„Diversität analysieren und gleichzeitig transformative Prozesse in Gang bringen“

Amalia Barboza, seit 2019 Professorin für künstlerische Forschung an der Kunstuniversität Linz, ist Kulturwissenschaftlerin und Künstlerin. Diese Tätigkeiten sieht sie als zwei verschiedene Mittel, um dasselbe zu erreichen, wie sie im Gespräch mit Anita Moser betont. Dabei geht sie in der Kunst wie in der Wissenschaft von einem relationalen und spekulativen Ansatz aus, der den Anspruch hat, mit gesellschaftlichen Unterschieden und Konflikten „produktiv zu arbeiten und nicht zu versuchen, diese aufzuheben oder zu ignorieren“. Zentral sei – im Sinne der Kritischen Theorie – analytisch und transformativ zu denken, insbesondere auch, wenn es um das Thema Diversität geht. Im Interview spricht Amalia Barboza über Intersektionalität und die Bedeutung von Klasse und sozialer Herkunft als wichtigster Faktor zum Verständnis der Frage der Exklusion von bestimmten Gruppen aus Kunst und Kultur. Sie erzählt auch von ihrer Beschäftigung mit Migration und Heimat an der Schnittstelle von Wissenschaft und Kunst sowie von Projekten zur Öffnung der Kunsthochschulen.

Du bist Soziologin, Künstlerin und seit 2019 Professorin für künstlerische Forschung an der Kunstuniversität Linz. Was waren auf deinem Weg dahin wichtige Stationen und Ereignisse?

Wenn du nach den wichtigen Stationen fragst, muss ich sicherlich früh anfangen. Ich komme aus einer Familie, die in der Zeit der Diktatur aus Argentinien emigrieren musste. Meine Eltern sind beide Künstler:innen und ich wuchs in einer Umgebung auf, wo die künstlerische Praxis immer mit dem Leben und auch mit politischen und gesellschaftlichen Fragen verknüpft war. Deswegen ist diese Zeit meiner Kindheit die erste wichtige Station. Nach der Schule studierte ich in Madrid Soziologie und parallel auch Kunst an einer Hochschule mit dem Schwerpunkt Bildhauerei.

Die zweite wichtige Station war Dresden. In dieser Stadt habe ich meine Doktorarbeit in Soziologie geschrieben und parallel an der Hochschule für bildende Künste studiert. Ich kam nach Dresden im Jahr 1996, in einer Zeit kurz nach dem Mauerfall. Ich konnte an der Kunsthochschule erleben, wie neue Professor:innen aus dem Westen immer mehr Stellen bekamen und wie die Kunstauffassung des Ostens immer stärker in den Hintergrund geriet. Es war für mich wie eine Laborsituation, um die Konkurrenz von Ideologien in der Kunst zu erleben. In meiner Dissertation befasste ich mich mit einem wissenssoziologischen Ansatz, um solche Konkurrenzen zwischen Kunst- und Denkstilen zu analysieren. Dieser Ansatz ist für mich immer noch zentral, um das Feld der Wissenschaft und der Kunst differenzierter zu betrachten, um meine eigene Position zu reflektieren.

Die dritte Station war Frankfurt am Main. Nach der Promotion in Dresden bekam ich eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Frankfurt im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften. In dieser Zeit befasste ich mich mit einer Soziologie, die transformativ zu denken ist, die Kritische Theorie. Nicht das Bestehende soll analysiert werden, sondern die Wissenschaft soll die Zustände in der Gesellschaft kritisieren und transformieren. Ich fand es damals interessant, meine eigene künstlerische Arbeit in diesen zwei Bereichen positioniert zu sehen: Einerseits die Gesellschaft zu analysieren und zu dokumentieren, aber gleichzeitig durch Installationen, durch Präsentationen im öffentlichen Raum, den Betrachter:innen die Möglichkeit zu einer kritischen Reflexion und zu einer Transformation zu geben. Das war sehr wichtig für mich, um mich zu verorten und eine Selbstverständlichkeit in meinen beiden Berufen zu bekommen. Ich bin Soziologin oder Kulturwissenschaftlerin, aber auch Künstlerin – und oft ist das nicht konträr zueinander, sondern, wenn man analytisch und auch transformativ denkt, sind es vielleicht zwei Mittel, um dasselbe zu erreichen.

 

Amalia Barboza

© Mona Mehravaran

Amalia Barboza, Anita Moser ( 2022): „Diversität analysieren und gleichzeitig transformative Prozesse in Gang bringen“. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/diversitaet-nicht-nur-analysieren/