Es war das Jahr 2002, als Stephen Duncombe feststellte, dass die bewusste Entscheidung, aktiv an dem zu arbeiten, was Kultur ist und was Kultur sein kann, politische Bedeutung hat – dies gilt v.a. in einer Gesellschaft mit dem eingeschriebenen Funktionsprinzip, das zu konsumieren, was andere für einen produzieren. Seit geraumer Zeit kann man zudem beobachten, dass in einem besonderen Bereich der Kultur, der Kunst, vermehrt Politik gemacht wird (vgl. u.a. Cirio und Ludovico 2011 (* 4 ), Lahr 2009 (* 9 )).
Der Live-Auftritt einer russischen Punk-Band in einer Moskauer Kathedrale vor einem Jahr fand wohl nur von einigen wenigen ZuschauerInnen Beachtung, die mediale Berichterstattung zur kurzen Performance von Pussy Riot sowie zum Gerichtsprozess hingegen ging um die Welt. Mit ihren Punk-Gebeten legten die Künstlerinnen den Finger auf eine politische Wunde Russlands, einem Land, in dem Politik und Kirche eng verwoben sind (Diez et al. 2012 (* 5 ); Laarz 2012 (* 8 )).
In den vergangenen Monaten ereignete sich noch ein zweiter medialer Vorfall mit künstlerischer Beteiligung in Russland: Gérard Depardieu, viel beachteter französischer Schauspieler, wurde aus Protest gegen die neue Steuerpolitik des Kabinetts Hollande kurzerhand Russe und tanzt und singt seither gemeinsam mit international geächteten Politikern wie Ramsan Kadyrow.
Und auch Rechtsextreme in Deutschland und Österreich haben das Potential kultureller und künstlerischer Intervention erkannt. Sie haben sich einen zeitgemäßen Anstrich verpasst, veranstalten Hip Hop-Konzerte, kopieren das Erscheinungsbild der extremen Linken und haben ihren Kampf auf Social Media-Plattformen verlagert (Brücken 2013) (* 3 ) – kurzum, sie haben sich der „kulturelle[n] Limitierung“ (Schedler 2010) (* 12 ) der neonazistischen Szene entledigt.
Kultureller Widerstand, die Rolle der Kunst und die Verbindungen zur Politik eröffnen ein weites Feld, das die AutorInnen in dem von Duncombe herausgegebenen Sammelband Cultural Resistance Reader über eine Fülle sowohl (zeit-)historischer als auch zeitgenössischer Beiträge abzustecken versuchten. Mit der zweiten Ausgabe von p/art/icipate stellen wir die Frage, was sich in den letzten zehn Jahren sowohl im praktischen als auch theoretischen Bereich – unter besonderer Berücksichtigung der mittel- und osteuropäischen Region – in diesem weiten Feld getan hat.
Kulturellen Widerstand kann man auf unterschiedlichen Folien analysieren: So ist er topografisch zu verorten, wobei sich in diesem Fall v.a. der urbane Raum als besonders produktiv erwiesen hat (vgl. u.a. Mörtenböck et al. 2011 (* 10 ); Naik et al. 2009 (* 11 )). Zudem lässt sich das Aufkommen kulturellen Widerstands und sozial engagierter Kunst in (zeit-)historischen Epochen und in unterschiedlichen Genres beobachten (vgl. u.a. Bishop 2012) (* 2 ). Auch eignen sich spezielle Medien (vgl. u.a. Duncombe 1997 (* 7 ); Zobl et al. 2012 (* 15 )) und Technologien (vgl. u.a. Schneider et al. 2012 (* 13 ); Strouhal et al. 2008 (* 14 )) dafür, verschiedene Kategorien der aktiven Aneignung und Weiterentwicklung von Kultur zu beschreiben. Anhand dieser groben Einteilung möchten wir im Folgenden die Beiträge der aktuellen Ausgabe von p/art/icipate vorstellen.
Florian Bettel ( 2013): Zum Thema „ENGAGE! Kunst, Politik und kultureller Widerstand“. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 02 , https://www.p-art-icipate.net/zum-thema-engage-kunst-politik-und-kultureller-widerstandart-politics-and-cultural-resistance/