Betroffene zu Beteiligten machen

Chancen und Grenzen partzipativer Kunstprojekte

Happy Birthday Robert Jungk!

Anlässlich des 100. Geburtstages von Robert Jungk wurde die Stadt Salzburg Schauplatz vielseitiger und vielgestaltiger Projekte, die sich mit dem in Salzburg verstorbenen Publizisten, Aktivisten und Zukunftsforscher, seinen Schriften und Theorien (auch anwendungsbezogen) auseinandersetzten. Die wöchentliche Ringvorlesung der Universität Salzburg und die monatlich stattfindenden „Zukunftsmontage“ sind nur zwei der über 100 Projekte und Veranstaltungen, die im Zuge des Jubiläumsjahres realisiert wurden (http://robertjungk100.org/termine/).

Neben Vorträgen, Diskussionsrunden und Vorlesungen sollte es aber auch – ganz im Sinne des Aktivisten Robert Jungk – Raum für öffentliche Aktionen geben. Die 2013 zum zweiten Mal in Salzburg stattfindende Zukunftswerkstättentagung (2.-5.5.2013) bot dafür einen geeigneten Rahmen. Gemeinsam mit mehr als 40 ModeratorInnen, dem Verein Zukunftswerkstätten Köln und zahlreichen Salzburger Partnern veranstaltete die Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen am 4. Mai 2013 den Aktionstag „Kunst der Partizipation“. Als erklärtes Ziel dieser Veranstaltung formulierten die OrganisatorInnen – zentralen Anliegen von Robert Jungk folgend – „Betroffene zu Beteiligten“ zu machen: An elf Stationen in und um die Stadt Salzburg sollten PassantInnen, TouristInnen und Interessierte zu vorgegebenen Themen befragt und in weiterer Folge zum Mitdenken, Mitreden und schlussendlich zum Mittun animiert werden.*1 *(1 )

Ausgehend von drei Performance-Projekten, die im Rahmen dieses Aktionstages stattfanden, soll in diesem Beitrag das partizipative Potenzial dieser participatory art-Projekte aufgezeigt werden.

„Kunst der Partizipation“ – eine Annäherung

Die literarische Aktion des Literaturhaus Salzburg, das Zeitungstheater des Landestheater Salzburg und das Straßentheater „Wem gehört die Stadt?“ des Friedensbüro Salzburg stellten dabei in der Projektlandschaft rund um den Aktionstag Ausnahmeerscheinungen dar. Während eine Vielzahl der anderen Spielstätten ihre Fragestellungen mithilfe der von Jungk entwickelten Methode der Zukunftswerkstatt bearbeiteten, versuchten die oben genannten Projekte dem vorgegebenen Thema „Kunst der Partizipation“ mit künstlerischen Mitteln beizukommen. Ob und inwieweit diese Kunstprojekte partizipatives Potenzial bergen, wurde im Vorfeld der Veranstaltungen eingehend diskutiert und bis zuletzt von einigen TeilnehmerInnen der ZWT angezweifelt. Grund dafür: Die im Zuge der Zukunftswerkstättentagung diskutierten Partizipationsbegriffe fokussierten vor allem jenen Teilaspekt des Begriffes, der sich vornehmlich als „Bürgerbeteiligung“ beschreiben lässt und beschränkt sich damit auf eine bestimmte Ausformung von „Partizipation“. Die inhaltliche Breite und Offenheit, die der Begriff v. a. in den letzten Jahren angenommen hat (vgl. beispielsweise Moser 2010: 71ff),star (*5 ) konnte im Zuge der kurzen Vorträge im Rahmen der ZWT, die sich dem Begriff v.a. im Jungkschen Sinne näherten, verständlicherweise nicht im Detail erörtert werden. Gerade im Hinblick auf die Legitimation der genannten Kunstprojekte als Ausdruck partizipativer Performancekultur erscheint aber eine Erweiterung bzw. eine Öffnung der Begriffsdefinition notwendig, um auch der Leistung der genannten Projekte gerecht werden zu können. Anhand der drei partizipativen Kunstprojekte sollen nun Parameter festgemacht werden, anhand derer sich die Möglichkeiten, aber auch Grenzen von community art oder participatory art festmachen lassen. Der Bezug zur Öffentlichkeit im Sinne der Interaktion zwischen Kunst und RezipientInnen wird dabei ebenso in den Blick genommen wie Potenziale und Spannungsfelder des öffentlichen Raums. In der vorausgehenden Projektbeschreibung soll ein grober Einblick in Ablauf und Prozesshaftigkeit der Projekte gegeben werden – auf zentrale Begriffe wird bereits an dieser Stelle verwiesen.

