Die Rolle der Kunst für agonistische öffentliche Räume
Mit Agonismus bezeichnet Mouffe den zwischen zwei oder mehreren Parteien bestehenden konflikthaften Konsens, den sie als Bedingung demokratischer Politik versteht. Sie überträgt diesen Begriff auf kritische künstlerische und kulturelle Praktiken, die aus ihrer Sicht „Räume des Widerstands schaffen können, die das gesellschaftliche Imaginäre untergraben, das für die Reproduktion des Kapitalismus notwendig ist“ (Mouffe 2014: 136). (*12)
Ihr Ansatz steht für die „Auseinandersetzung mit“ anstelle eines Abwendens von bestehenden Institutionen und Machtstrukturen (Mouffe 2014: 18), (*12) baut auf einer Vielzahl gegenhegemonialer Schritte und Strategien auf und zielt auf eine Umgestaltung und Transformation der bestehenden gesellschaftlichen Institutionen ab (vgl. Ebd.). (*12 )
Bezüglich der Rolle von künstlerischen und kulturellen Praktiken für den gesellschaftlichen Wandel hält Mouffe fest: „Wenn wir ihr politisches Potenzial verstehen wollen, sollten wir Formen des künstlerischen Widerstands als agonistische Interventionen im Kontext des gegenhegemonialen Kampfes betrachten“ (Mouffe 2014: 136). (*12)
Künstlerische Interventionen können ihrer Ansicht nach Räume des Widerstreits schaffen bzw. „agonistische öffentliche Räume […], in denen gegenhegemoniale Initiativen gegen die neoliberale Hegemonie gestartet werden können“ (Mouffe 2014: 18f.). (*12)
Bezugnehmend auf Gramsci betont Mouffe die Wichtigkeit kultureller und künstlerischer Praktiken für die Herstellung und Verbreitung des „Common Sense“, also ihre Rolle in der Reproduktion oder Infragestellung einer bestehenden Hegemonie.
Wesentlich in Bezug auf die Herstellung agonistischer öffentlicher Räume ist dabei die zugrundeliegende Vorstellung von öffentlichem Raum als Raum des Widerstreits und nicht des Ziels der Herstellung eines Konsens (vgl. Mouffe 2014: 143). (*12)
Die Rolle der Kunst und KünstlerInnen sieht Mouffe darin „neue Praktiken und Subjektivitäten [zu] entwickeln“, um so dazu beizutragen, „die bestehenden Machtkonfigurationen zu unterminieren“ (Mouffe 2014: 158). (*12)
Mouffe spricht von „kritischen künstlerischen und kulturellen Praktiken“ und verwendet gelegentlich den Begriff der „künstlerischen Intervention“. Allgemein von künstlerischen und kulturellen Praktiken zu sprechen und nur punktuell von „künstlerischen Interventionen“ – bezugnehmend auf den Künstler Alfredo Jaar (Mouffe 2014: 144-149) (*12) – erscheint insofern sinnvoll, als das Agieren von KünstlerInnen in kollektiven Prozessen kritischer Praxis und Wissensproduktion nicht immer mit einer Intervention ihrerseits gleichzusetzen ist – vielmehr beteiligen sich KünstlerInnen mit ihrem spezifischen Wissen an kollektiven Prozessen (sozialen Bewegungen, etc. ) und insofern an kollektiven „gegenhegemonialen Interventionen“ (vgl. Mouffe 2014: 158). (*12)
Die „künstlerische Intervention“ kommt dann ins Spiel, wenn gesellschaftlich eingreifende, kollektive Prozesse durch KünstlerInnen initiiert werden oder aber eine gesellschaftspolitische Aktion spezifisch als künstlerische Intervention konzipiert und als solche vermittelt wird – sich also sowohl im Kunstfeld als auch im politischen Feld positioniert bzw. beide Felder (mit ihren Institutionen und Spielregeln) als Bezugspunkt einer spezifischen Handlung dienen.
Von kritischen künstlerischen Praktiken als „gegenhegemoniale Interventionen“ zu sprechen führt zu einer leichten gleichwohl bedeutenden Verschiebung der Perspektive: „Gegenhegemonial“ bezeichnet die Zielrichtung der Intervention, also die Motivation des Handelns, hingegen bezeichnet der Begriff „künstlerische Intervention“ die künstlerischen Mittel bzw. die als künstlerisch aufgefassten Mittel der spezifischen Intervention und impliziert dabei die Frage nach der Legitimität der Handelnden – denn wer hat „künstlerische“ Mittel zur Hand? Die/der KünstlerIn oder jede/r AkteurIn? Insofern impliziert der Begriff der „künstlerischen Intervention“ die Anerkennung des machtvollen und handlungsmächtigen Standortes der/des KünstlerIn und wirkt dementsprechend potenziell exklusiv bzw. ausschließend. Die „gegenhegemoniale Intervention“ sagt im Gegensatz dazu primär nichts über die handelnden AkteurInnen und ihre soziale Zusammensetzung aus, sondern benennt das Ziel der angestrebten Transformation etwas am Status Quo der gesellschaftlichen Machtpositionen ändern zu wollen. Wer sich aller an diesem kollektiven Prozess beteiligt, deren Teil kritische künstlerische Praktiken sein können, ist begrifflich nicht festgelegt und insofern potenziell inklusiv (für all jene, die der Hegemonie etwas entgegensetzen wollen).
Mouffe stellt fest: „Betrachtet man sie als gegenhegemoniale Interventionen, so können kritische künstlerische Praktiken zur Schaffung einer Vielzahl von Orten beitragen, an denen die vorherrschende Hegemonie infrage gestellt werden kann.“ (Mouffe 2014: 158) (*12)
Abgesehen von den zu berücksichtigenden Machtpositionen, die der Begriff „künstlerische Intervention“ impliziert, verweist er jedenfalls auf den Wunsch, Kunst als Widerstand (vgl. Sturm 2011) (*17) und als Werkzeug (vgl. Schmutzhard 2003) (*15) gesellschaftlicher Transformation zu verstehen.
Laila Huber, Elke Zobl ( 2014): INTERVENE! Künstlerische Interventionen II: Bildung als kritische Praxis. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 05 , https://www.p-art-icipate.net/intervene-kunstlerische-interventionen-ii-bildung-als-kritische-praxis/