„Wenn die Gesellschaft an unserer Kunst nicht teilnimmt, dann arbeiten wir vergeblich“
Airan Berg im Gespräch mit Ielizaveta Oliinyk
Was sind für dich gute Beispiele im Hinblick auf Diversität und Gerechtigkeit im Kulturbetrieb und warum?
Die Brunnenpassage ist ein gutes Beispiel. Was bei der Brunnenpassage spannend ist, ist dass sie sich auch immer wieder mit anderen großen Partnern einlässt, dass sie als kleiner Partner die großen beeinflusst und nicht umgekehrt. Da bedarf eines großen Know-hows. Ich hoffe, dass das Festival der Regionen mit dem Kulturnaut:innen-Prinzip auch ein gutes Beispiel abgibt, weil es Erzählungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln umfasste. Auch das EU-Projekt Layla und Majnun, das ich mitentwickelt habe, bezog sich zum Teil auf eine arabische Liebesgeschichte, die ganz viele Bürger:innen aus dem arabischen / islamischen Raum kennen. Aber es gibt tausend gute Beispiele. Wichtig ist, dass damit auch die großen Institutionen aus ihrer comfort zone gelockt werden, denn in dem Moment, in dem man ein Projekt macht, das die Menschen aus ihrer comfort zone herausholt, entsteht Veränderung.
Was soll deiner Meinung nach auf struktureller Ebene verändert werden, um den Kulturbetrieb diverser und gerechter zu machen?
Eine andere Form künstlerischer Leitung finden! Wir müssen das Burgtheater nicht neu erfinden, damit es diverser wird … Es muss nur ein Leitbild für Kultur kreiert werden, das von der Politik unterstützt wird, das besagt: „Die Leitung braucht ein gutes Konzept, um Diversität als Selbstverständnis abzubilden.“ Während meiner Intendanz am Schauspielhaus wurden viele Sprachen gesprochen. Dadurch gab es Arbeit für viele Schauspieler:innen, die nach meiner Zeit dort gesagt haben: „Wo sollen wir arbeiten, wenn du nicht mehr da bist?“ Und das ist schrecklich. Viele, die sehr gut waren, arbeiten jetzt mehr im Film und Fernsehen, weil da mehr Diversität verlangt wird.
Hast du nicht auch auf der strukturellen Ebene viel im Schauspielhaus verändert? Oder hat sich das wieder zurückentwickelt, nachdem du gegangen bist?
Ja. Leider. Es wurde wohl einfach der falsche künstlerische Leiter dafür ausgewählt. Es gab sicher auch Bewerber:innen, die unser Konzept fortgesetzt hätten. Dafür braucht es aber auch einen politischen Willen. Es gab sonst in Wien auch das Interkulttheater, wo vieles auf Türkisch gespielt wurde, aber nichttürkische Österreicher:innen sind viel zu wenig dorthin gegangen. Es ist sehr wichtig, wenn auch im Schauspielhaus oder im Burgtheater multisprachige Aufführungen präsentiert werden.
Wie können der Kulturbetrieb und das Theater auf Krieg in Europa reagieren?
Ich denke, Theater reagiert immer mit Inhalten. Wir haben spezielle Programme angesetzt, die auch als fundraising für ukrainische Geflüchtete gedient habe, die jetzt hier an der JKU sind. Kriegszeiten sind schwer für das Theater. Was immer wir tun, es wird immer zu wenig sein, weil es das Leid der Menschen an der Front nicht mindert. Wir haben in Zeiten des Friedens viele Anti-Kriegs-Stücke gemacht, aber das scheint nicht geholfen zu haben.
Möchtest du vielleicht noch etwas ergänzen?
Das Wichtigste, und das sehe ich als Teil meiner Arbeit, ist die Hoffnung, dass durchs Tun viele Menschen miteinander in Kontakt kommen und neue Erfahrungen sammeln und dass wir, die es tun, zusammenhalten, weil die Lobby klein ist und wir gegen mächtige Institutionen – wie Don Quichote gegen die Windmühlen– ankämpfen. Aber wir machen das einfach und wir sind überzeugt, dass es richtig ist. Wir müssen weiter Überzeugungsarbeit leisten und wenn das Publikum es annimmt, werden es die anderen auch annehmen. Zuerst wollte niemand Partizipation und jetzt ist Partizipation alles. Die nächsten Themen sind Inklusion und Diversität. Wir müssen einfach hartnäckig bleiben. Wir müssen zeigen, dass die Qualität so hoch ist, dass man nicht daran vorbeikommt.
Airan Berg, Ielizaveta Oliinyk ( 2022): „Wenn die Gesellschaft an unserer Kunst nicht teilnimmt, dann arbeiten wir vergeblich“. Airan Berg im Gespräch mit Ielizaveta Oliinyk. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/wenn-die-gesellschaft-an-unserer-kunst-nicht-teilnimmt/