„Es geht darum, Möglichkeitsräume zu öffnen!“

Ein Interview mit Marty Huber, Steffi Müller und Klaus Dietl

Laila Huber: Steffi und Klaus, gibt es etwas in Martys Ausführungen, wo ihr anknüpfen möchtet?

Steffi Müller: Das meiste, an dem ich beteiligt bin, geht in Richtung Sichtbarmachen, sichtbar werden und Gehör verschaffen. Es ist ein sehr kommunikativer Ansatz. Ich habe das Gefühl, dass ich oft etwas wie eine Plattform schaffe. Ich mag es, wenn am Anfang Botschaften oder klare Ideen noch nicht so da sind, sondern erst im Prozess beim Aussetzen, beim Voranbringen, beim Machen entstehen. Ich denke an ein Beispiel, bei dem die Idee gemeinsam von ganz vielen verschiedenen Menschen kam: Die „Tage der geschlossenen Türe“, eine Aktionsreihe, die wir 2012 ins Rollen gebracht haben. Da waren SchülerInnen, KünstlerInnen dabei – ganz gemischt, darunter auch Menschen, die aufgrund von Mobilitätseinschränkungen im Alltag behindert werden und eine Performance-Gruppe in München ins Leben gerufen haben: „abArt“. Es stand eine Unterführungspassage im öffentlichen Raum zur Verfügung. 70 Menschen waren beteiligt, aber die Passage war für mindestens 15 von ihnen nicht zugänglich.  Daraus entstand die Idee der „Tage der geschlossenen Türe“. Uns war eigentlich nur bewusst, dass wir eine Ausstellung auf Rädern brauchen, die die zugangsbeschränkte Ausstellungsfläche jederzeit verlassen kann und draußen im Stadtraum allen offen steht. Es ging ums Sichtbarmachen von Missständen und darum, Gehör zu finden.
Beim Gehen oder im Rollen durch die Stadt gab es viele Zwischengespräche. Ich liebe diese Zwischensituationen, sie sind mir oft wichtiger als das, was ich mir eigentlich vorgenommen habe. Aber ganz ehrlich gesagt, nehme ich mir gar nicht so oft etwas Strenges vor. Wenn etwas zu zielorientiert ist, merke ich, dass ich dann einen inneren Widerstand entwickle. Ich habe oft Feedback gekriegt, dass sich die KünstlerInnen wundern, warum ich scheinbar überhaupt keinen Wert auf Kuration lege. Ich brauche diese Freiheit für den Prozess. Ich mag es, wenn Positionen und unvorhergesehene Situationen aneinander kratzen, und dadurch wieder etwas Drittes entsteht.

Marty Huber: Also würdest du dich eher als Situationistin sehen? Denn da geht es ja auch darum, Situationen herzustellen, in denen etwas passieren kann.

Steffi Müller: Das liebe ich.

Marty Huber: Es geht darum, Möglichkeitsräume zu öffnen!

Steffi Müller: Ja, genau. Und dass Menschen, egal wo sie herkommen, egal wer sie interessant oder spannend findet, egal wer sie sind, diese Räume befüllen können.

Marty Huber: Ich finde es gerade sehr spannend, über das Wort Sichtbarkeit nachzudenken. Wir leben in einer Gesellschaft, die sich in einem Exzess von Sichtbarkeitsdoktrin befindet.  Unsere medialisierte Welt lebt davon, alles sichtbar zu machen. Und ich finde es spannend, dass du sagst, es gibt Dinge, die dazwischen passieren, die aber undokumentiert bleiben sollen – denn die Sichtbarkeit zerstört eigentlich diesen Moment. Ich empfinde das immer wieder als ein Dilemma, dass bei geförderten Projekten oft Formen der Produktivitätsnachweise gefragt sind, dass man Sichtbarkeit produzieren muss. Denn es ist ein Unterschied, ob ich sage: Ich entscheide mich, ich will jetzt sichtbar sein. Oder ich sage: Ich brauche diese Räume, aber es soll eigentlich niemand davon wissen. Das verkauft sich extrem schlecht.

Steffi Müller: Dieser Moment, den die Menschen, die am Prozess beteiligt sind, miteinander aushandeln, ist für mich interessant. Mir geht es darum, dass die Fragen und die Ideen, die ausgehandelt werden, eine Chance bekommen, in den Machtdiskurs hineinzukommen. Es gibt so viele Menschen, die da keinen Platz finden oder bekommen, obwohl sie auch etwas zu sagen haben. Wie können ihre Gedanken und Beiträge in den breiten Diskurs einfließen? Welche Kanäle können dabei genutzt zu werden? Wie lässt sich Stück für Stück ein kommunikatives Netzwerk stricken, das aus den Nischen nach außen dringt, wie eine Krake.

Elke Zobl, Laila Huber, Veronika Aqra ( 2016): „Es geht darum, Möglichkeitsräume zu öffnen!“. Ein Interview mit Marty Huber, Steffi Müller und Klaus Dietl. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/es-geht-darum-moglichkeitsraume-zu-offnen/