„Wer mitmacht, kommt vor“ oder Wege zum empowerment (Literaturhaus Salzburg )

Das im Zuge des Partizipationstages ausgerichtete Literaturprojekt sollte sich in einen öffentlichen Zusammenhang stellen und Teil des öffentlichen Raumes werden, so die Idee des Literaturhaus-Leiters Tomas Friedmann im Vorfeld der Veranstaltung. – „Literatur in die Stadt tragen“, das hatte das Literaturhaus-Team als Motto der Aktion gewählt. Ausgangspunkt des vierstündigen Projekts war aber vorerst der Veranstaltungssaal des Salzburger Literaturhauses, der zum Workshopraum umfunktioniert wurde.

Ablauf und Umsetzung: In einem halbstündigen Workshop führten zwei ModeratorInnen der ZWT in den Themenkreis „SelbsterMUTigung“ ein. Individuelle Selbstermächtigung, so das Ergebnis der gemeinschaftlichen Diskussion der ModeratorInnen mit den insgesamt sechs TeilnehmerInnen, stehe in direktem Verhältnis zur Teilhabe an sozialen, politischen, kulturellen oder wirtschaftlichen Prozessen. Die Erkenntnis, „empowerment“ sei die grundsätzliche Voraussetzung für partizipative Projekte, bildete somit die genuine Basis für die eigentliche Kunstaktion.

Der theoretischen Reflexion folgte der Versuch einer praktischen Umsetzung dieses gemeinsam erarbeiteten empowerment-Begriffs: Auf dem (Fuß-)Weg zum und am Hauptbahnhof Salzburg hatten die TeilnehmerInnen die Möglichkeit, Literatur zum Thema Partizipation öffentlich zu inszenieren. Sich selbst und dem Thema eine Stimme zu geben, den Mut zur Performance aufzubringen, galt als formuliertes Ziel der ModeratorInnen Susanne Halbig (Leiterin der Mutfabrik) und Helmut Peters (Autor). Verschiedene Formen von improvisierten, aber auch spontan choreographierten Performances wurden im Zuge der Aktion am Hauptbahnhof erprobt und dokumentiert. Der in der Performance immer wiederkehrende Satz: „Wer mitmacht, kommt vor“ thematisierte dabei die Notwendigkeit des „empowerments“ für ein öffentliches Gehört-Werden. Andere Texte – meist kleinere Zitate – machten die eigene Stimme, Mut oder auch das Scheitern von Selbstermutigung zum Thema. Die Aktion wurde damit in gewisser Weise selbstbezüglich und in einem doppelten Sinn zum „performativen Akt“, wie Austin den Begriff definiert (vgl. Austin 1962: 47).star (*1)

Megaphone_web

Die mitgebrachten Megafone nahmen als Gestaltungsmittel und als integrierendes Element eine Schlüsselfunktion ein: Der Spaß am Erproben des neuen Mediums und das „Sich-an-etwas-anhalten-Können“ wurden von vielen PassantInnen als Grund für ein Partizipieren an der Kunstaktion genannt. Anschließend an die „literarische Aktion“ wurde im Literaturhaus über Erfahrungen und Eindrücke reflektiert und die Ergebnisse des Projektes wurden dokumentiert.

