In der aktuellen Forschung zur Kunstvermittlung wird Kunst nicht als abgeschlossen angesehen, sobald die KünstlerIn „den Pinsel aus der Hand“ legt. Auswirkungen und Weiterführungen des Werkes durch die RezipientInnen werden als Teil der Werke angesehen. Das Kunstwerk wird in der Rezeption weitergeführt, beziehungsweise wird es zum Kunstwerk durch die Prozesse der Rezeption. Auch wenn die KünstlerIn nicht vor Ort ist, so ist die Beziehung zwischen KünstlerIn und BetrachterIn dem Kunstwerk inhärent. (Vgl. Kemp 1985: 8) (*6 ) KünstlerInnen gelten als InitiatorInnen für die Rezeptionsprozesse der Betrachtenden.
Was passiert jedoch, wenn KünstlerInnen die Rolle der KuratorInnen oder VermittlerInnen einnehmen, wenn die Grenzen zwischen Kunstwerk, KünstlerIn, Ausstellungskontext und Vermittlung verwischen? (Vgl. Mörsch 2009: 9-33 (* 9 ) und diess. 2010: 59-72
(* 10 )) Es gilt das Viereck zwischen KünstlerIn, Werk, Ausstellungssituation und BetrachterIn zu untersuchen. (Vgl. Kemp 1985,
(* 6 ) Shearman 1992
(* 11 ))
In diesem Artikel soll aufgezeigt werden, wie die KünstlerIn als ErfahrungsgestalterIn und die RezipientIn als GestalterIn der Wahrnehmungsbedingungen in unterschiedlichen Verhältnissen zueinander stehen können, die wiederum durch das Werk bzw. die Ausstellungssituation vor-informiert werden.
Als theoretische Grundlage dient diesem Artikel die Vorstellung des Kunsthistorikers Oskar Bätschmann von der KünstlerIn als ErfahrungsgestalterIn. Diese wird um eine aktuellere Einschätzung des Philosophen Alva Noë ergänzt. Noë greift dabei die Idee der KünstlerIn als ErfahrungsgestalterIn auf und bezeichnet KünstlerInnen als ErfahrungsingenieurInnen. Er lenkt jedoch den Blick weg von den KünstlerInnen als InitiatorInnen der Erfahrung und hin auf die Gestaltung der Rezeptionsprozesse durch die RezipientInnen. Sein Begriff der sensorimotor contingencies, sich verändernde Sinneskonditionen oder Wahrnehmungsbedingungen durch Bewegung im Raum, ist hilfreich bei der Betrachtung der Rolle der RezipientIn im oben genannten Viereck: KünstlerIn, Werk, Ausstellungssituation und BetrachterIn.
Drei künstlerische Beispiele sollen aufzeigen, wie unterschiedlich die Gestaltung der Erfahrungsprozesse ablaufen kann, bzw. wie KünstlerInnen und RezipientInnen zu AkteurInnen im Ausstellungsraum werden können: Marnix de Nijs Werk Run Motherfucker Run, steht für eine durch den Künstler vorgegebene Erfahrungsgestaltung. Bei Lili Fischers Meute Im Museum eignet sich die Künstlerin den Ausstellungsraum an und bietet den RezipientInnen, in diesem Fall Kindern, an, aus eingefahrenen Erfahrungsmustern auszubrechen. Und zuletzt John Bocks Ohr-Walachei und sein Ausstellungsprojekt FischGrätenMelkStand, die aufzeigen, wie die RezipientIn zu Künstler, Kunstwerk, Ausstellungsort über die sensorimotor contingencies in Kontakt treten kann.
Dorothée King ( 2013): Sensorimotor Contingencies. Kunstvermittlung und Gestaltung ästhetischer Erfahrung. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 03 , https://www.p-art-icipate.net/sensorimotor-contingencies/