„Wenn die Gesellschaft an unserer Kunst nicht teilnimmt, dann arbeiten wir vergeblich“
Airan Berg im Gespräch mit Ielizaveta Oliinyk
Welche konkreten Maßnahmen braucht es, um den Kulturbetrieb gerechter und diverser zu machen?
Es braucht vor allem eine Bewusstseinsänderung. Insbesondere bei Kollegen und Kolleginnen, die selbst Theater leiten und nicht offen genug denken. Aber vor allem ein Umdenken in der Politik. Und dann braucht’s ein Umdenken bei Journalisten und Journalistinnen, insofern, als dass sie nicht mehr den Fehlschluss ziehen, dass nur, weil wir inklusiv sind, Inklusion und Diversität Sozialarbeit wäre, sondern dass wir Kunst machen. Ich weiß nicht, ob Quoten und solche Dinge helfen. So etwas wie: Ein Drittel des Budgets muss an emanzipatorische Projekte gehen; sie müssen Diversität beinhalten … Ich glaube nicht, dass das über Zwang funktioniert, aber wenn meine Kolleginnen und Kollegen nicht darauf reagieren, kann die Politik vielleicht mit Richtlinien und Empfehlungen aushelfen. Oft ist es meiner Erfahrung nach auch so, dass künstlerische Leiter:innen, die sich für so etwas nicht interessieren, die Dinge bewusst schlecht machen, um zu zeigen, dass es nicht funktioniert.
Welche Rolle spielen deiner Meinung nach Klasse und soziale Herkunft in Hinblick auf Diversität im Kulturbetrieb?
Eine sehr wichtige Rolle, denke ich. Vor allem, weil das heutige Theater ganz stark mit der Emanzipation des Bürgertums zu tun hat.
Meinst du in Österreich oder in der ganzen Welt? Du kommst ja aus Israel, vielleicht gibt es da eine andere Tradition?
Ich glaube, wie sich das Theater entwickelt hat, hat ganz stark mit dem Bürgertum zu tun. Ich werde oft gefragt: „Warum gehen türkische Menschen so selten ins Theater?“ Und ich denke, das hat mehrere Gründe. Erstens, viele der türkischen Mitbürger, die hierherkommen, kommen nicht aus großen Städten, sondern aus Dörfern in Anatolien. Theater ist nicht Teil ihrer DNA. Also das bürgerliche Theater nicht. Aber wir spielen auch nicht genug Stoffe, die sie interessieren könnten. Als wir im Schauspielhaus Mozarts Entführung aus dem Serail auf Türkisch gespielt haben, mit türkischen Musikinstrumenten, da war das Theater in Wien und beim Gastspiel in Mannheim voll mit türkischstämmigen Menschen, weil sie verstanden haben, es geht um sie. Das heißt, die Leute wollen auch sehen, dass wir uns wirklich für sie interessieren.
Was bedeutet für dich Teilhabe – Zugang zu Kunst und Kultur?
Es gibt viele Ebenen von Teilhabe. Es ist unsere Aufgabe, die Türen auf unterschiedlichen Ebenen aufzumachen, damit Menschen sich beteiligen können, oder auch an der Gestaltung selbst mit verantwortlich sind … Also Teilhabe ist das Wichtigste. Wenn die Gesellschaft an unserer Kunst nicht teilnimmt, dann arbeiten wir vergeblich. Wenn ich mit Werbeagenturen arbeite und sie fragen, was meine Zielgruppe ist, sage ich immer – „Alle.“ Sonst brauche ich kein Theater machen. Das Schönste am Theater ist, dass Menschen unterschiedlicher Herkünfte, unterschiedlicher Einkommen, unterschiedlicher Begabung, unterschiedlicher Fähigkeiten gemeinsam in einem Raum sitzen und etwas gemeinsam erleben.
Wie würden die Arbeitsverhältnisse aussehen, die Diversität im Kulturbetrieb ermöglichen?
Wenn ich wie im Burgtheater ein großes Ensemble hätte und ich 80 Schauspieler:innen bezahlen könnte, dann müsste ein repräsentativer Teil von Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Backgrounds besetzt sein … Aber es geht hier nicht um ein Konjunktiv-Alibi, sondern um die Selbstverständlichkeit, mit der so gearbeitet werden könnte –und die Bedingungen sind ja da. Wir müssten es nicht so machen: „Jetzt brauchen wir zehn Schauspieler:innen und da gibt’s einen Topf für Diversität und aus dem finanzieren wir die Leute.“ Und dann sind sie wieder unter sich. Was soll Kunst und Kultur erzählen, wenn sie einen Teil der Gesellschaft komplett ausgrenzt? Sprachlich, inhaltlich, narrativ, auch in Bezug auf Arbeitsplätze.
Airan Berg, Ielizaveta Oliinyk ( 2022): „Wenn die Gesellschaft an unserer Kunst nicht teilnimmt, dann arbeiten wir vergeblich“. Airan Berg im Gespräch mit Ielizaveta Oliinyk. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/wenn-die-gesellschaft-an-unserer-kunst-nicht-teilnimmt/