Zeitungstheater und Forumtheater: Kunst und Beteiligung nach Augusto Boal

Um die Verbindung von Theater und Partizipation zu zeigen, hatten sich die beiden Theaterprojekte des Landestheaters Salzburg und des Friedensbüros Salzburg an den Theatertheorien Augusto Boals orientiert. Dieser hat in seiner Schrift Legislative Theatre: Using Performance to Make Politics auf den Zusammenhang von Performance-Kunst und politischer Partizipation hingewiesen und gilt als Begründer des „Theaters der Unterdrückten“ (siehe Boal 1989).star (* 2 ) Hier wird Theater, wird Kunst zum tatsächlich politischen Werkzeug: Aufhänger und Impulsgeber der Theaterszenen sind gesellschaftlich relevante Themen, die in improvisatorischen szenischen Aufführungen thematisiert und bearbeitet werden. Entscheidender Handlungsträger ist dabei das Publikum: Es wird vom bloßen Rezipienten zum Akteur, kann sich mit seinen Bedürfnissen, Gedanken und Meinungen in die Handlung einbringen. In gemeinsamen Reflexionsrunden werden – so Boals grundsätzliche Intention – Schriften aufgesetzt, in denen die Wünsche der Bevölkerung/der Teilnehmenden dokumentiert werden. Um tatsächlich Teil der politischen Entscheidungen in Hinblick auf das bearbeitete Thema zu werden, sollen diese formulierten Papiere anschließend an PolitikerInnen in Entscheidungsfunktionen übergeben werden. Im Rahmen der in diesem Zusammenhang kleinen Projekte von Friedensbüro und Landestheater musste auf den letzten Punkt aus aktuellem Anlass verzichtet werden.*2 *( 2 )

1. „Wem gehört die Stadt?“: Von Obdachlosen und Schauspielern (Friedensbüro Salzburg)

Das Theaterprojekt des Friedensbüros Salzburg wählte mit der Geschichte eines Obdachlosen ein in Salzburg viel und kontrovers diskutiertes Thema. Mit dem Untertitel „Wem gehört die Stadt?“ thematisierte sie den vielgefochtenen Kampf um den öffentlichen Raum, der sich auch im Verlauf dieses Projekts in Form von Anfeindungen der Akteure widerspiegelte.

Ablauf und Umsetzung: Das Team des Friedensbüros erstellte im Vorfeld des Projektes ein Drehbuch, in dem die Entwicklung des Protagonisten Holzer – vom Angestellten zum Obdachlosen – erzählt wird. In kurzen Sequenzen wurde diese Verfallsgeschichte dann am Aufführungstag szenisch an verschiedenen Orten in Salzburg dargestellt. Die Moderatorin unterbrach mehrmals das Geschehen auf der Bühne und befragte das Publikum: „Was ist in der eben gezeigten Szene passiert? Welche Handlungsoptionen bleiben dem Protagonisten bzw. was soll Holzer an dieser handlungsentscheidenden Stelle des Stückes tun?“ Je nach Publikumsentscheid improvisierten die SchauspielerInnen dann die Handlungsvorgabe der ZuschauerInnen, machten damit verschiedene Handlungsalternativen des Protagonisten, aber auch seines Umfeldes (Frau, Chef, Sozialarbeiterin) sichtbar. Das große Interesse am behandelten Thema wurde nochmals in der Reflexionsrunde am Ende des Stückes deutlich, an der sich mehr PassantInnen beteiligten als an der Gestaltung des Stückes.

2. Zeitungstheater (Bürgertheater des Landestheaters Salzburg)

Das Zeitungstheater, initiiert vom Bürgertheater des Landestheater Salzburg, ist wie auch das Forumtheater eine Spielform des „Theaters der Unterdrückten“ Augusto Boals. Anhand von tagesaktuellen Zeitungsartikeln werden hier von einer Laienschauspieltruppe – in diesem Fall dem Bürgertheater des Landestheaters Salzburg – Theaterhandlungen improvisiert. „Ziel des Zeitungstheaters ist es, die sogenannte ‘Objektivität’ des Journalismus zu decouvrieren: Richtig lesen lehren und lernen. […] Das Zeitungstheater stellt die Realität der Fakten wieder her, indem es die einzelne Meldung aus dem Zeitungskontext herauslöst, sie ohne verzerrende Vermittlung direkt vor den Zuschauer stellt“, so Augusto Boal in seiner Schrift Theater der Unterdrückten (Boal 1989: 29). Neben bzw. im Zuge dieser Schulung einer Medienkritik ist bei dieser Form des Theaters wiederum die aktive Beteiligung des Publikums gefragt. Anders als bei dem Projekt des Friedensbüros besteht hier auch die Möglichkeit des aktiven Mitspielens, des Erfindens eines Charakters, des Erdenkens von individuellen Handlungsstrategien. Boal: „Theater ist die menschliche Fähigkeit, sich selbst im Handeln zu betrachten. Die Selbsterkenntnis, die der Mensch auf diesem Weg erwirbt, erlaubt ihm, sich Variationen seines Handelns vorzustellen und Alternativen zu erproben“ (Boal 1999: 24).star (*3 ) Die Parallelen zu Jungks Denken werden in diesen Zeilen besonders deutlich (vgl. z.B.: Jungk 2009: 9ff).star (* 9 )

