HipHop Linguistics, Street Culture und Ghetto-Männlichkeit

Zur Bedeutung von postmigrantischem HipHop in Österreich

Dieser Artikel lotet die soziale und politische Bedeutung der translokalen kulturellen Praxis von jungen, in Österreich geborenen und aufgewachsenen männlichen Rappern der zweiten Generation türkischer MigrantInnen aus. Die Rapper eignen sich die globalisierte HipHop-Kultur an, sie vermischen und vermengen diese Elemente mit Traditionen und Quellen der Kultur des Herkunftslandes ihrer Eltern sowie mit jenen der österreichischen Popularkultur. Ihre erfolgreiche Verhandlung unterschiedlicher populärer Kulturen und deren fortwährende Vermischung, die etwa in türkisch- und deutschsprachige Rap-Songs mündet, stehen im Kontext der Auseinandersetzung mit Machtverhältnissen, hegemonialen Migrationsdiskursen und Repräsentationen von MigrantInnen. Die postmigrantischen Jugendlichen, also MigrantInnen der zweiten und dritten Generation, die selbst nicht eingewandert sind, stünden, so der dominante Diskurs, zwischen zwei Kulturen und würden sich weder der einen noch der anderen Kultur zugehörig fühlen. Sie seien orientierungslos, weil sie sich zwischen zwei gegensätzlichen und als starre Entitäten aufgefassten Kulturen gefangen sehen. Hinter dieser Vorstellung über postmigrantische Jugendliche als „zerrissene Generation“ verbirgt sich ein national und räumlich fixiertes Kulturverständnis, das nahelegt, sich für die eigene Verortung und identitäre Selbstdefinition geografisch und kulturell auf ein Gebiet festlegen zu müssen (Yildiz 2010)star (* 26 ).

Die für diesen Artikel interviewten Musikschaffenden, die beiden Rapper Esref Balkan und Nasihat Kartal und der Sänger iBos, zerstören dieses Kulturverständnis bzw. diese „Utopie der Sesshaftigkeit“ (Yildiz 2010)star (* 26 ), indem sie ihren eigenen (Lebens-)Raum – einen „dritten Raum“ (Bhabha 2000)star (* 5 ) – entwickeln, in dessen Mittelpunkt HipHop, eine ursprünglich afroamerikanische Jugendkultur, steht. Die translokale kulturelle Praxis des HipHop, bestehend aus den vier Elementen Rap, DJ-ing, Graffiti und Breakdance, ermöglicht, heterogene Bedeutungen unterschiedlicher Kulturen zu integrieren, neue Zugehörigkeiten zu Szenen und ihren Netzwerken zu produzieren und hybride Identitäten zu entwickeln. Die hybriden Identitäten stellen dominante Identitätskonzepte und nationalstaatliche Raumkonzeptionen infrage, weil sie eine „in-between“-Position (Hall 1995)star (* 11 ) darstellen. HipHop lässt sich somit als „Arena des symbolischen Widerstands gegen ein essentialistisches Verständnis sozialer Identität“ verstehen und steht in „Kontrast zu stereotypischen Darstellungen von Migrantenjugendlichen“ (Androutsopoulus 2003: 18)star (* 2 ).

Als translokale kulturelle Praxis ist HipHop zudem eine ethnische und nationale Grenzen überschreitende Alltagspraxis, die von lokalen und globalen Einflüssen gleichermaßen geprägt ist. Die Globalisierung des HipHop befördert regionale Dialekte und die Wiederentdeckung ethnischer Traditionen, gleichzeitig transportiert HipHop den Gedanken des Lokalen, des Dialekts und der Differenz in die global agierenden Kulturindustrien (Klein/Friedrich 2003)star (* 17 ). Die Texte der Rapper, der spezifische Einsatz von Sprache oder die Graffitis an Hauswänden verweisen auf die „Produktion von Lokalität“ (Appadurai 1995)star (* 4 ) unter den Bedingungen der kulturellen Globalisierung. Lokalität definiert sich folglich über die Beziehung zur „Global HipHop Nation“ – eine multilinguale, multiethnische „Nation“ mit weltweiter Verbreitung (vgl. Alim 2009)star (* 1 ) – sowie über eine geteilte Vorstellung von lokalem Raum. Tony Mitchell (2003)star (* 18 ) spricht im Kontext der Globalisierungs- und Lokalisierungsprozesse von HipHop von einem rhizomatischen, diasporischen Fluss der Rapmusik außerhalb der USA, der in die Formierung synkretischer „glokaler Subkulturen“ mündet. Richard A. Peterson und Andy Bennett (2004)star (* 20 ) referieren auf den Terminus der Translokalität für die Beschreibung von Musikszenen, die, wie lokale Szenen, auf ein Musikgenre spezialisiert sind und durch den regelmäßigen Austausch mit AkteurInnen in ähnlichen lokal verankerten Szenen und den Aufbau von Netzwerken zu translokalen Szenen werden. Wir beschreiben die kulturelle Praxis der postmigrantischen Rapper in Österreich als translokal, weil sie sich in Wechselwirkung zwischen dem Strom der global verfügbaren HipHop-Diskurse und deren lokaler Aneignung und Adaption entwickelt und von Interaktionen mit AkteurInnen, wie etwa musikalischen Kooperationen, in anderen lokal verankerten HipHop-Szenen geprägt ist.

Wie postmigrantische Rapper in Österreich die globalisierten HipHop-Diskurse in den lokalen Kontext einbetten und variieren und dabei eine eigene, zum Teil widerständige „agency“ entwickeln, die dominante Repräsentationen über postmigrantische Jugendliche zurückweist, illustrieren die folgenden Ausführungen. Im ersten Kapitel werden zunächst die Sprachpraktiken der Rapper anhand einzelner Songs analysiert und die Charakteristika der lokalisierten Variante der „HipHop Linguistics“ beschrieben. Das zweite Kapitel widmet sich der Frage, wie Vorstellungen über eine authentische urbane „street culture“ durch die Identifikation der HipHopper mit ihrem Wiener Heimatbezirk artikuliert werden und rekonstruiert die performative Darstellung einer „Ghetto-Männlichkeit“ in ausgewählten Musikvideos. „HipHop Linguistics“, „street culture“ und „Ghetto-Männlichkeit“ sind, so unsere These, wesentliche Elemente des „dritten Raums“, den die postmigrantischen HipHopper durch ihre translokale kulturelle Praxis produzieren.

Der Artikel basiert neben den erwähnten Interviews auf der Analyse von Rap-Songtexten und Musikvideos sowie Beobachtungen bei Szene-Events.

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