Gerechtigkeit im Kulturbetrieb braucht Gerechtigkeit in der Gesellschaft als Grundlage

Djordje Čenić im Gespräch mit Anita Moser

In Bezug auf Diversität tut sich wenig. Salzburg ist noch immer in einem Dornröschenschlaf, es ist klein, es ist provinziell. Man muss schon sehr im Underground unterwegs sein, um diverse Geschichten mitzuerleben, oder man schreibt sie selbst. Man muss tief graben, um auf diese spannenden Geschichten zu stoßen, um die Menschen hinter diesen Geschichten kennenzulernen. Wenn man diesen Weg beharrlich geht, Interesse daran zeigt, kommt man darauf, dass es diese in Salzburg sehr wohl auch gibt. Aber ich würde es mir in einem größeren Umfang wünschen. Daran muss man arbeiten.

Darum finde ich es eine gute Idee, in Salzburg eine D/Arts-Veranstaltung und -Vernetzung anzugehen. Ich glaube auch, dass die Lehrveranstaltung bei Wissenschaft und Kunst von Ivana (Pilić, Anm.) und mir diesbezüglich einen Beitrag leisten kann. Es ist wichtig, Brücken zu bauen und zu schauen, dass man über diese Brücken auch gehen kann. Abhängig von dem Hintergrund, den die Studierenden mitbringen, wird es spannend sein, sie bekanntzumachen mit dieser ‚anderen‘ Welt, von der wir sprechen.

Das denke ich auch. Ähnlich wie der Kulturbetrieb sind die Universitäten ein recht abgeschlossener, wenig diverser Bereich. Mit meiner Geschichte als Arbeiter:innenkind und Quereinsteigerin, die spät auf die Universität kam, hatte ich immer wieder das Gefühl, ‚nicht hierher zu gehören‘.

Ich weiß genau, wovon du sprichst. Dieses Ich-gehöre-da-nicht-her hat auch etwas mit Selbstverständnis zu tun. Es ist etwas anderes, wenn man in einer bildungsbürgerlichen Familie geboren wurde, von Anfang gefördert wird und ‚eingeimpft‘ bekommt: „Dieser Platz in der Gesellschaft steht dir zu. Es ist alles möglich, Kind!“ Es muss nicht kämpfen – um die erste Gitarre oder das Studium oder was auch immer.

„Mein Ansatz war jedenfalls immer, nie die große Anklage zu produzieren, nie weinerlich zu werden.“

Als Filmemacher beschäftigst du dich mit dem Sichtbarmachen – von Geschichten, Menschen, Ereignissen … Wie siehst du das Verhältnis von Sichtbarkeit, Repräsentation und Entscheidungsmacht?

Ich wollte in meiner Arbeit immer möglichst unabhängig bleiben, meine eigenen Entscheidungen treffen und mir nicht reinreden lassen. Ein großes Problem bei vielen Projekten ist, dass man eine gute Idee hat, sich aber nicht um die Finanzierung kümmern will und diese in eine Produktionsfirma auslagert. Dann fängt die Produktionsfirma an mitzureden und ihren Film zu machen und nicht mehr deinen. Bei Filmschaffenden ist das ein großes Problem. Darum habe ich mich bei Unten dazu entschieden, die Rechte nicht an eine Produktionsfirma zu verkaufen, sondern alles selbst zu machen, was natürlich mit einem erheblichen Mehraufwand verbunden ist. Man muss schauen, wie man an Gelder kommt und es sind viele Nachtschichten, die man mit Konzepten und vor allem mit Finanzierungsplänen verbringt.

Eine grundlegende Frage ist, wie gelingt es mir, in eine Position zu kommen, in der ich entscheiden kann, in welche Richtung mein Kunstwerk geht. Das hängt wieder mit dem Thema Selbstverständnis und Selbstbewusstsein zusammen. Traue ich mir zu, bestimmte Themen anzusprechen? Weiß ich, wohin diese Themen führen? Interessieren sie irgendjemanden? Besteht nicht das Risiko – wie in meinem Fall, wenn ich die Geschichte einer Gastarbeiter:innenfamilie aus Jugoslawien sichtbar mache –, dass das Publikum sagt: „Nette Geschichte, aber es gibt viele solche Geschichten und so schlimm war‘s eh nicht. Seid froh und dankbar, dass wir euch aufgenommen haben, begnügt euch mit dem, was ihr habt, und nehmt unseren Künstlern und Künstlerinnen nicht die Arbeit weg, ihr habt uns schon die Jobs im Niedriglohnsektor weggenommen.“ Ich scherze jetzt und überspitze das alles.

Mein Ansatz war jedenfalls immer, nie die große Anklage zu produzieren, nie weinerlich zu werden. Das Publikum sieht lieber Filme, die einen zum Schmunzeln bringen, die einen zum Lachen bringen, die einen zum Nachdenken bringen, als solche, die angreifen. Vielleicht bin ich damit den einfacheren Weg gegangen, weil man sich mit einem eher lustigen Zugang weniger rechtfertigen muss, und vielleicht nehme ich jetzt in Unten 2 den angriffigeren, brutaleren, direkteren Weg.

Djordje Čenić, Anita Moser ( 2022): Gerechtigkeit im Kulturbetrieb braucht Gerechtigkeit in der Gesellschaft als Grundlage. Djordje Čenić im Gespräch mit Anita Moser. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/gerechtigkeit-im-kulturbetrieb/