Ablauf und Umsetzung: Kurz vor der Aktion wurden Tageszeitungen auf gesellschaftlich relevante, aktuelle Beiträge hin durchgeblättert, repräsentative Teaser anschließend ausgeschnitten und als Aufhänger/Impuls für die szenischen Darstellungen verwendet. Ausgewählte Themen waren z. B. die anstehende Landtagswahl oder die viel diskutierten Auswirkungen von Pestiziden. Wie auch bei den beiden anderen Projekten wurde durch aktives Zugehen auf das Publikum um MitstreiterInnen geworben. Lehnten PassantInnen ein Mitwirken an der Aktion ab, fragten ModeratorInnen der ZWT nach Motiven von Partizipation- und Antipartizipation. Die Ergebnisse wurden gesammelt, das Projekt dokumentiert und wiederum in einer eigenen Diskussionsrunde reflektiert.

Resümee: Kunst : Partizipation : Öffentlichkeit

Die Leistung der beschriebenen Kunstprojekte liegt zuallererst in der Beförderung der Publikumspartizipation. In Hinblick auf das Tagungsthema „Kunst der Partizipation“ kann darin eine Stärkung des – als Voraussetzung für Partizipation ausgemachten – „empowerment“ konstatiert werden. Die Theaterprojekte lassen sich auch mit dem Postulat Robert Jungks, die Phantasie sei bedeutsames Gestaltungsmittel für eine bessere Zukunft, zusammenbringen (Jungk 2009: 9ff).star (* 9 ) Indem die SchauspielerInnen und ModeratorInnen die Wünsche und Vorschläge der ZuseherInnen in die Handlung der Stücke einarbeiteten, zeigten sich die partizipativen Möglichkeiten jedes/r einzelnen Teilnehmenden.

Durch Vor- und Nachbereitung konnten die Kunstprojekte nicht nur vermittelt, sondern auch in größere Zusammenhänge gestellt werden. Die Teilnehmenden wurden zudem über die jeweiligen Themen eingehend informiert und in gesellschaftsrelevante Diskurse mit einbezogen. Theoretische Informationen zum Thema Partizipation, die Konfrontation mit gesellschaftspolitischen Themen und dem eigenen Mitmachen bzw. Nicht-Mitmachen können als eine Beförderung der Sensibilisierung hinsichtlich der eigenen Rolle in Beteiligungsprozessen gewertet werden. Anhand der durch Zeitungs- und Forumstheater praktischen Umsetzung der Theatertheorien Boals konnte Partizipation auch als soziopsychologischer Empathiebegriff im Sinne eines „social and participating concerns“ (Zahn-Waxler/Radke-Yarrow 1990: 132)star (* 12 ) fruchtbar gemacht werden.

Vor allem in den beiden Theaterprojekten und der von Boal formulierten Theatertheorie liegt ungemeines Potenzial einer gelungen, öffentlichkeitswirksamen Form von Teilhabe. Eine Möglichkeit, hierbei Nachhaltigkeit zu garantieren, wäre – wie von Boal intendiert – die Dokumentation bzw. einen gemeinschaftlich formulierten Text an (Kommunal-)PolitikerInnen zu übermitteln. Ganz im Jungkschen Verständnis aktiver Mitwirkung des/der Einzelnen an der Gestaltung wünschenswerter „Zukünfte“ (vgl. dazu: v. a. Jungk/Müllert 1981)star (* 8 ) liegt auch die Intention Boals darauf, sich mit potentiellen zukünftigen Entwicklungen auseinanderzusetzen und aktiv an diesen Entwicklungen zu partizipieren. Eine Verbindung von Boals Ansätzen mit politischen Theorien, wie Oliver Marchart hinsichtlich community und participatory art Projekten einfordert, könnte für eine Weiterentwicklung des Modells angedacht werden (Marchart 1999).star (* 10 )

