PARTIHIHIZIPATION! Oder: Sind wir schon souverän?

Nach einem Jahr gemeinsamer Widerstandspraxis im Park hatte das PAVILLON-Team einen Standard für Irritationsstrategien entwickelt, der es ihm erlaubte, auf Situationsveränderungen flexibel zu reagieren. Irgendwann kam der hinausgezögerte Räumungsbescheid dann doch noch, damit drohte den PAVILLONISTEN eine hohe Geldstrafe bei Nichtbefolgung. Während die SOUP-Künstler schon den Rückzug antreten wollten, kam von Seiten der politischen Aktivisten ein kreativer Vorschlag, der die Irritationsstrategie der Künstler adäquat aufgriff: Wir deklarieren UNSEREN PAVILLON als SANITÄTS-STATION unter dem Schutz der Genfer Konvention! Immerhin waren am „Schwarzen Donnerstag“ Schwerverletzte zu beklagen und die Verantwortlichen hatten es versäumt, beim Polizeieinsatz entsprechende notärztliche Vorsorge zu organisieren. Mit diesem genialen Einfall gelang es tatsächlich ein weiteres Mal, die Räumung des PAVILLONS zu verhindern.

Im wahrsten Sinn des Wortes gekrönt wurde UNSER PAVILLON dann anlässlich der polizeilichen Räumung des Parks im Februar 2012. Die SOUP-Künstler und Aktivisten setzen ihm einen krönenden Aufbau auf das Dach, eine Plattform, von der aus die Räumung beobachtet und dokumentiert werden konnte. Die neue Polizeiführung (nach der Landtagswahl unter einem grünen Ministerpräsidenten) verfolgte nämlich inzwischen eine De-Eskalationsstrategie, die die geplante Räumung durch „embedded journalists“ entschärfen sollte. Dass dies allenfalls als Augenwischerei funktionieren würde, war den S21-Gegnern klar, die Reaktion war, eine Art Gegen-Öffentlichkeit durch „self-embedded-artists“ zu schaffen, die mit eigenen Medien von der Beobachtungsplattform via Satelliten-Schüssel die Räumung live ins Internet übertrugen.

Ihr Einfallsreichtum half den Projektgegnern am Ende jedoch wenig, der Park wurde bei einem nächtlichen Polizeieinsatz, der seinem behördlichen Tarnnamen „D-Day“ wegen seiner militärischen Präzision alle Ehre machte, geräumt. Der Schutzwall wurde geschleift, die Parkschützer aus dem Park getrieben und nachdem die letzten angeketteten Besetzer abgeführt waren, fällte man über achtzig, teilweise Jahrhunderte alte Bäume innerhalb weniger Stunden – entgegen aller Abmachungen, die die Deutsche Bahn in Heiner Geißlers sogenanntem Schlichterspruch zugesagt hatte. Nach wenigen Stunden glich der Park einer öden Schlammwüste.
Mittlerweile okkupieren die Betreiber des S21-Projektes die ästhetischen Strategien ihrer Gegner. Der originale Bauzaun wurde ins Museum gebracht und an der Baustelle ein Imitat aufgestellt, auf dem Pro-S21-Botschaften von angeblichen Bürgern im „Bauzaun-Stil“ zu sehen sind: Texte in der Handschrift-Typografie eines Textprogrammes, frei erfunden von Werbefachleuten und auf PVC-Planen geplottet. Man sollte meinen, dreister geht es wirklich nicht, aber da unterschätzt man die Projektbetreiber. Inzwischen wurde auch die „Beobachtungsplattform“ UNSERES PAVILLONS konterkariert, die Begründung dazu lieferte der S21-freundliche Feuilleton-Leiter der Stuttgarter Nachrichten in einem Kommentar unter der zynischen Überschrift „Teilhabe erlebbar machen!“: „Gerade der Wunsch nach Teilhabe beflügelte doch bisher die Befürworter und Gegner des Verkehrs-und Städtebauprojektes Stuttgart 21. Umso mehr irritiert, dass die Projektbetreiber bisher keine Anstalten machen, die nun eröffnete Baustelle vor Ort erlebbar zu machen […] Eine Info Box wäre ein Ereignis im eigentlichen Sinn“star (* 4 ). Abgesehen davon, dass es sich hier um kein Städtebauprojekt, sondern ein Stadtzerstörungsprojekt handelt und bisher außer dem Teilabbruch des Bahnhofs und der Zerstörung des Parks noch kein Baufortschritt stattgefunden hat, ist es blanker Hohn, das bewundernswerte Engagement der Stuttgarter K21-Bewegung für ihre Stadt auf „Baustellen-Erlebnishunger“ zu reduzieren. Künstlerisch-politische Aktionen wie UNSEREN PAVILLON als Event missverstehen heißt, nichts von aktuellen Strategien der Kunst verstanden zu haben. Ein derartiges Verständnis von Teilhabe an politischer Gestaltung kann nur noch mit der Wort-Neuschöpfung PARTIHIHIZIPATION beantwortet werden. Die S21-Baustellen-Beobachtungsplattform wurde mittlerweile errichtet, mangels sichtbarer Baufortschritte wurde aber bisher noch kein partizipierender Bürger dort gesichtet, der die Schlammwüste im Park besichtigen wollte.

UNSER PAVILLON wurde nach einem kurzen Zwischen-Asyl im Württembergischen Kunstverein Stuttgart (WKV) mittlerweile eingelagert. Eine geplante Aufstellung auf der Skulpturen-Plattform des WKV wurde vom Haubesitzer, dem Finanzministerium Ba-Wü mit der Begründung verhindert, man dulde dort keine Kunst, die sich kritisch gegen das Projekt S21 verorte, ein eindeutiger Fall von Kunst-Zensur. Auch die eigens von der neuen Landesregierung berufene Staatsrätin für Bürger-Engagement sah keinen Anlass, dieses Projekt in irgendeiner Weise zu unterstützen, ihre Nicht-Reaktion auf eine Anfrage bzgl. Unterstützung des Projektes UNSER PAVILLON lässt darauf schließen, dass Partizipation in ihrem Verständnis weniger ein „bottom up“ als ein „top down“ Prozess ist.

Was bleibt, ist die Erfahrung, dass es in den aktuellen politischen Auseinandersetzungen in Stuttgart und anderswo nicht um die Gewährung von PARTIHIHIZIPATION geht, sondern um die Realisierung von Souveränität, dass diese aber nicht gewährt werden kann, sondern souverän behauptet und erkämpft werden muss, künstlerische Strategien der Vieldeutigkeit könnten dabei hilfreich sein.

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Bild-Zeitung vom 3.1.2011, Ausgabe Stuttgart, S. 3.

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Michael Hardt, Antonio Negri: Multitude. Krieg und Demokratie im Empire Campus 2004.

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Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1970; 13. Aufl., 1995. S. 159.

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„Teilhabe erlebbar machen.“ Kommentar von Nikolaus Forstbauer im Kulturteil der den Stuttgarter Nachrichten vom 5. März 2012.

Das Wortspiel wurde erfunden vom SOUP-Mitglied Karin Rehm anlässlich eines SOUP-Beitrages zum Symposium „Bürger. Macht. Staat“ an der Zeppelin-Universität Friedrichshafen.

Andreas Mayer-Brennenstuhl ( 2013): PARTIHIHIZIPATION! Oder: Sind wir schon souverän?. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 02 , https://www.p-art-icipate.net/partihihizipation-oder-sind-wir-schon-souveran/