„Diversität analysieren und gleichzeitig transformative Prozesse in Gang bringen“

„Wenn wir einen Heimatbegriff haben, der dynamisch ist, aber gleichzeitig den Konflikt zulässt und dieses ‚Immer-in-Verhandlung-Sein‘ eröffnet, dann lässt es sich mit diesem Begriff ganz anders arbeiten als mit dem Heimat-Begriff von rechten Parteien, der sehr statisch ist.“

Laclau und Mouffe zufolge sind auch Dissens und Konflikt als unerlässliche Basis einer Demokratie zentral.

Der Konflikt bleibt, er ist die ganze Zeit da, aber es gibt auch immer wieder Verhandlungen zwischen den Personen, die an einem Konflikt teilhaben. Verhandlung ist auch ein Begriff, den ich benutze, um diese Transformationsmöglichkeiten zu betonen. Ich habe ein Buch mit Kolleg:innen der Universität des Saarlandes herausgegeben, in dem wir uns mit der Frage auseinandergesetzt haben: Was ist Heimat? Wenn wir einen Heimatbegriff haben, der dynamisch ist, aber gleichzeitig den Konflikt zulässt und dieses „Immer-in-Verhandlung-Sein“ eröffnet, dann lässt sich damit ganz anders arbeiten als mit dem Heimatbegriff von rechten Parteien, der sehr statisch ist. Auch kann der Heimatbegriff nicht nur in die Vergangenheit gerichtet sein, sondern ebenso in die Zukunft – im Sinne der Kritischen Theorie verstanden als eine utopische Projektion nach vorne, die offen für weitere Verhandlungen bleibt. Interessant ist, dass schon in der Zeit des Nationalsozialismus linke Theoretiker wie Ernst Bloch gefordert haben, den Heimatbegriff nicht den Rechten zu überlassen.

Du hast Intersektionalität angesprochen. Wie siehst du Klasse und soziale Herkunft im Kontext von Diversität in Kunst und Kultur?

Das ist für mich immer noch das Wichtigste, um die Frage der Exklusion von bestimmten Gruppen zu verstehen. Es ist immer noch so, dass die Klassenunterschiede, das ökonomische Kapital, eine sehr wichtige Rolle spielen. Sichtbar ist das unter anderem an den Universitäten. Es gibt zwar eine Öffnung, aber tatsächlich ist es so, dass viele Kinder, mit Migrationshintergrund oder aus der ‚unteren‘ Klasse, nicht in die Universität kommen, weil sie kein Gymnasium besucht und keine Matura haben. Nur an Kunsthochschulen kann man sich ohne Matura bewerben. Seit ich in Linz an der Kunstuniversität bin, mache ich eine Arbeit über Biografien von Studierenden, die ohne Matura an der Kunsthochschule studiert haben. Ich glaube, da gibt es Expertisen oder Lebenswege, die man bekanntmachen kann, um zu zeigen, wie es möglich ist, dass Kinder ohne Matura eine universitäre Ausbildung bekommen.

Ich beschäftige mich – u.a. ausgehend vom eigenen biografisch bedingten Interesse – auch mit dem Thema und bot vorletztes Semester eine Lehrveranstaltung zu Klassismus im Kulturbetrieb an. Es waren mehrheitlich Studierende dabei, die selbst aus sozio-ökonomisch benachteiligten Verhältnissen oder Arbeiter:innenfamilien kommen. Wir hatten sehr lebendige Diskussionen und ich fand bemerkenswert, dass das Thema so eine Leidenschaft bei den Studierenden entfachte …

… weil es an den Universitäten und Hochschulen eben keinen oder kaum Platz gibt, um darüber zu reden. Im Prinzip müssen die Studierenden, die so einen Lebensweg haben, in den ersten Jahren an der Hochschule zum Beispiel lernen, anders zu reden, sich anderes zu bewegen. Die Sprache ist sehr wichtig, ebenso die Umgangsformen.

Wie sieht deine Arbeit mit den Studierenden in dem Projekt über Lebenswege konkret aus?

Ich bin bei dem Projekt noch am Anfang. Es hat auch einen biografischen Hintergrund: In Frankfurt waren meine Kinder in einer Grundschule in einem Stadtteil, wo viele Migrant:innen leben. Bei den Kindern mit Migrationshintergrund gab es viele mit großen Talenten, aber dadurch, dass die Eltern diese nicht unterstützten, schaffte es niemand von ihnen, auf das Gymnasium zu gehen. So sind sie von der Grundschule in die Hauptschule gegangen. Bei den damaligen Freunden von meinen Kindern habe ich gemerkt, dass genau diese Schüler:innen, die nicht ins Gymnasium kamen, sehr kreativ waren, mit dem Körper, durch ihre Performanz, mit der Sprache, durch Witze und andere Dinge. Viele hatten Begabungen, die für die Kunst sehr wichtig sind.

Ein weiteres Projekt von mir an der Kunstuniversität Linz ist, mit Mittelschulen zu kooperieren, um dort Workshops mit den Kindern zu machen, damit sie sehen, dass an der Kunsthochschule zu studieren nicht bedeutet, dass sie malen können oder perspektivische Darstellung beherrschen müssen, sondern dass es auch kreative Praktiken in ihrem Alltag gibt, die für ein Kunststudium sehr wichtig sein können. Ziel des Projektes ist es, diese Praktiken zu erheben und gleichzeitig das Bewusstsein dafür zu schaffen, dass wir diese Praktiken an den Kunsthochschulen brauchen und dass sie sich bei uns bewerben sollen, weil sie keine Matura brauchen. Wir laden Künstler:innen ein, diese Workshops zu machen, dabei kooperieren wir mit dem Atelierhaus Salzamt in Linz.

Amalia Barboza, Anita Moser ( 2022): „Diversität analysieren und gleichzeitig transformative Prozesse in Gang bringen“. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/diversitaet-nicht-nur-analysieren/