Kunst : Rezipient

Das Mitmachen der ZuschauerInnen bei derlei Projekten ist – so auch die Erfahrung der VeranstalterInnen – keineswegs selbstverständlich. Im Falle des Literaturhaus-Projekts zeigte sich das Megafon als Möglichkeit, der Angst und den Bedenken der potentiellen AkteurInnen entgegenzusteuern. Den damit erfolgten Rollentausch vom Rezipienten zum Akteur, von der Rezipientin zur Akteurin der Aktion hatten sich einige der TeilnehmerInnen – so der Konsens in der Reflexion nach dem Projekt – (vorerst) nicht zugetraut. Die Selbstermutigung und Selbstermächtigung der Beteiligten (empowerment) zur aktiven Mitgestaltung der Aktion hatte damit auch pädagogischen und psychologischen Wert (zur pädagogischen und psychologischen Wirkung von empowerment siehe Moser 2010: 87ff).star (* 5 )

Die beiden Theaterprojekte zielten ebenfalls auf eine „Erziehung“ ihres Publikums ab: Einerseits – frei nach Kant – sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, anstatt vorgefertigte Meinungen von Presse oder Politikern zu übernehmen. Andererseits wurden in der aktiven Teilnahme am Theatergeschehen verschiedene Handlungsstrategien erprobt, die in der anschließenden Diskussion von den TeilnehmerInnen – hinsichtlich der tendenziell polarisierenden Meinungen bestimmte Themen betreffend – als erhellend empfunden wurden.

Kunst : öffentlicher Raum

Hinsichtlich der Nachhaltigkeit und des tatsächlichen partizipativen Potentials der Projekte ist v. a. die Rezeption durch eine breitere Öffentlichkeit notwendig. Durch Aufführungen im öffentlichen Raum können relevante Themen an die Menschen herangebracht und öffentlich zur Diskussion gestellt werden. Der Salzburger Hauptbahnhof als Performance-Ort zeigte sich als optimaler Aufführungsort für das Literaturhaus-Projekt: Einerseits aufgrund der hohen Frequenz und Fluktuation von Menschen vor Ort, andererseits auch aufgrund der Varianz verschiedener Menschengruppen (hinsichtlich Alter, Gender, Herkunft). Die Performances in der Wartehalle und an den Bahnsteigen enthielten zudem Provokationspotenzial, denn die Durchsagen und Ansagen über Ankunft und Abfahrt von Zügen konnten aufgrund der Megafon-Performance bald nicht mehr ausreichend verstanden werden. Diese Durchbrechung der bahnhöflichen Geräuschkulisse wurde von einigen Reisenden als Provokation empfunden und mit Kopfschütteln oder verbalen Attacken goutiert. Zugleich wurde der Aktion dadurch aber mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Ähnliche Situationen ergaben sich auch bei den anderen Projekten: Die Spannungsfelder zwischen Kunst und öffentlichem Raum zeigten sich hier in einer Szene besonders deutlich: Das Friedensbüro wählte als ersten Aufführungsort einen Platz vor einem Salzburger Café und begann mit der szenischen Aufführung: Der Protagonist Holzer kauerte vor dem Lokal und bat die CafébesucherInnen, die sich gerade beim samstäglichen Brunch befanden, um Geld. Ein anderer Schauspieler, den Kellner mimend, stürmte aus dem Café und vertrieb Holzer mit lautstarken Schimpftiraden und einem Tritt in den Hintern. Bevor die Moderatorin jedoch die schockierten CafébesucherInnen und PassantInnen in die Geschichte einführen und nach (alternativen) Handlungsmöglichkeiten befragen konnte, tauchte der reale Wirt des Cafés auf und drohte mit Besitzstörungsklage. Das Provokationspotenzial und die Reibungsfläche zwischen Personen des öffentlichen (Bahnhof) und des halböffentlichen Raums (Café) wurden hier zugleich zum Aufmerksamkeitsgenerator und sollten auch weiterhin als öffentlichkeitswirksame Strategie gezielt eingesetzt werden (Weinhold 2005: 41).star (*11 )

