„Wenn tatsächlich Diversität im Kulturbereich gefördert werden soll, dann darf es nicht so viele Hürden geben in der Bürokratie.“
Wo siehst du in Österreich in Bezug auf Diversität in Kunst und Kultur den dringlichsten Veränderungsbedarf?
Ich habe den Eindruck, dass es hier im Unterschied zu Deutschland mehr Förderungsmöglichkeiten im Bereich der Kultur gibt, weniger jedoch im Bereich der Wissenschaft, zum Beispiel für Doktorand:innen. Aber ich habe gehört, dass es auch im Kulturbereich viel schwieriger geworden ist, Anträge zu stellen, weil es viel bürokratischer geworden ist. Wenn tatsächlich Diversität im Kulturbereich gefördert werden soll, dann darf es nicht so viele Hürden geben in der Bürokratie. Anträge zu stellen, müsste viel einfacher sein, um Kunst und Kultur für viele Menschen zu öffnen, die tatsächlich sehr kreativ sind, aber für die Bürokratie keine Zeit oder zu wenig Expertise haben.
Du hast dich mit Räumen des Ankommens in unserer Gesellschaft auseinandergesetzt. Wo siehst du Hürden, die das Ankommen erschweren oder gar unmöglich machen?
Vielleicht gleich vorweg: genau dasselbe. Diese ganze Bürokratisierung ist ein großes Problem. Die Menschen müssen oft jahrelang warten, auf Arbeitserlaubnis, Aufenthaltserlaubnis, Wohnrecht … Das ist unglaublich. Menschen, die so viel anzubieten haben. Und wenn sie dann endlich eine Arbeitserlaubnis haben, bauen sie etwas auf und haben immer noch so viel Arbeit mit den ganzen Anträgen und der Verwaltung. Ich habe Geschichten über Migrantinnen und Migranten gesammelt, die sich in Saarbrücken selbständig gemacht und an einem Ort ihre Existenz aufgebaut haben: ein Restaurant, einen Lebensmittelladen, eine Tanzschule. In diesen Geschichten kam immer wieder die Bürokratie zur Sprache. Zum Beispiel sagte ein Italiener, der ein Restaurant hat: „Die Energie zum Kochen habe ich, auch die Energie mit den Kunden zu sprechen – das ist das, was ich am meisten liebe. Aber das Schlimmste ist diese Bürokratie. Hier verliere ich meine Energie.“
Wir arbeiten in Salzburg gerade daran, gemeinsam mit D/Arts einen breiten Austausch über Diversität in Kunst und Kultur zu initiieren und ein Netzwerk aufzubauen. Wie siehst du eine Initiative wie D/Arts, und was kann sie im besten Fall erreichen?
Ich finde es sehr wichtig, wenn Personen ein Problem in der Gesellschaft erkennen und aus eigener Initiative eine entsprechende Dienstleistung anbieten. Denn solche Initiativen haben eine ganz andere Expertise und ein anderes Bewusstsein als öffentliche Institutionen mit ihren Angeboten.
Im Rahmen der Präsentation eines Doktoranden, Michael Wittmann, der bei mir an der Kunstuniversität promoviert, haben wir uns vor Kurzem mit der Frage beschäftigt, wie solche Initiativen entstehen, aus welchen Erfahrungen heraus und mit welchen Hintergründen. Wer sind die Personen, die das machen? Woher holen sie sich Expertisen? Kommen diese Expertisen aus dem eigenen Erfahrungsraum? Oder werden die Initiativen von Personen entwickelt, die diese Erfahrungen nicht haben, aber erkannt haben, dass sie helfen müssen? In der Wissenssoziologie gibt es zwei interessante Begriffe: die freischwebende Intelligenz, die außerhalb von den Erfahrungsräumen ist und die Distanz braucht, und die organische Intelligenz, die eng mit bestimmten Erfahrungsräumen verbunden ist. Ich finde interessant, diese zwei Möglichkeiten zu reflektieren. Wie ist die Initiative D/Arts entstanden? Ist es eine freischwebende Initiative oder eine organische, die aus der Erfahrung entstanden ist?
Amalia Barboza, Anita Moser ( 2022): „Diversität analysieren und gleichzeitig transformative Prozesse in Gang bringen“. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/diversitaet-nicht-nur-analysieren/