Kunst- und Kulturvermittlung im Brennpunkt
Ambivalenzen einer (vermeintlich) unprätentiösen Zielsetzung
Ambivalenz 3: Projektarbeit vs. Schule (Organisatorische Ebene)
Die letzte der drei wesentlichen Diskrepanzen der beschriebenen Zielsetzung besteht darin, dass die Schule – VertreterInnen der kulturellen bzw. künstlerischen Bildung zufolge – einen (gelinde formuliert) ungünstigen Ort für die kreative pädagogische Projektarbeit darstellt. So schreibt Carl-Peter Buschkühle in diesem Zusammenhang, dass die komplexen Prozesse der künstlerischen Produktion sich erst dann zu entfalten vermögen, „wenn sie hinreichende Zeit zur Entwicklung haben, ohne vom festgelegten Stundentakt unterbrochen zu werden“ (Buschkühle 2003: 42). (*9) Er spricht von der Notwendigkeit, manche Themen über ein Quartal oder ein Halbjahr zu bearbeiten, um die Entdeckung der sukzessiven inhaltlichen Kontexte sowie der entsprechenden individuellen Gestaltungszugänge zu ermöglichen (vgl. Ebd.: 41). (*9) Günther Regel (2003: 131) (*28) bezeichnet die „45-Minuten Wochenstunde“ als die „denkbar schlechteste Organisationsform“ für schöpferische Bildungsprozesse, was Reimar Stielow folgenderweise begründet: „Kunst nach Zeitplan gibt es nicht, nicht einmal in Ansätzen. Da es keine geplante Kreativität gibt.“ (2003: 145) (*34)
Abgesehen von Zeitproblem stehen einem sinnvollen Projektunterricht an der Schule im Allgemeinen (d.h. auch in nicht mit Kunst und Kultur zusammenhängenden Fächern) zahlreiche weitere Stolpersteine im Wege: U.a. die geringe entsprechende Vorbildung sowie persönliche Erfahrung der Lehrkräfte, unflexible Organisationsstrukturen, die mangelnde Möglichkeit und Bereitschaft zur interdisziplinären Zusammenarbeit sowie nicht zuletzt die (sich in letzter Zeit immer mehr verstärkende) Orientierung von Bildungsinstitutionen an für alle SchülerInnen gleichermaßen gültigen Standards und an (vermeintlich) objektiv bewertbaren „Outputs“ (vgl. Frey 2005: 175-178, 187f.; (*14) Fridrich 1994: 24f. (*15)). An städtischen Hauptschulen (wie es die „Neue Mittelschule“, an der das hier beschriebene Vorhaben durchgeführt wird, ist) kommt erschwerend hinzu, dass viele an solchen Anstalten tätige PädagogInnen sich gezwungen fühlen, die Aufrechterhaltung der Disziplin als oberstes Ziel zu erachten und immer wieder inhaltlichen Aufgabenstellungen überzuordnen (vgl. Wellgraf 2012: 83, 246-255; (*35) Langer 2014: 310 (*21)). Das reduziert die – für eine erfolgreiche Projektarbeit unabdingbaren – Spiel- und Freiräume endgültig auf ein Minimum.*2 *(2)
Auf Basis solcher und ähnlicher Fakten konstatiert Wolfgang Zacharias (2003: 102), (*36) dass Verfahren der künstlerischen und kulturellen Bildung „die schulische Ordnung und deren tagtäglich organisierende Zurichtung eigentlich permanent irritieren, sprengen (…)“ müssten. In Bezug auf die Zielsetzung des hier vorgestellten Vorhabens folgt daraus, dass auf dem Weg zu ihrer Erreichung nicht nur auf der ästhetischen und der methodischen Ebene, sondern genauso in Hinblick auf unterrichtsorganisatorische Aspekte mit größten Schwierigkeiten zu rechnen ist.
Iwan Pasuchin ( 2015): Kunst- und Kulturvermittlung im Brennpunkt. Ambivalenzen einer (vermeintlich) unprätentiösen Zielsetzung. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 06 , https://www.p-art-icipate.net/kunst-und-kulturvermittlung-im-brennpunkt/