Kunst
Ist man nach widerständigen Praxen auf der Suche, so bietet sich die Kunstgeschichte als eine reiche Fundstelle an. Giulia Cilla und Viola Hildebrand-Schat analysieren zwei gänzlich unterschiedliche zeithistorische Fälle und zeigen dabei dennoch vergleichbare künstlerische Strategien auf. Cilla untersucht die visuellen Praxen, mit denen sich dissidente Gruppen im kulturellen Kampf gegen die Verschleppungen während der lateinamerikanischen Militärdiktaturen zu Wehr setzten. Hildebrand-Schat widmet sich in ihrem Beitrag der Situation Russlands nach 1989 am Beispiel des Künstlerkollektivs Chto delat?, das seit 2003 auf unterschiedlichen Ebenen und mittels einer Vielzahl von Medien agiert. In beiden Fällen lässt sich zeigen, dass künstlerische Visualisierungsstrategien von Nichtgezeigtem und Nichtgesagtem als Ausgangspunkte dazu verwendet werden, einen breiteren, über den Kunstmarkt reichenden Diskurs anzustoßen.
Einblick in die tatsächliche künstlerische (kollektive) Arbeit gewähren Shushan Avagyan (Queering Yerevan) und Günther Friesinger (monochrom). Sie legen ihre Motivation offen, in Anbetracht schwieriger Produktions-/Arbeitsverhältnisse, trotzdem Kunst zu machen.
Einen umfassenden Blick auf die Arbeit von künstlerischen Kollektiven im Feld des kulturellen Widerstands hat auch der steirische herbst 2012 geboten. Hildegund Amanshauser hat Veronica Kaup-Hasler, eine der KuratorInnen des groß angelegten siebentägigen Marathon-Camps Truth is concrete, zu den Erkenntnissen befragt, die sie aus den zahlreichen Veranstaltungen mitnehmen konnte.
Marina Belobrovaja und Jürgen Riethmüller werfen einen (notwendigen) kritischen Blick auf die Überschneidung von Kunst und Politik. Belobrovaja widmet sich der künstlerischen Auseinandersetzung mit der zunehmend verschärften Einwanderungspolitik im Speziellen in der Schweiz. Sie fragt, was im Sinne der Ästhetik und künstlerischen AutorInnenschaft noch tragbar ist und wo das Ausnützen von Einzelschicksalen zur persönlichen Bereicherung der KunstakteurInnen beginnt. Riethmüller nähert sich dieser Frage ausgehend vom politischen Widerstand und eröffnet seine Polemik mit der präzise formulierten Frage, wieso überhaut politischer Aktivismus so etwas wie das Streben nach künstlerischen Weihen bräuchte.
Eine Perspektive, die bislang gerne außeracht gelassen wurde, nimmt Luise Reitstätter ein, indem sie sich in ihrem Beitrag den Personen im Kunstbetrieb widmet, die lange Zeit als gleichförmige Masse betrachtet wurden: den BesucherInnen. Die Wandlung des Kunstbegriffs in den letzten Jahrzehnten geht einher mit neuen künstlerischen Strategien, das Publikum in das Kunstwerk miteinzubeziehen. Dass sich allerdings die Menschen, die die Orte der Kunst aufsuchen, nicht so leicht kategorisieren lassen, deutet Reitstätter als widerständige Praxis.
Und um diese, die künstlerische Perspektive auf kulturellen Widerstand abzuschließen, haben die beiden HerausgeberInnen Stephen Duncombe in einem Interview zu seinen Erfahrungen befragt, die er mit und nach der Herausgabe des Cultural Resistance Reader sammeln und welche Projekte er seither umsetzen konnte.
Florian Bettel ( 2013): Zum Thema „ENGAGE! Kunst, Politik und kultureller Widerstand“. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 02 , https://www.p-art-icipate.net/zum-thema-engage-kunst-politik-und-kultureller-widerstandart-politics-and-cultural-resistance/