„Wenn die Gesellschaft an unserer Kunst nicht teilnimmt, dann arbeiten wir vergeblich“

Airan Berg im Gespräch mit Ielizaveta Oliinyk

Airan Berg ist ein israelisch-österreichischer Theatermacher und seit Oktober 2021 auch künstlerischer Geschäftsführer der Initiative Zirkus des Wissens in Linz – ein Ort, an dem Kunst mit Wissenschaft zusammentrifft. Der Zirkus des Wissens vereinigt Künstler:innen unterschiedlichen Backgrounds mit Forscher:innen der Johannes Kepler Universität Linz und lässt sie gemeinsam verschiedene Projekte entwickeln. Bei den Veranstaltungen im Zirkus des Wissens gibt es keinen fixierten Eintrittspreis, es gilt das Prinzip „Pay as you can“. Airan Berg plädiert für ein Umdenken der Politik, welche Inklusion und Diversität nicht als Teil der Sozialarbeit ansehen sollte, sondern als selbstverständliche Eigenschaften jedes Kulturbetriebs.

Was bringst du aus deinem früheren Background in D/Arts ein?

Ich interessiere mich dafür, wie Kunst repräsentativ für unsere Gesellschaft stehen kann. Im Schauspielhaus Wien haben wir Mozart auf Türkisch gespielt und auch türkische Musikinstrumente verwendet. Wir haben auch Stücke auf Kroatisch gespielt. Die Medea war eine Fremde aus Kroatien, die Kroatisch gesprochen hat. Ich habe immer versucht, auf unterschiedlichen Ebenen inklusiv zu arbeiten, auch mit Menschen mit Behinderung – oder wie man jetzt sagt – mit Menschen mit neurodiversity. Ich habe auch in Gefängnissen gearbeitet. Es hat mich immer interessiert, alle Menschen zu erreichen und mir die Frage zu stellen: Wie spiegelt das Theater unsere Gesellschaft? Unsere Gesellschaft ist divers: Wenn ich auf der Straße unterschiedliche Sprachen hören, in Restaurants nicht nur Schnitzel, sondern viele unterschiedliche Gerichte essen kann und dann im Theater nur Deutsch höre, spiegelt das nicht wider, was Gesellschaft wirklich ist. Wir haben einmal ein Interview im Schauspielhaus gegeben, in dem die Frage gestellt wurde: „Was soll diese Form von Theater?“ Da haben wir den Journalisten gefragt: „Isst du gerne Schnitzel?“ Und er war ganz irritiert, weil normalerweise stellen ja die Journalisten die Fragen. Dann antwortete er: „Ich esse schon gerne Schnitzel, aber nicht jeden Tag.“ Dann haben wir gefragt: „Warum sollen wir im Theater jeden Tag Schnitzel servieren?“ Und dann hat er geschrieben: „Heute Schnitzel, morgen Curry,“ oder: „Heute Schnitzel, morgen Sushi“. Diversität gehört auf die Bühne, weil sie Teil unserer Gesellschaft ist.

Für das Festival der Regionen habe ich auch Ivana Pilić als Jurymitglied eingeladen, damit mehr Inklusion stattfinden kann und eine starke Stimme für Diversity in der Jury Platz bekommt. Dadurch hatte ich eine Alliierte in der Jury. Wir haben für das Festival das Konzept der ‚Kulturnaut:innen‘ entwickelt – so wie Astronaut:innen oder Kosmonaut:innen. Wir haben die Region erforscht und ich habe viele in Österreich lebende Künstler:innen (zum Teil auch in Österreich geboren) eingeladen, die einen Migrationshintergrund hatten. Das war aber nicht der Grund für die Einladung, sondern weil sie alle fantastische Künstler:innen sind. Gleichzeitig war es mir wichtig, dass wir unserer Gesellschaft ein Spiegelbild vorsetzen.

Was könnte D/Arts deiner Meinung nach im Idealfall bewirken?

Künstler und Künstlerinnen sollen eingeladen werden, weil sie fantastische Kunst machen, aus keinem anderen Grund. Ich versuche in meiner Arbeit gerade die Selbstverständlichkeit von Diversität abzubilden. Und diese als Mainstream zu behaupten. Und diese Selbstverständlichkeit könnte D/Arts bewirken.

Auf welche Konzepte und theoretische Bezüge greifst du zu, wenn du über Diversität sprichst?

Ich bin kein Theoretiker in dem Sinn. Ich arbeite gern mit Menschen, die verschiedene Geschichten zu erzählen haben, aus verschiedenen Blickwinkeln. Und je diverser und partizipatorischer die Prozesse, umso mehr Geschichten und Facetten kriegt man zu sehen. Mich interessieren die Menschen hinter den Künstler:innen. Ich habe selbst einen Migrationshintergrund, aber das ist nicht das, was mich antreibt, sondern dass es etwas Schönes ist, etwas Lustvolles und eine Verantwortung, Positionen zu beziehen, in welchen man Entscheidungen treffen darf und die Gesellschaft so vielfältig und so bunt repräsentieren kann, wie sie eigentlich ist. Da wurde sicher viel darüber geschrieben, aber ich arbeite mehr aus dem Instinkt heraus – mich interessiert die Qualität der Künstler:innen und was sie zu erzählen haben.

Airan Berg, Ielizaveta Oliinyk ( 2022): „Wenn die Gesellschaft an unserer Kunst nicht teilnimmt, dann arbeiten wir vergeblich“. Airan Berg im Gespräch mit Ielizaveta Oliinyk. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/wenn-die-gesellschaft-an-unserer-kunst-nicht-teilnimmt/