Im Gespräch mit Oliver Parodi vom Quartier Zukunft

Das ‚Ganze‘ im Blick behalten

Wie das Quartier Zukunft – Labor Stadt globale Fragen mit dem lokalen Leben zusammenbringt

Oliver Parodi im Gespräch mit Elke Zobl und Katharina Anzengruber

Interview am 22.07.2020

Das Quartier Zukunft – Labor Stadt ist ein Reallabor, das vom Karlsruher Institut für Technologie in Kooperation mit der Stadt Karlsruhe getragen wird. In Reallaboren als Experimentierräume in der Wirklichkeit forschen Menschen aus der Wissenschaft gemeinsam mit Akteur*innen aus der Zivilbevölkerung zu gesellschaftlich wichtigen Themen einer nachhaltigen Entwicklung. Im Rahmen von Quartier Zukunft sind Einwohner*innen und Akteur*innen der Karlsruher Oststadt dazu eingeladen, ihren Stadtteil und ihre Zukunft nachhaltig zu gestalten. Lokale Fragestellungen liegen demnach im Fokus, wobei diese immer auch mit globalen Ereignissen in Verbindung stehen. Im Interview mit Elke Zobl und Katharina Anzengruber spricht Oliver Parodi, Initiator und Leiter des Quartier Zukunft über Voraussetzungen, die vorgefunden werden müssen, um Reallabore sinnvoll umsetzen zu können, über Merkmale dieser transdisziplinären Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen sowie über die Chancen, aber auch die Herausforderungen, mit denen man in der Reallabor-Arbeit konfrontiert ist. Darüber hinaus gewährt er konkrete Einblicke in das Quartier Zukunft: beginnend bei der Ausgangsidee für das Labor bis hin zu den gegenwärtigen Plänen für dessen Weiterentwicklung.


Bitte könnten Sie zunächst kurz skizzieren, worum es sich beim Projekt Quartier Zukunft – Labor Stadt handelt: Was waren die Ideen und Visionen, die Sie geleitet haben, als Sie das Projekt ins Leben riefen? Wie war die Ausgangslage? Wie sind Sie das Projekt angegangen? Und wie stellt es sich heute dar?

 

In Bezug auf die Entstehung von Quartier Zukunft und meine Motivation dahinter muss man wissen, dass ich ursprünglich aus der Nachhaltigkeitsforschung komme und vor Start des Projektes tief in der theoretischen und konzeptionellen Nachhaltigkeitsforschung drinnen steckte. Das war mir mit der Zeit etwas zu theoretisch. Ich hatte Nachhaltigkeit in aller Tiefe durchdrungen und gleichzeitig bemerkte ich, dass sie draußen in der Welt kaum umgesetzt wird dass der Zug sozusagen noch in die andere Richtung fährt. Ich wollte Nachhaltigkeit auch praktisch umsetzen, sodass ich 2011 die Idee zu Quartier Zukunft – Labor Stadt gebar. Das war mir auch vor dem Hintergrund wichtig, dass das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), an dem ich damals schon arbeitete, meines Erachtens eine Verantwortung für die Region hat. Das KIT ist eine riesige Forschungseinrichtung mit etwa 10.000 Mitarbeiter*innen, einer der größten Arbeitgeber und ein riesiger Wissenstanker. Es war mir wichtig, dass dort letztlich auch Wissen produziert wird, das in der Region Anwendung findet. So kam die Idee zustande, mit einem Reallabor ganz konkret in Karlsruhe nachhaltige Entwicklung anzustoßen, und zwar in einem Quartier. Als Projektgebiet bzw. als Reallaborgebiet suchten wir uns einen Stadtteil aus, nämlich die Karlsruher Oststadt. Dort wollten wir versuchen, in einem langfristigen partizipativen Prozess – gemeinsam getragen von Stadt und Wissenschaft – den bestehenden Stadtteil in Richtung Nachhaltigkeit zu entwickeln. Das war und ist die Zielrichtung. So etwas geht nicht von heute auf morgen und nicht sofort in allen Bereichen. Wir wollten einmal mit dem Versuch starten, unterschiedliche Allianzen zwischen der Wissenschaft und der Stadtgesellschaft zu bilden, die Beiträge für eine nachhaltige Entwicklung der Oststadt liefern. Das war zunächst nur eine Idee, eine Vision, die noch vor dem In-Gang-Kommen eines Reallabordiskurses geboren wurde. Als Quartier Zukunft – Labor Stadt an den Start ging, gab es den Begriff Reallabor noch nicht. Zumindest nicht im jetzigen Kontext. Es war Uwe Schneidewind, der diesen Begriff in die Debatte eingebracht hat. Wir haben uns getroffen, er hat mir von seiner Reallaboridee berichtet und zu seiner Verwun­de­rung habe ich ihm daraufhin von unserem Projekt in Karlsruhe erzählt. In weiterer Folge ergaben sich dann schöne Kooperationen.

