„Wir kennen die Bodenlosigkeit dieser Realität, auf der wir stehen“
Interview mit Veronica Kaup-Hasler, geführt von Hildegund Amanshauser am 31. Jänner 2013
Meine erste Frage bezieht sich auf Ihr Standard-Interview vom 20. September 2012 und damit vor Eröffnung des steirischen herbst 2012, in dem Sie gesagt haben, es ginge bei der diesjährigen Ausgabe des Festivals um folgende zwei Fragen: Welche Rolle spielt Kunst konkret in gesellschaftsveränderten Prozessen und soll sich Kunst gesellschaftlich konkret engagieren? Wurden diese Fragen im Laufe des Festivals beantwortet?
Naturgemäß können diese Fragen nicht durch ein Festival beantwortet werden. Wir haben vor allem versucht, eine Plattform zu sein und Raum zu geben für diese Fragen und für verschiedene Beispiele aus der Praxis. Wir haben die unterschiedlichsten Strategien und Taktiken überhaupt erst mal gesammelt und gebündelt. Über 250 Künstler, Aktivisten, Theoretiker waren allein im Marathon-Camp zu Gast, die in Form von 30-minütigen Tactic Talks ihre Strategien vorstellten und präsentierten. Zusätzlich gab es Lectures, Panels, Workshops, Performances, Konzerte. Dennoch hätte man wahrscheinlich mit dem, was es in diesem Bereich derzeit weltweit gibt, das Festival auf mehrere Monate ausdehnen können. Es waren ja nur exemplarische Momente, die wir aufgegriffen haben, die aber sehr wohl zeigen, in welcher Form Kunst Strategien entwickeln kann, um konkrete gesellschaftliche Veränderungsmomente zumindest zu initiieren oder zu beeinflussen und als Katalysator zu wirken. Es hat sich aber auch herausgestellt, dass es doch ein sehr weites Feld ist und dass es auch Unvereinbarkeiten gibt zwischen reinen Politaktivisten und Leuten, die sich selbst sehr stark in der Kunst verankert sehen. Das heißt, hier gab es durchaus auch Kommunikationsschwierigkeiten. Manchmal konnte man nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommen, wie wohl ich keiner der beiden Seiten das Engagement absprechen würde. Aber die Gespräche haben interessanterweise diese Aufspaltung eher forciert oder gezeigt, als dass es eine einzige Plattform geworden wäre, die in einer falschen Harmonie sagt, das Wichtigste ist, dass wir die Gesellschaft verändern. Es gibt schon einen breit gefächerten Diskurs, in welcher Form Engagement interessant ist für die Kunst.
Sie sagen, es gab sozusagen reine Aktivisten auf der einen Seite und auf der anderen Seite Leute, die Sie als Künstler und Künstlerinnen bezeichnen würden?
Das waren sicher die Pole, wobei sich die Verortung auf dem Selbstverständnis der unterschiedlichen Teilnehmer begründet. Die Extrempole, um diese zu benennen, wären auf der einen Seite rein politische Aktivisten, mit einem relativen Skeptizismus gegenüber der Kunst, der Kunstwelt, der Vereinnahmung durch die Kunst und durch Institutionen, extrem institutionskritische Aktivisten, die sich auch gar nicht in die Nähe der Kunst gerückt sehen möchten, auch wenn sie kreative Strategien entwickeln. Auf der anderen Seite sind Künstler, die darauf beharren, dass ihre Partizipation oder ihr Engagement auch immer auf dem Feld der Kunst basiert sein muss. Und dazwischen unendlich verschiedenste Grautöne und Mischkulanzen. Man konnte mitunter auch eine gewisse Kunstfeindlichkeit und ein Vorurteil, dass Kunst grundsätzlich etwas Bourgeoises sei, bei gewissen aktivistischen Extrempositionen feststellen und es gab auf der anderen Seite Künstler, die sich wiederum durch keinerlei Ideologie vereinnahmen lassen, sei es politischer oder aktivistischer Natur.
Die Grenze zwischen reinem Aktivismus und Kunst sind ja extrem fließend, welche spezifisch künstlerischen Methoden im Feld der engagierten KunstaktivistInnen würden Sie anhand von einem Beispiel benennen?
Ich glaube, dass die Grenzen nicht nur fließend sind, sondern auch unterschiedlichen Dynamiken und Entwicklungen unterliegen. Ein Beispiel: Wir hatten vor einigen Jahren Noah Fischer eingeladen, hier eine Installation zu machen, eine großartige Arbeit, eine abstrakte Arche Noah, sehr gesellschaftskritisch, ökologiebewusst und so weiter. Aber letztendlich ein klassisches Kunstobjekt. Fischer hat in der Zwischenzeit auch durch sein Engagement in der Occupy-Bewegung mehr oder weniger aufgehört, so zu arbeiten. Ihn interessiert jetzt die Verlagerung der Kunst in ein politisches Feld und er ist Mitinitiator von „Occupy Museums“. Er sieht sich noch immer als Künstler und gleichzeitig findet er alles, was die Hervorbringung von Artefakten bedeutet, nicht mehr interessant. Ihm geht es als Künstler nur noch um die große soziale Skulptur, an der er arbeiten möchte oder die er mitgestalten möchte, auch ohne Autorenschaft. Er argumentiert noch sehr künstlerisch, was er auszugestalten hätte. In der Kunst wird hier der Aktivismus gepredigt. Ein anderes Beispiel, das aus der Kunst kommt, wäre z.B. die Pinky Show. Diese zwei hawaiianischen Grafiker, bildende Künstler, haben sich zusammengetan, um eine Figur zu erfinden und eine Zeichentrickserie, die aufklärerische Inhalte behandelt. Mit der sehr einfachen Figur, die an Kinderzeichentrickserien erinnert, die mit einer scheinbaren Naivität sehr kritische Fragen stellt und durch permanentes Nachfragen Dinge aufdeckt oder entblößt oder Strukturen freilegt und analysiert. Das wäre ein Beispiel, das eindeutig aus dem Bereich der bildenden Kunst bzw. des Trickfilms kommt und trotzdem eine aufklärerische Haltung hat und in gesellschaftliche Momente eingreift.
Hildegund Amanshauser, Veronica Kaup-Hasler ( 2013): „Wir kennen die Bodenlosigkeit dieser Realität, auf der wir stehen“. Interview mit Veronica Kaup-Hasler, geführt von Hildegund Amanshauser am 31. Jänner 2013. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 02 , https://www.p-art-icipate.net/wir-kennen-die-bodenlosigkeit-dieser-realitat-auf-der-wir-stehen/