„Das Museum als Ort ehrlicher Kommunikation“

Das Studio Geschichte im Salzburg Museum Neue Residenz als Experimentierraum zur dialogischen Kulturvermittlung.
Sandra Kobel im Gespräch mit Timna Pachner

Vielleicht könntest du an einem konkreten Beispiel aus dem Studio Geschichte darauf eingehen, inwiefern auch museumsfremde Personen in den Vermittlungsprozess eingebunden wurden.

Zum Beispiel haben jene Leute, die sich ins Studio Geschichte einbrachten, auch maßgeblich das Vermittlungsprogramm mitgetragen. Mit den Geschichtenkurier:innen gestalteten wir beispielsweise auch Erzählcafés. Da waren meistens etwa drei Geschichtenkurier:innen unterschiedlichen Alters zusammen anwesend. Dabei war uns vor allem der generationenübergreifende Aspekt wichtig. Solche Veranstaltungen waren von Anfang an Teil des Konzepts. Wir hatten darüber hinaus auch Spezialvorträge zu den Orten der Erinnerung. Einer der Geschichtenkuriere war übrigens der Leiter des Bereichs „Bildung und Vermittlung“ an der Dokumentation Obersalzberg, Mathias Irlinger. Er hatte ein Album als Objekt ausgewählt, das Teil der neuen Ausstellung der Dokumentation Obersalzberg werden sollte. In diesem Album geht es um fotografische Inszenierungen zur Zeit des Nationalsozialismus. Dieser Kollege war sozusagen die Brücke zur Dokumentation Obersalzberg: Wir hatten dann beispielsweise eine gemeinsame Vortragsreihe oder boten Packages für Schulen an. Das heißt, Schulen aus Salzburg hatten die Möglichkeit zu uns zu kommen und zur Dokumentation zu fahren. Umgekehrt konnten Schulen aus Bayern auch beide Orte besuchen. Wir konnten dafür dann sogar eine Fahrtkostenunterstützung bewirken. Grenzübergreifende Projekte waren uns ein Anliegen.

Du hast angesprochen, dass ihr diese Veranstaltungen bereits bei der Planung des Studio Geschichte mitgedacht habt. Waren dementsprechend dann auch die konkreten Inhalte von Anfang an festgelegt, oder haben sie sich im Prozess ergeben?

Teils, teils, würde ich sagen. Die Dokumentation Obersalzberg bildet eine Ausnahme im Vergleich zu anderen Geschichtenkurier:innen. Wir sind mit der Dokumentation Obersalzberg wirklich ganz bewusst in einen inhaltlichen Austausch gegangen: Dort findet man einfach die Expert:innen für Vermittlung zur Thematik. Zudem ist sie in unmittelbarer Nähe. Nicht zuletzt entstand die Kooperation auch daraus, dass die Dokumentation selbst neu konzipiert und neu eröffnet wird und sich das dortige Team mit ähnlichen Fragen beschäftigte: „Welche Räume braucht es, um Themen rund um den Nationalsozialismus ehrlich zu vermitteln?“, „Wie kann ein ehrlicher Diskurs angeregt werden, ohne Klischees zu reproduzieren?“ Die Zusammenarbeit mit der Dokumentation Obersalzberg ging dann so weit, dass Personen aus dem dortigen Team eine Schulung für unser Vermittlungsteam zum Thema „Sprachsensibilität“ gemacht haben. Das war etwas, das im Vorfeld gar nicht planbar gewesen wäre, sondern sich im Prozess als totale Bereicherung erwiesen hat.

Du hast es ja bereits mehrfach angesprochen: Alltagserfahrungen und kulturelle Praktiken der Menschen habt ihr zum Beispiel in Form der Geschichtenkurier:innen in die Gestaltung des ersten Studio Geschichte einbezogen. Welche Erkenntnisse habt ihr daraus gewonnen?

Wir haben durch das Studio Geschichte vieles gelernt. Zum Beispiel haben wir erfahren, welche Fragen die Leute wirklich beschäftigen. Es gab für die Besucher:innen ja auch die Möglichkeit, Fragen zu stellen: ans Museum 1938, 2018 und ans Museum der Zukunft. Da haben wir extrem viel gelernt. Es ist beispielsweise unfassbar oft die Frage gestellt worden, welche Rolle der Islam zur Zeit des Nationalsozialismus gespielt habe. Das war weder in der Ausstellung noch im Studio Geschichte Thema, für viele Besucher:innen aber schon. Und darauf hatten wir im ersten Moment überhaupt keine differenzierte Antwort. Die Fragen waren Ausgangspunkt für uns, neue Aspekte zu beleuchten. Das ist wirklich das Tolle an den Räumen, dass man merkt, welche Perspektiven die Menschen haben, die zu diesen Ausstellungen kommen oder was sie an einem Thema interessiert.

Das Salzburg Museum ist Kooperationspartner im Projekt Räume kultureller Demokratie. Ab 8. April 2022 wird das Studio Geschichte unter dem Motto „Nachhaltig genießen“ neu eröffnet und knüpft dabei an Zwischenergebnisse des Projektes an. Auch Vermittlungsformate, die im bisherigen Forschungsprozess entwickelt wurden, sollen erprobt und aufgegriffen werden.

Das Interview wurde vor Beginn der Corona-Pandemie geführt. Mittlerweile gibt es verschiedene digitale Vermittlungsformate am Salzburg Museum, die auch kontinuierlich weiterentwickelt werden: beispielsweise live stattfindende Online-Führungen, digitale Veranstaltungen oder digitale bzw. hybride Workshops für Schulklassen. Seit Mai 2020 produziert das Salzburg Museum darüber hinaus einen Podcast mit dem Titel Museum am Sofa. Jede Woche samstags werden darin Geschichten aus den vergangenen Jahrhunderten erzählt.

Sandra Kobel, Timna Pachner ( 2021): „Das Museum als Ort ehrlicher Kommunikation“. Das Studio Geschichte im Salzburg Museum Neue Residenz als Experimentierraum zur dialogischen Kulturvermittlung.
Sandra Kobel im Gespräch mit Timna Pachner . In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 12 , https://www.p-art-icipate.net/das-museum-als-ort-ehrlicher-kommunikation/