„Diversität analysieren und gleichzeitig transformative Prozesse in Gang bringen“

Wie verstehst du in diesem Zusammenhang Transformation bzw. in welche Richtung soll diese gehen?

Die Richtung ist nicht vorgegeben, zumindest nicht von mir. Das ist es auch, was ich an der Kritischen Theorie so interessant finde: Die Kritische Theorie der ersten Generation, mit Adorno, Horkheimer oder Benjamin, vertritt eine Art Utopie-Verbot. Wir können nicht sagen, wie eine bessere Gesellschaft aussieht. Denn wenn wir zum Beispiel ein Bild von einer besseren Gesellschaft vorgeben, kann es sein, dass wir nur „bürgerliche Wünsche metaphysisch vergolden“, wie Adorno dies formulierte. Das heißt, dass wir nur aus einer bestimmten (vergoldeten) Perspektive die Vorstellung von einer besseren Gesellschaft imaginieren. Deswegen wird in der Kritischen Theorie nur kritisiert oder in Bewegung gebracht, ohne auf eine konkrete Richtung hinzuweisen. In meiner künstlerischen Arbeit ist das auch so: Ich kann nur Wege öffnen oder aufzeigen, dass es viele Möglichkeiten gibt, die Welt zu gestalten. Inwieweit dieses Angebot angenommen wird, um frei weiter zu denken, ist jeder:jedem selbst überlassen.

„Dieser relationale und spekulative Ansatz hat den Anspruch, mit Konflikten und Unterschieden, die es in einer Gesellschaft gibt, produktiv zu arbeiten und nicht zu versuchen, diese aufzuheben oder zu ignorieren.“

Du beschäftigst dich in deiner theoretischen wie praktischen Arbeit als Wissenschaftlerin und Künstlerin mit Fragen zu Migration und Transkulturalität. Welche Rolle spielt in diesen Kontexten Diversität?

Es hat sich tatsächlich so ergeben, dass ich mich in den letzten Jahren immer mehr mit Migration auseinandergesetzt habe, und zwar seit der Zeit, als in Dresden 2015 die sogenannten Pegida-Demonstrationen anfingen. Ich war damals schockiert. Ich hatte mich in Dresden sehr wohl gefühlt und die Menschen dort in ihrer Frustration nach der Wende auch sehr gut verstanden. Aber dass sich der Frust in diese Richtung bewegte, hat mich schon sehr beschäftigt. Ich war fassungslos – und manchmal verärgert, weil ich nicht in Dresden sein konnte. Ich lebte damals in Frankfurt und dachte, wenn ich in Dresden wäre, könnte ich etwas tun. Deswegen habe ich in dieser Situation begonnen, Projekte zu machen, durch die sichtbar wird, welchen Mehrwert die Migration für die Gesellschaft bringt.

In der Zeit wohnte ich noch in Frankfurt, aber ich hatte schon an die Universität des Saarlandes gewechselt, wo ich seit 2013 als Junior-Professorin für Kulturwissenschaften unterrichtete. Mit den Studierenden befassten wir uns mit Orten in der Stadt, die von Migrant:innen gestaltet wurden. Wir besprachen auch verschiedene Ansätze, die in der Zeit zur Diskussion standen: Transkulturalität, Interkulturalität, Heimat in der Ferne, Diversität, bewegte Heimat, Transtopien waren einige der Themen. Nicht nur diese Konzepte, sondern auch methodologischen Fragen beschäftigten mich damals. Konkret die Frage, wie kann die Kunst neue Methoden entwickeln, um diese Diversität der Migration zu analysieren?

 

Brasilien am Main, Für Nívea, 2016 © Amalia Barboza

Brasilien am Main, Für Nívea, 2016 © Amalia Barboza

Amalia Barboza, Anita Moser ( 2022): „Diversität analysieren und gleichzeitig transformative Prozesse in Gang bringen“. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/diversitaet-nicht-nur-analysieren/