Wozu das Ganze?
Absichten, Zwecke und Wirkungen sozietärer künstlerischer Partizipationsprojekte
Durch die Verschränkung der genannten Parameter ergeben sich typische Sets von Einzelaspekten. Diese Kombinationen machen einen distinkten Typus von Beteiligung in der Kunst aus. So kristallisieren sich, wie ich argumentiere, vier Typen partizipatorischer bzw. partizipativer Praxis heraus:
- Individual-Partizipation
- Systemische Partizipation
- Konjunktivische Partizipation
- Sozietäre Partizipation
Im Zentrum der Individual-Partizipation steht die somatische, physisch-räumliche oder reflexive (Selbst-)Erfahrung von Individuen, beispielhaft ablesbar an Carsten Höllers Rutscheninstallation Test Site, Tate Modern, London 2006. Tendenziell ist die Haltung der Partizipierenden eine konsumistische. Individual-Partizipation findet sich vorrangig in den Formaten Handlungsanweisung bzw. operatives Setting. Um RezipientInnen die intendierte (Selbst-)Wahrnehmungen zu ermöglichen, stellen KünstlerInnen eigens entwickelte Werkzeuge zur Verfügung.
Systemische Partizipation meint eine Teilhabe, die das System Kunst mit seinen stetig zur Disposition stehenden Vorstellungen von Werk, AutorIn und der Rolle der RezipientInnen betrifft. Sie zielt primär auf die Reflexion und Öffnung von Kunstbegriff und -betrieb ab, wie z.B. Allan Kaprows Objektkästen oder seine ‚begehbaren Situationen’ von aufgehäuften Autoreifen dies tun (Yard, Martha Jackson Gallery, New York 1961). Systemische Partizipation realisiert sich in sehr unterschiedlichen Formaten. Häufig sind solche Beteiligungsangebote eher strategische Platzierung innerhalb bestimmter Diskurse (wie etwa Kunst im öffentlichen Raum) als Angebote zu einer tatsächlichen mitgestaltenden Teilhabe.
Konjunktivische Partizipation bewegt sich im Feld des Als-ob und Was-wäre-Wenn. Entweder verfolgen KünstlerInnen offensiv die Praxis der instrumentellen Partizipation, oder Beteiligungsangebote sind von vornherein symbolisch angelegt und fungieren als Fake wie z.B. Andy Warhols 1962er Do It Yourself Paintings. Eine dritte Spielart besteht darin, dass Kunstschaffende kontra-partizipative Vermittlungsstrategien wählen, hier können Franz Erhard Walthers Handlungsobjekte (zum Beispiel 2. Werksatz, seit 1970) herangezogen werden. So werden viele Handlungsobjekte von den RezipientInnen schlicht nicht benutzt, da die auratische Art ihrer Präsentation tradierte Verhaltensregeln aufruft, die immer noch eine reflexive Distanzierung statt einer immersiven Involvierung vorsehen.
Bei Praxen der Sozietären Partizipation hingegen geht es um die Erfahrung oder Etablierung gesellschaftlicher Gefüge sowie um soziale, politische, kulturelle Sachverhalte und Fragestellungen. Die Beteiligung findet kollektiv oder kooperativ statt, die Rolle der Partizipierenden ist konstitutiv für das Projekt. Der Effekt auf sie ist politisierend, emanzipativ oder didaktisch. Gruppenarbeit, Intervention sowie soziale Praxis sind Formate, in denen sich Sozietäre Partizipation vorrangig realisiert. Ebenso stellen Arbeiten, die sich unter dem Begriff des Ästhetischen Kommunitarismus fassen lassen, typische Formen dar. Dabei handelt es sich um Kunst, die sich mit ihren Mitteln in sozialen und politischen Bereichen engagiert. Ein herausragendes Projekt sozietärer Partizipation stellt das Hamburger Park Fiction (1994-2005) dar. Ästhetischer Kommunitarismus begreift Kunst als ein Möglichkeitsfeld, innerhalb dessen soziale und politische Belange sowie kommunitarische Konzepte verhandelt werden. Historisch betrachtet finden sich zahlreiche in Kunst übersetzte Modelle kultureller und politischer Teilhabe (Joseph Beuys, 7.000 Eichen, 1982-87), aktuell sind es häufig gemeinschaftsbildende oder integrative Maßnahmen wie zum Beispiel Seraphina Lenz’ Die grüne Nacht, Berlin 2001.
Während die Typen Konjunktivische Partizipation, Systemische Partizipation und Individual-Partizipation in der Regel eine monologische Kommunikationsstruktur und ein deutlich hierarchisches Verhältnis zwischen KünstlerIn/Werk und RezipientIn aufweisen, finden sich bei der Sozietären Partizipation eine dialogische Struktur und eine ‑ zumindest dem Anspruch nach ‑ demokratische Verfassung im Sinne einer gleichberechtigten Teilhabe.
Dieser Text beleuchtet künstlerische Partizipationsprojekte in, mit, über und für gesellschaftlich-soziale Gefüge. Er fokussiert die Haltung von KünstlerInnen, partizipatives Arbeiten als Gestaltung von Gesellschaft zu begreifen. Und dabei als ImpulsgeberInnen zu fungieren, als InitiatorInnen und ModeratorInnen gemeinschaftlicher Reflexions-, Meinungs- und Bewusstseinsbildungsprozesse. Solche Projekte haben das Potenzial, bürgerschaftliches Engagement zu stärken. Das ist in Kürze, was der Begriff Sozietäre Partizipation oder sozietäre partizipative Praxis beschreibt.
Silke Feldhoff ( 2016): Wozu das Ganze?. Absichten, Zwecke und Wirkungen sozietärer künstlerischer Partizipationsprojekte. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/wozu-das-ganze/