It’s the music, stupid!

Im US-Präsidentschaftswahlkampf von 1992 gewann Bill Clinton überraschend gegen den aufgrund außenpolitischer Erfolge (Kalter Krieg, Golf-Krieg) hoch favorisierten George Bush Senior. Vor allem deswegen, weil Clinton das Augenmerk mit seinem berühmten Slogan „It’s the economy, stupid!“ auf die eigentlichen Probleme lenkte: die Rezession im eigenen Land, den Zustand im eigenen Land.

Nun, was hat dies mit dem heutigen Musikleben zu tun? Leider recht viel. Die Diskussionen in der Musikwelt drehen sich um die „Musik-tragenden Institutionen“, sozusagen um die Repräsentanzen einer reichen Musikkultur, oder – um im Bild zu bleiben – es geht um die Sphäre der „Außenpolitik“ in der Musik. Es krankt aber im Inneren, im Nahen, im Unmittelbaren, wo stets die wirkliche Liebe für Musik wächst und die gesellschaftliche Wertschätzung entsteht, die die großen und teuren Formate wie Orchester und Oper legitimieren kann. Wir setzen oft das Überleben unserer Kunst mit dem Überlebenden der großen Häuser und glamourösen Institutionen gleich.

It’s the music, stupid!

Wir müssen also dringend zurück zum Kern und Sinn des Musikschaffens, um dann in flexiblen, kleinen und unmittelbaren Formaten ganz massiv die Entfaltungsräume unserer Musik zu erweitern. Unter welchen Bedingungen aber entfaltet sich Musik? Im Folgenden will ich, aus meiner praktischen Erfahrung abgeleitet, versuchen, einige Antworten zu zwei sehr wesentliche Fragen herauszuarbeiten:

Musik ist nicht gleich Musik – warum nicht?

Musik ist als Zeitkunst extrem von psycho-sozialen Faktoren abhängig. Sie entfaltet sich immer in situativer Abhängigkeit – das heiß: Musik erklingt nie isoliert als reine Musik, sondern wird in ihrer Wirkung bedingt durch zahlreiche, den Zuhörer subjektiv beeinflussende Faktoren. In welcher Tonalität kommuniziert der Veranstalter mit dem Publikum (seriös oder lässig? cool oder ernst?), mit welcher Haltung empfängt er das Publikum? Wie ist die räumliche Situation („Location“) ausgestaltet? Ist das Publikum mobil, gibt es Möglichkeiten der sozialen Interaktion. Wie ist die Pausenverpflegung? Ganz wichtig: Wie endet die Veranstaltung?

All diese Faktoren beeinflussen den Zuhörer und seine sogenannte Offenohrigkeit, also den erhofften Rezeptionszustand, in dem der Hörer vorbehalts- und vorurteilsfrei sich der Musik mit allen Sinnen aussetzt. Alle Rahmenbedingungen, die wir bewusst setzen müssen, beeinflussen das Kunstempfinden. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Konzert seinem Wesen und Existenzgrund nach eine sozial-ästhetische Plattform ist. Das heißt, es dient dem Menschen immer auch zu einer gewissen sozialen und ästhetischen Selbstverortung. Wenn wir mit klassischer Musik aus dem immer enger werdenden bildungsbürgerlichen Schema ausbrechen wollen, so müssen wir uns sehr bewusst überlegen, wie wir die Konzertsituationen und die Kommunikation gestalten, um in heutigen Kontexten einen größere gesellschaftliche Relevanz zu schaffen. Dies muss ohne jede Anbiederung und Verwässerung der Inhalte passieren. Das Angebot lautet: Erlebt etwas Neues in einer Rezeptionssituation, in der ihr euch wohl fühlt. Das muss das Versprechen sein – und es funktioniert. Denn in Zeiten der endlosen Kopierbarkeit und der oberflächlichen Reize ist das Einmalige, das wahrlich Hochwertige und „Auratische“ attraktiver denn je geworden.

Steven Walter ( 2013): It’s the music, stupid!. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 03 , https://www.p-art-icipate.net/its-the-music-stupid/