nun die zwei verschiedenen Experimentformate vorgestellt wurden, folgt ein Vergleich, um basierend darauf eine Einschätzung treffen zu können, welcher Ansatz in welchen Kontexten geeigneter sein könnte. Dazu werden die drei Kriterien Direktheit, Zielgruppe und Intensität/Zeitaufwand herangezogen. Diese ermöglichen es, die Besonderheiten und Unterschiede der beiden Formate herauszuarbeiten. Die Kriterien entspringen der internen Projektarbeit und können bei der Entscheidung helfen, welches der beiden Formate für die eigene Anwendung gewinnbringend sein könnte.
Direktheit
A) Das Ziel des Wettbewerbs ist es, über zwei Stufen Menschen mit dem Thema Nachhaltigkeit zu erreichen. Zuerst erstellt eine Gruppe ein Angebot und in einer zweiten Stufe nehmen Menschen daran teil. Das Forscher:innen-Team des Quartier Zukunft steht hierbei vor allem in engem Austausch mit der Gruppe, die das Experiment konzipiert und damit am Wettbewerb teilnimmt. Die Forschungsfragen drehen sich um die beiden im Wettbewerb thematisierten Begriffe Gemeinschaft und Entschleunigung sowie um die Gruppendynamik mit ihren internen Prozessen.
B) Das Ziel der Selbstexperimente ist es, Menschen zu inspirieren und direkt anzuleiten, Handlungsalternativen auszuprobieren und damit ihren Alltag für einen gewissen Zeitraum zu verändern. Die begleitende Forschung zielt auf individuelle Erfahrungen auf praktischer, emotionaler und auch gesellschaftlicher Ebene ab. Forscher:innen haben hierzu direkten Kontakt zu den Menschen, die die Selbstexperimente durchführen.
Zielgruppe
A) Die beiden Stufen im Wettbewerbsformat sprechen unterschiedliche Typen Mensch an. Um als Gruppe eine Community aufzubauen, braucht es viel Einsatz; Menschen, die mit Herz und Hand dabei sind. Der dänische Begriff ‚Ildsjæl‘, frei übersetzt ‚Feuerseele‘, ist hier recht passend. Hingegen sprechen die Angebote, die von der Gruppe für andere Teilnehmer:innen entwickelt werden, eher Menschen an, die sich ab und zu mit einem Thema beschäftigen oder auseinandersetzen wollen, ohne sich jedoch längerfristig zu etwas verpflichten zu müssen.
B) Die Klima-Selbstexperimente sind an Menschen adressiert, die spontan Lust haben, etwas in ihrem Leben zu ändern. Im oben genannten Projekt Klimaschutz gemeinsam wagen! werden die Selbstexperimente oft auch im Kontext Lehre mit Studierenden angewandt. In einer Struktur aus Auftakt- und Reflexionsworkshop und der Experimentphase dazwischen können Studierende im Rahmen von Workshops an den Selbstexperimenten teilnehmen und gleichzeitig Leistungspunkte für ihr Studium sammeln.
Intensität/Zeitaufwand
A) Das Wettbewerbsformat weist verschiedene Intensitätsstufen auf. Die Gruppe, die die Idee entwickelt und das daraus entstehende Angebot umgesetzt hat, ist natürlich sowohl thematisch als auch zeitlich eng eingebunden und durchläuft zusätzlich intensive Gruppenprozesse. Der Aufbau einer Gruppe und das gemeinschaftliche Umsetzen eines Projekts erfordert Entschlossenheit und ‚Commitment‘.
Die Teilnahme an den entwickelten Angeboten gestaltet sich sehr flexibel und kann auch nur punktuell geschehen. Teilnehmer:innen der Angebote können beispielsweise entweder nur einmalig an einem Workshop teilnehmen oder aber die Angebote regelmäßig wahrnehmen. Hier sind also unterschiedliche Intensitäten und damit Nachhaltigkeitsanreize und Lernerfahrungen möglich.
B) Die Selbstexperimente bieten die Möglichkeit, einfach loszulegen, ohne sich selbst etwas ausdenken oder in eine Community integrieren zu müssen. Das bedeutet zu Beginn deutlich weniger Zeitaufwand. Das Experimentieren selbst, je nachdem wie intensiv man sich damit auseinandersetzt und wie lange man ein Experiment durchführt, kann einiges an Zeit im Anspruch nehmen. Dazu kommen die begleitende Dokumentation des Experiments und die Teilnahme an der Begleitforschung. Je nach Experiment muss täglich dokumentiert werden (z.B. wenn mit einer vegetarischen oder veganen Ernährung experimentiert wird). Der starke Gruppenkontext von Experimentformat (A) ist bei den Selbstexperimenten weniger stark gegeben, kann jedoch hergestellt werden indem die Selbstexperimente in Schulklassen, mit Studierenden in einem Seminarkontext oder z.B. einer Gruppe von Kolleg:innen durchgeführt werden. Zudem gibt es neben den Selbstexperimenten sogenannte ‚Klimaknaller‘, die mit einer einmaligen Umsetzung große Mengen an CO2-Äquivalent -Einsparungen ermöglichen.
Sarah Meyer-Soylu, Colette Waitz ( 2021): Experimentansätze aus dem Reallabor: Über das Potenzial, spielerisch zu einer Kultur der Nachhaltigkeit zu inspirieren. Ein Bericht aus der Praxis . In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 12 , https://www.p-art-icipate.net/experimentansaetze-aus-dem-reallabor-ueber-das-potenzial-spielerisch-zu-einer-kultur-der-nachhaltigkeit-zu-inspirieren/