Grußworte p/art/icipate #13/2022
„Literatur ist die Lüge, die die Wahrheit sagt. Wir haben die Pflicht zu tagträumen. Wir haben die Pflicht uns Dinge auszudenken. Es ist leicht, so zu tun, als könne man nichts ändern, als wäre die Gesellschaft riesig und der einzelne weniger als nichts. Aber in Wahrheit gestalten einzelne die Zukunft, und zwar in dem sie sich vorstellen, dass alles anders sein könnte.“ (Gaiman 2022: o.S.) (*1)
Was Neil Gaiman für die Literatur formuliert, gilt auch für andere künstlerische Sparten. Kunst ist wichtig, weil sie erlaubt die Welt anders zu sehen und die Augen und das Herz für etwas Neues zu öffnen. Es könnte eben alles auch ganz anders sein! Allerdings wird sich das Andere nur dann verwirklichen lassen, wenn die Kunst jene Freiheit hat, sich zu entfalten, die ihr die Verfassung garantiert, und wenn die Fantasien und die Erfahrungen der Vielen hierin ihren Niederschlag finden. Es braucht die Polyphonie der Stimmen in der Kunst, damit all die Einzelnen die Zukunft mitgestalten können. Dass Kunst und Kultur zu den exklusivsten gesellschaftlichen Bereichen zählen, ist also (nicht nur) deshalb ein Skandal, weil damit Rechte auf kulturelle Teilhabe und auf Cultural Citizenship (vgl. Klaus/Zobl 2019) (*2) verletzt werden. Diese Verengung reduziert die Möglichkeiten des Tagträumens, beschneidet die Fantasie, legt der Kreativität enge Zügel an.
Nun sind wir schon mittendrin beim Thema der 13. Ausgabe von p/art/icipate, die sich der Diversität im Kunst- und Kulturbetrieb widmet. Die so wunderbar konzise formulierte Keynote von Hassan Mahamdallie bringt auf den Punkt, worum es geht: “To talk about diversity is merely to express the world around us. Diversity. Just. Is.“ Diversität umgibt uns. Und sie ist essenziell für den kreativen Akt. Mahamdallie argumentiert, dass diejenigen, die sich im Zentrum der Gesellschaft befinden und auch den Kultur- und Kunstbetrieb dominieren, diese nur unzureichend wahrnehmen und reflektieren können. Von den Rändern sieht man besser, hat schon 1984 die Schwarze Wissenschaftlerin bell hooks (*3) formuliert. Es braucht unbedingt die Erfahrungen, Vorstellungen und Tagträume von Mitgliedern marginalisierter Gruppen, um Gesellschaft anders denken zu können. Denn von den Rändern aus können die Prozesse und Geschehnisse im Zentrum der Gesellschaft besser und genauer beobachten werden.
Diese Ausgabe von p/art/icipate des Programmbereichs Zeitgenössische Kunst und Kulturproduktion ist in Kooperation mit dem W&K-Doktoratskolleg und D/Arts – Projektbüro für Diversität und urbanen Dialog – entstanden und dokumentiert die Arbeit dieser 2021 in Wien gegründeten Initiative. Dabei zeigen unter anderem die zahlreichen Interviews sehr anschaulich, wie geschlossen der Kulturbetrieb oft noch ist, verdeutlichen aber auch die Chancen und Möglichkeiten für dessen Erweiterung. Das alles bildet ein solides Fundament für weitere Diskussionen über Diversität im Kulturbetrieb, die in Zukunft auch verstärkt in Salzburg stattfinden sollen. Einen Auftakt dazu bildet die Veranstaltung D_Connect – Kunst und Kultur im Aufbruch am 3. November in der ARGEkultur Salzburg. Diese ermöglicht den Austausch und die Vernetzung im Rahmen eines World-Cafés und beinhaltet auch ein W&K-Forum mit Lecture Performance und Podiumsgespräch.
Ich würde mich freuen, Sie bei dieser Veranstaltung oder einem der zahlreichen weiteren Angebote von W&K kennenzulernen. Unser vielfältiges Programm, das durchaus noch an Diversität gewinnen könnte, finden Sie stets in unserem Newsletter oder Leporello; zu beidem können Sie sich auf unserer Homepage anmelden. Wir hoffen, mit unseren Veranstaltungen und Lehrangeboten zum Tagträumen und Dinge Ausdenken, Reflektieren und Verändern ein wenig beitragen zu können. Denn: „In Wahrheit gestalten einzelne die Zukunft, und zwar in dem sie sich vorstellen, dass alles anders sein könnte“.
Elisabeth Klaus ( 2022): Grußworte p/art/icipate #13/2022. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/grussworte-p-art-icipate-10-2022/