Wie auch im Call für diese Ausgabe formuliert wurde, braucht Kunst einen gewissen Grad an Öffentlichkeit und öffentlichem Interesse. „An die Öffentlichkeit zu gehen“ bedeutete nun hinsichtlich der drei besprochenen Aktionstag-Projekte zweierlei: Einerseits im Sinne der public art im öffentlichen Raum künstlerisch zu agieren und andererseits die Öffentlichkeit – die PassantInnen – in ihre Performance einzubeziehen. Im Falle der drei vorgestellten Projekte ist das der Kunst immanente Bedürfnis nach Öffentlichkeit also nicht nur der grundsätzlichen Notwendigkeit geschuldet, ZuschauerInnen für die eigene Performance zu gewinnen; vielmehr ist das Gelingen der Projekte von Öffentlichkeit/vom Publikum/von RezipientInnen abhängig, die Co-Autorschaft der RezipientInnen für den Schöpfungsprozess wesentliche Voraussetzung. (Gesellschafts-)politische Themen in die Öffentlichkeit zu tragen, sie gemeinsam mit Betroffenen und InteressentInnen zu diskutieren und aktiv und kreativ zu bearbeiten – dieses Ziel konnte bei allen drei Projekten umgesetzt werden. Die Projekte stellen sich somit klar in die Tradition der community bzw. participatory art und tragen damit nicht nur zur Meinungsbildung der ZuschauerInnen bei – die Dokumentation der insgesamt elf Projektergebnisse werden in der Dezember-Ausgabe der JBZ Arbeitspapiere publiziert und einem breiten Publikum zugänglich gemacht, dem es frei steht, die Ergebnisse weiterzubearbeiten, Anleihen zu nehmen und/oder ähnliche Projekte umzusetzen. Die Vermittlung der Projektergebnisse nach der erfolgreichen Durchführung sichert somit nicht nur die Nachhaltigkeit der Ergebnisse, sie kann für interessierte LeserInnen auch Initialzündung sein, wieder aktiv an aktuellen, gesellschaftlichen, politischen, sozialen oder künstlerischen Diskussionen zu partizipieren und von ihrem Recht auf Mitbestimmung Gebrauch zu machen.

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Austin, John L. (1962): How to Do Things with Words. Oxford: Clarendon Press.

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Boal, Augusto (1989): Theater der Unterdrückten. Frankfurt a. M.: Suhrkamp

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Boal, Augusto (1999): Der Regenbogen der Wünsche. Methoden aus Theater und Therapie. Seelze: Kallmeyer

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Boal, Augusto (1998): Legislative Theatre: Using Performance to Make Politics. London, New York: Routledge.

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Moser, Sonja (2010): Beteiligt sein. Partizipation aus Sicht von Jugendlichen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

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Spannos, Chris (Hrsg) (2008): Real Utopia. Participatory Society for the 21st Century. Oakland/Edinburgh/West Virginia: AK Press.

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Herringer, Norbert (2009): Grundlagentext Empowerment, online:

http://www.empowerment.de/grundlagentext.html

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Jungk, Robert/Müllert, Norbert (1981): Zukunftswerkstätten. Mit Phantasie gegen Routine und Resignation. München: Heyne

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Jungk, Robert (2009): Kunst als Zukunft. In: Walter Spielmann, Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen, Lebensministerium (Hg.): Die Einübung des anderen Blicks. Gespräche über Kunst und Nachhaltigkeit. Salzburg: JBZ-Verlag. S. 9ff.

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Marchart, Oliver (1999): Kunst, Raum und Öffentlichkeit(en). Einige grundsätzliche Anmerkungen zum schwierigen Verhältnis von Public Art, Urbanismus und politischer Theorie, online: http://eipcp.net/transversal/0102/marchart/de

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Weinhold, Kathrein (2005): Selbstmanagement im Kunstbetrieb. Handbuch für Kunstschaffende. Bielefeld: transcript.

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Zahn-Waxler/Radke-Yarrow (1990): The Origins of Empathic Concern. In: Motivation und Emotion 14/2. S. 107-130.

Im Dezember 2013 erscheint das von der Robert Jungk Stiftung herausgegebenen JBZ Arbeitspapier, in dem sich eine Projektdokumentation der Zukunftswerkstättentagung und der 13 Projekte des Aktionstages finden; mehr Informationen dazu: http://www.jungk-bibliothek.at/

Die ursprüngliche Zusage von Bürgermeister Schaden, bei der Präsentation der Ergebnisse des Partizipationstages zugegen zu sein und den Teilnehmenden für ihr Engagement zu danken, konnte aufgrund der im Voraus nicht absehbaren politischen Dramaturgie nicht realisiert werden: Am darauf folgenden Tag, dem 5. Mai, wurde der Salzburger Landtag neu gewählt.

Claudia Höckner ( 2013): Betroffene zu Beteiligten machen. Chancen und Grenzen partzipativer Kunstprojekte. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 03 , https://www.p-art-icipate.net/betroffene-zu-beteiligten-machen-chancen-und-grenzen-partzipativer-kunstprojekte/