Wozu das Ganze?
Absichten, Zwecke und Wirkungen sozietärer künstlerischer Partizipationsprojekte
Entscheidungsmacht umverteilen, Demokratie ermöglichen: ein partizipatives Kunst-am-Bau-Projekt von Stephan Kurr
Unter dem Titel …höher, weiter. Ein Erweiterungsbau arbeitete der Künstler Stephan Kurr mit Kindern und Jugendlichen daran, eine bedarfs- und NutzerInnen-gerechte Gestaltung des sie unmittelbar betreffenden baulichen, sozialen und infrastrukturellen Umfeldes zu entwickeln. Dazu wählte er partizipative Verfahren. Solche seit den 1970er Jahren immer differenzierter entwickelten und breiter eingesetzten politischen Instrumente adressieren jedoch fast ausschließlich Erwachsene. Was passiert aber, wenn Kinder über die Gestaltung und Nutzung ihrer Räume bestimmen können? – Dieses Experiment ermöglichte ein Berliner Bezirksamt, das 2009 für einen Grundschul-Neubau einen Kunst-am-Bau-Wettbewerb ausschrieb. Für die Erwin-von-Witzleben-Grundschule sollte eine Gestaltung des Außenraumes realisiert werden, die das Schulleben mehrerer Generationen von SchülerInnen bereichern würde. Beimm Ausschreibungsverfahren wie auch beim Auswahlprozess wurde das Bezirksamt vom Büro für Kunst im öffentlichen Raum des Bundesverbandes bildender Künstler Berlin beratend begleitet. Das Besondere an dem Wettbewerb bestand darin, dass sich der Entwurf durch seinen partizipativen Charakter auszeichnen sollte – eine Anforderung, die bei Kunst-am-Bau-Wettbewerben bisher wahrlich außergewöhnlich ist (vgl. Kunstforum 2012). (*8) Zu dem Verfahren waren sechs KünstlerInnen und Künstlerpaare eingeladen, die sich in Berlin und darüber hinaus durch einschlägige partizipative, künstlerische Projekte profiliert hatten.*3 *(3)
Stephan Kurr war der einzige Bewerber, der statt einer benutzbaren Skulptur im Außenraum einen ergebnisoffenen Prozess vorschlug: partizipatives Arbeiten mit der gesamten Schule. Aus dieser kollektiven Arbeit heraus sollten dann die SchülerInnen Gestaltungsideen für den Außenraum ihrer Schule entwickeln. Er wollte mit allen Beteiligten an der Frage arbeiten, „ob und wie Kinder ihre Lebenswelt selbst gestalten können und wie das dann aussieht“.*4 *(4) Die Wettbewerbsjury votierte einhellig für Stephan Kurrs Entwurf, weil er Partizipation im radikal demokratischen Sinne als Mitbestimmung und Übernahme von Verantwortung proklamierte. Demgegenüber forderte die Grundschule als ‚Empfängerin’ der Kunst-am-Bau-Kunst ein dreidimensionalen WERK für den Außenraum der Schule,*5 *(5) worauf sich die Partner auch in Nachverhandlungen einigten.
Über den Zeitraum eines Schuljahres (August 2010-Juli 2011) fanden unter Beteiligung aller AkteurInnen der Schule – der SchülerInnen, LehrerInnen, der im Hort tätigen ErzieherInnen, der Hausmeisterin, des Schulleiters, des Elternbeirats – in den Schulalltag integrierte Workshops statt, in denen Wünsche und daraus resultierende Entwürfe erarbeitet und visualisiert wurden. Nach einer gründlichen Recherche dazu, wie der Raum in der und um die Schule herum genutzt wurde und welche die Bedürfnisse der Beteiligten waren, arbeitete Stephan Kurr gemeinsam mit den Kindern in Wunschwerkstätten und Modellbauworkshops an der Konkretisierung und Visualisierung ihrer Ideen. Die gemalten, gezeichneten und gebauten Zwischen-Ergebnisse waren für alle Beteiligten einsehbar in der gesamten Schule ausgestellt.
Der gesamte Prozess wurde von den SchülerInnen filmisch dokumentiert. Das Filmen war dabei gleichzeitig Werkzeug der Reflexion des eigenen Tuns wie auch der Kommunikation: Die Filme wurden an die jeweils nächste Klasse weitergegeben. Die Modelle wie die Filme zeigen deutlich, wie sich im Laufe der Zeit besonders folgende Wünsche herauskristallisierten: Achterbahn, Kampfarena, Laufsteg, Labyrinth und immer wieder ein Baumhaus. Diese Vorschläge sind offensichtlich von zwei elementaren Bedürfnissen von Kindern im Grundschulalter motiviert: erstens nach einem Raum zum Sich-Exponieren und zweitens nach einem Raum, um sich zurückzuziehen.
In der letzten Projektphase stand die Entscheidungsfindung für einen oder mehrere Entwürfe der Kinder an, die Weiterentwicklung dieser Idee(n) zu einem konkreten Bauplan und schließlich die Bauausführung. Leider machten baurechtliche, versicherungstechnische und Sicherheitsgründe den weitgehenden Ausschluss der Kinder aus dieser Finalisierungsphase notwendig. Aus denselben Gründen schied auch das gewünschte Baumhaus aus. Eine Bühne und ein Labyrinth jedoch ließen sich realisieren. Damit hatte Stephan Kurr zwei zentrale Themen der SchülerInnen aufgegriffen. Der Wunsch nach einer eigenen Plattform mündete in eine erhöhte Fläche, die Bühne Laufsteg oder Arena sein kann; der Wunsch nach einer Rückzugsmöglichkeit resultierte im Bau eines verwinkelten Zauns, der vielfältige Nischen bildet und eine neue Korrespondenz zwischen innen und außen, zwischen Schule und Stadt formuliert.
Parallel zur Schulhofgestaltung entstand der Film „… höher, weiter. Ein Erweiterungsbau“. Der Dokumentarfilmer Theo Thiesmeier hatte den gesamten Prozess filmisch begleitet, dieses Material wurde mit den Beiträgen der Kinder zusammengeschnitten. So zeigt der Film das Konzept und die praktische Umsetzung des partizipativen Kunst-am-Bau-Entwurfes, vor allem aber zeigt er die Formfindungen der Kinder, die mit der Kamera für sich selbst klären und ihren MitschülerInnen erklären, was sie denken und wollen.*6 *(6) „…höher, weiter. Ein Erweiterungsbau“ macht deutlich, wie die Kinder selbst IdeengeberInnen ihres Kunst-am-Bau-Werkes werden. Dieses innovative Kunst-am-Bau-Projekt befragte unter anderem sozietäre partizipative Kunst auf ihre soziale Wirksamkeit hin.
Silke Feldhoff ( 2016): Wozu das Ganze?. Absichten, Zwecke und Wirkungen sozietärer künstlerischer Partizipationsprojekte. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/wozu-das-ganze/