Gerechtigkeit im Kulturbetrieb braucht Gerechtigkeit in der Gesellschaft als Grundlage

Djordje Čenić im Gespräch mit Anita Moser

„Ich habe immer schon an der Geschichte meines Lebens gearbeitet“, sagt der in Salzburg lebende Filmemacher, Historiker und Musiker Djordje Čenić. Seine Erfahrungen als Migrant:innen- und Arbeiter:innenkind in Österreich sind zentraler Motor seiner künstlerischen Arbeit. Sie haben seine Perspektive auf Diversität und strukturelle Ungleichheit grundlegend geprägt, ebenso sein diesbezügliches Engagement, das er auch im D/Arts-Netzwerk ausübt. Im Gespräch mit Anita Moser erzählt Djordje Čenić über seine filmische Arbeit, seine Beobachtungen in Bezug auf Diversität in Salzburgs Kulturlandschaft und in welcher Rolle er dabei das Studio West sieht. Für mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft und im Kulturbetrieb komme man nicht umhin, das österreichische Bildungssystem zu überdenken, so sein Plädoyer.

Du bist in Salzburg als Filmemacher und Musiker tätig. Wie war dein Weg zum Beruf des Künstlers?

Ich bin ein Gastarbeiterkind und 1975 in Linz auf die Welt gekommen. Meine Eltern kamen im Laufe der ersten Hälfte der 1970er Jahre nach Linz und mein Vater begann damals als Schlosser in der VOEST, den größten Stahlwerken Österreichs, zu arbeiten. Meine Mutter fing 1975/76 als Schneiderin in der damaligen Firma Sembella Linz, einer großen Matratzenschneiderei, zu arbeiten an. Ich habe eine klassische Schulkarriere – Volksschule, Gymnasium – hinter mich gebracht. Ob sie allerdings so klassisch war, ist bei einem Ausländer:innenkind natürlich die Frage. In der Volksschule bin ich teilweise mit ärmeren Kindern in die Klasse gegangen, aber auch mit ‚rich kids‘ aus den Einfamilienhaussiedlungen.

Damals merkte ich schon, dass es große Unterschiede gibt: Das waren völlig andere Leben und Strukturen, eigentlich Parallelwelten, in denen wir uns befanden, und trotzdem konnten wir uns treffen, verständigen und anfreunden. Im Gymnasium ging ich mit ‚Jugokindern‘ in die Schule. Am Ende war ich der Einzige von uns, der das Gymnasium abgeschlossen hat. Schließlich bin ich auf der Geschichtswissenschaft in Salzburg gelandet und habe mein Diplomstudium als Historiker abgeschlossen.

Im Rahmen meiner Ausbildung zum Historiker hatte ich die Möglichkeit, den Video History-Kurs von Albert Lichtblau und Alois Pluschkowitz, eine Kooperation von Geschichts- und Kommunikationswissenschaft, zu belegen. In dem zweisemestrigen Kurs bekommt man in aller Kürze Theorie und Praxis des Dokumentarfilms vermittelt. Mit Albert Lichtblau hatte ich während des Studiums immer wieder zu tun, weil ich mich auf Zeitgeschichte mit Schwerpunkt Nationalsozialismus spezialisierte. Unsere Interessen und Forschungsschwerpunkte haben sich sehr überschnitten. Während des Schreibens der Diplomarbeit fasste ich den Entschluss, Zivildienst zu machen – das heißt, ich war dann irgendwann österreichischer Staatsbürger – und leistete diesen im Rahmen des sogenannten Gedenkdienstes in Moskau ab. Es war eine sehr interessante und fordernde Aufgabe: Moskau, dieser irre Moloch, war nicht einfach. Russland als Land war nicht einfach. Mein damaliger Vorgesetzter Ilja Altman, eine Ikone der Holocaust-Forschung, war nicht einfach. Wir hatten leider große Probleme miteinander. Ich habe aber – auch von ihm – sehr viel gelernt und mitnehmen können.

Filmstill aus Unten © Djordje Čenić

Zurück aus Moskau realisierte ich 2003 meinen ersten Dokumentarfilm Romski Bal – Low-Budget mit ungefähr 2.000 Euro, die wir zur Verfügung hatten. Es geht darin um das größte Blasmusikfestival in Serbien – eine Veranstaltung, die von Roma-Orchestern getragen wird. Sie sprechen dort selbst von den „schwarzen Orchestern“, das sind die Roma-Orchester aus dem Süden Serbiens, und den „weißen Orchestern“, das sind die „serbischen Orchester“ aus Mittel- und Nordserbien. Der damalige Kameramann ist ein Kollege, mit dem ich immer noch sehr viel zusammenarbeite. Der Film wurde auf ein paar Festivals gezeigt und war ein guter Einstieg in das Thema Dokumentarfilm.

Djordje Čenić, Anita Moser ( 2022): Gerechtigkeit im Kulturbetrieb braucht Gerechtigkeit in der Gesellschaft als Grundlage. Djordje Čenić im Gespräch mit Anita Moser. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/gerechtigkeit-im-kulturbetrieb/