Intervenieren – Forschen – Vermitteln
Künstlerisch-edukative Projekte in der Kooperation Universität – Schule.
Reflexionen zum Projekt „Making Art ‑ Taking Part!“
Interventionen und Zwischenräume
Laila Huber: Vor diesem Hintergrund der Frage der Nachhaltigkeit rückt die temporäre Beschaffenheit des Projektes und der Interventionen ins Blickfeld. Was wird durch eine solche temporäre Intervention geschaffen und was bleibt davon?
Für unser Projekt forschungsleitend war die Frage nach dem gesellschaftlichen Eingreifen durch künstlerische und kulturelle Interventionen sowie dem Gestalten von Teilhabe. Als hilfreicher Begriff hat sich für uns der „Zwischenraum“ herauskristallisiert. Die temporäre Intervention schafft einen Zwischenraum, in dem Platz für das Hinterfragen des Gewohnten und für das Denken von Möglichkeiten ist.
Um dieses Öffnen eines Zwischenraums näher zu bestimmen, möchte ich Henri Lefebvres Konzept des „gelebten Raum“ (lived space) aufgreifen, welches den Aspekt des Gemachtseins von Raum in seiner sozialen, imaginären und materiellen Dimension ins Zentrum des Denkens von Raum und Zusammenleben stellt. Als Pionier der Raumsoziologie führte Lefebvre mit seiner analytischen Triade „perceived – conceived – lived“ das Zusammendenken von sozialen, mentalen und physischen Aspekten im Denken von (urbanem) Raum ein. Seine Analyseachsen sind dabei immer in Verbindung mit der körperlichen Erfahrung (als „bodily lived experience“) von Raum und Stadt zu verstehen und nicht als abstraktes Modell (Lefebvre [1974] 1991). (*5) Der gelebte Raum wird im Alltagshandeln konstituiert und demnach stetig von neuem hergestellt. Er wird tagtäglich aufgeführt und kann insofern tagtäglich neu verhandelt werden.
Wir haben mit unserem Projekt in den gelebten Raum der Jugendlichen interveniert und einen temporären Zwischenraum geöffnet ‑ einen nicht-alltäglichen Raum, in dem das Gewohnte zur Disposition stand und wir gemeinsam mit den Schüler_innen scheinbare Normalitäten und Normen hinterfragen konnten und ihre Gemachtheit und Veränderbarkeit thematisierten. Die Qualität des Werdens und der Veränderbarkeit von sozialer Welt wird im Zwischenraum des Projektes besonders sichtbar, doch kann im Sinne Lefebvres auch der „gelebte Raum“ des Alltags in seiner Dimension als Möglichkeitsraum gestärkt werden.
Im Projektsetting haben Begegnungen zwischen Akteur_innen stattgefunden, die ohne das Projekt in dieser Konstellation nicht zusammengekommen wären – Schüler_innen, Lehrer_innen, Künstler_innen, Kunst-/Kulturvermittler_innen sowie Wissenschaftler_innen. Und in diesem Projektsetting haben wir eine kollaborative Wissensproduktion und das Denken von Möglichkeiten (sowie das Hinterfragen von Normen und Normalitäten) angestrebt. Wie haben sich die Jugendlichen nun den temporären Möglichkeitsraum angeeignet?
Elke Smodics:
„Intervention als Unterbrechung des Alltags oder des Normalen, des Natürlichen. … Ich finde es spannend zu überlegen, oder ich fand es immer wieder spannend zu überlegen, ob es eine Intervention ist, die eine Aussetzung macht, (das ist) eine Pause, oder eine Setzung. Eine Intervention die eine Setzung macht, bringt ein Statement, eine Idee, eine Parole. (…) Ich kann quasi eine Intervention machen, die sagt ‚Ich will eine Setzung machen, ich will eine Parole verbreiten, ich will eine Message haben’. Oder ich mache eine Aussetzung.“ Marty Huber (Aktivistin, Performancekünstlerin und Theoretikerin)
Die aus den Prozessen hervorgegangenen Fragen der Schüler_innen umkreisten Themen, die derzeit für ihren Alltag virulent sind, wie z.B. zu Freiheit: „Warum gibt es Gewalt?“, Solidarität: „Wie solidarisch sein?“, Zivilgesellschaft: „Wie Partei ergreifen und sich einsetzen?“, Protest: „Gibt es einen konkurrenzfreien Raum?“ und Zukunft: „Wie Gesellschaft verändern?“. Sie formulierten Statements und Forderungen und entwickelten Formate, die zur aktiven Auseinandersetzung einladen.
Um über das Agieren in Machtverhältnissen nachzudenken und um alternative Handlungsoptionen zu entwickeln, stand das gemeinsame Handeln im Rahmen des Vermittlungsprozesses im Zentrum, das einerseits die Logik des institutionellen Habitus unterläuft und anderseits auch als Intervention in die tägliche Schulpraxis gelesen werden kann. Vor diesem Hintergrund entstehen Räume, um neue Fragen zu entwickeln, Handlungsoptionen zu eröffnen, in bestehende Verhältnisse zu intervenieren und Strategien der Aneignung und der Selbstermächtigung auszuprobieren. Durch das Zusammentreffen von verschiedenen Akteur_innen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen und beruflichen Zusammenhängen werden gewohnte Sichtweisen und bekannte Handlungsmuster verlassen, und neue Zwischenräume entstehen. Es sind Räume der Verhandlung, in denen sich verschiedene Wissensformen begegnen und darüber verhandelt wird, was Wissen ist. Folgen wir dem Konzept der Kontaktzonen von James Clifford und Mary Louise Pratt (vgl. Sternfeld 2014), (*1) dann lassen sich Vermittlungsprozesse als geteilte soziale Räume begreifen, in denen unterschiedliche Akteur_innen aufeinander treffen und gemeinschaftlich ver/handeln müssen. Dieses Konzept von Kontaktzonen basiert auf Zufälligkeit und Prozesshaftigkeit. Dabei entstehen Formen der Gemeinschaften, die durch den Prozess, der unerwartete Begegnungen und diskursive Untersuchungen mit sich bringt, produziert werden.
Veronika Aqra, Laila Huber, Elke Smodics, Elke Zobl ( 2016): Intervenieren – Forschen – Vermitteln. Künstlerisch-edukative Projekte in der Kooperation Universität – Schule. Reflexionen zum Projekt „Making Art ‑ Taking Part!“. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/intervenieren-forschen-vermitteln/