2012 starteten wir dann in die konkrete Umsetzung. Wir suchten uns den Stadtteil aus, der uns für das Reallabor Quartier Zukunft als bestgeeignet erschien. Um das zu ermitteln, ließen wir eine wissenschaftliche Analyse über Karlsruhe laufen. Auf diese Weise kamen wir auf die Oststadt und fingen daraufhin an, quasi in den Stadtraum hineinzurufen. Wir traten dort auf und informierten alle 14.000 Haushalte in diesem Stadtteil darüber, dass es uns jetzt gibt und dass wir ein Nachhaltigkeitsprojekt starten. Wir forderten die Bewohner*innen auch von Beginn an dazu auf, bei Interesse mitzumachen. Es ist ein Leitmotiv unseres Projektes und unsere Überzeugung, dass Nachhaltigkeit letztendlich nur gemeinsam vorangebracht oder umgesetzt werden kann. Wir möchten weder von oben herab fordernd handeln noch von Seiten des KIT kommend irgendetwas installieren. So etwas wäre zum Scheitern verurteilt. Es war uns von Anfang an klar, dass wir im Dialog mit der Stadtgesellschaft arbeiten möchten.

Ich könnte stundenlang über die darauffolgenden acht Jahre berichten. Vielleicht aber noch ein bis zwei Sätze dazu, wie wir jetzt dastehen. Das Quartier Zukunft hat sich weiterentwickelt. Es war bisher immer projektfinanziert. Es ist uns gelungen, immer wieder Projektgelder zu akquirieren und immer mehr und unterschiedliche Themen zu bedienen. Wir sind mit dem Gedanken gestartet, Nachhaltigkeit umfassend und ganzheitlich umzusetzen bzw. sie zumindest so zu betrachten. Das heißt, wir haben uns nicht auf einen Sektor oder auf ein Thema versteift oder zu sehr darauf fokussiert. Wir haben zum Beispiel nicht gesagt, dass wir spezifisch etwas zu Ernährung, Energie- oder Klimawandel machen möchten. Unser Ansatz ist tatsächlich der, dass die Stadtgesellschaft letztlich insgesamt transformiert werden muss. Das heißt, dass in allen Lebensbereichen etwas passieren muss. Dem wollten wir uns widmen und das machen wir nach wie vor. Es geht natürlich nicht immer alles parallel, sondern wir setzen Schwerpunkte. Das ‚Ganze‘ versuchen wir aber zumindest im Blick zu behalten. Inzwischen laufen einige Unterprojekte etwa Klimaschutz gemeinsam wagen1 oder Energietransformation im Dialog2 parallel, und das Quartier Zukunft ist personell und finanziell gewachsen.

Wie sind diese Teilprojekte entstanden? Wie wurden die Ideen dazu entwickelt? Sind auch die Projekte selbst in Kommunikation bzw. im Dialog mit der Stadtgesellschaft oder mit verschiedenen Institutionen gemeinsam konzipiert und eingereicht worden oder eher vom Kernteam ausgegangen?

Wir haben den Dialog mit der Stadtgesellschaft sehr ernst genommen. Wer den Dialog startet, ist dabei zunächst einmal unerheblich. Quartier Zukunft funktioniert so, dass manchmal wir mit einer Idee in die Stadtgesellschaft gehen und beispielsweise sagen: „Wir sollten doch einmal etwas zu Ernährung machen.“ Oder: „Lasst uns doch einmal ein Reparaturcafé aufbauen.“ In diesem Fall geht die Initiative zwar von uns aus, die Frage ist dennoch, was als Antwort aus der Stadtgesellschaft kommt. Wenn eine Idee auf Resonanz trifft, kann man etwas daraus machen, wenn nicht, dann nicht. In gleicher Weise gibt es aber auch andere Projekte und Aktivitäten, die von Seiten der Stadtgesellschaft kommen und an uns herangetragen werden: „Lasst uns doch etwas zu Mietpreiserhöhung machen.“ Oder: „Lasst uns doch etwas zu Energiemanagement im Quartier machen.“ Gerade sind zum Beispiel Solarzellen auf Dächern aktuell. In diesem Fall entscheiden dann wir, ob der jeweilige Vorschlag zu uns passt. Wenn ja, versuchen wir, gemeinsam etwas daraus zu machen. Wichtig ist der gelingende Dialog. Man muss sich verstehen und gemeinsam an einer Idee arbeiten.