„Wir kennen die Bodenlosigkeit dieser Realität, auf der wir stehen“
Interview mit Veronica Kaup-Hasler, geführt von Hildegund Amanshauser am 31. Jänner 2013
Neben Truth is concrete gab es im letzten Jahr vergleichbare Projekte, wie z.B. die Berlin Biennale. Meine Theorie wäre, dass diese Dynamik in der Kunst die andere Seite der Medaille davon ist, was so landläufig als Politik in diesem Land verstanden wird. Denn Politik wird sofort assoziiert mit Korruption, Verdrossenheit, total verhärteten Strukturen usw. Wie sehen Sie das?
Ja, ich würde Ihre Ansicht teilen, dass das Interesse an Politik in der Kunst auch als Reaktion auf die zunehmende Politikverdrossenheit lesbar ist. Aber das Interesse am Politischen ist nicht eine neue Erscheinung, das hat es immer gegeben – allein, wenn man da an die Documenta X von Catherine David denkt, die ja als sehr politisch wahrgenommen wurde. Und die war 1997. Wir erleben also seit gut fünfzehn oder zwanzig Jahren eine starke Politisierung der Kunst. Allerdings hat David ja den Fokus stark auf das politische Video gerichtet und damit wirklich einen Hype in diesem Bereich mit generiert; also Künstler, die beschreiben, was in ihrer Umgebung passiert, sie beobachten. Sie sind beobachtende, aufmerksame und verfolgende Mitbürger. Und da hat sich zum heutigen Zeitpunkt etwas geändert – in den letzten Jahren wurde plötzlich die Kreativität des Protestes und Formen des Widerstandes wieder zu einem Thema. Der Umgang mit Politik ist wieder ein lustvoller und spielerischer, wenn man etwa auch an Yes Men denkt, die sich verkleiden, sich in Vorstandssitzungen, Aktionärsverhandlungen einschleusen und geregelte Prozesse und Abläufe torpedieren. Also dieses schelmische, humorvolle Element, das plötzlich auch mit Politik in Verbindung kommt, das geht wirklich sehr stark von einem kreativen, von einem künstlerischen Denken aus. Egal, ob man sich dem dann zugehörig fühlt oder nicht. Die Formen des Protests sind anders als eine Demonstrationskultur des Marschierens, die auch alle ermüdet hat in den 1980er Jahren, bis sie zuletzt von den Straßen verschwunden schien. Da hat sich etwas verändert und da hat sich auch etwas in der Kunst sehr stark verändert in den letzten Jahren. Und diese anderen Protestformen sind ja auch befreiend – gerade in einem Land wie Österreich, in dem die zunehmende Politikverdrossenheit und Diskursunfähigkeit zu Erstickungsgefühlen führt. Wir kennen die Bodenlosigkeit dieser Realität, auf der wir zunehmend wankend stehen.
Auf der anderen Seite, wenn ich an die Berlin Biennale denke oder auch an die Ausstellung, die rund um das Marathon-Camp übriggeblieben ist: Das hatte schon auch was extrem Hermetisches. Wenn da keine AktivistInnen sind und man nirgendwo teilhaben kann, ist es …
… dann ist es leer.
Ja, und auch traurig. Irgendwas funktioniert da nicht.
Ich würde die herbst-Ausstellung auch retrospektive kritisieren, sie war ja auch ganz anders konzipiert und es ist problematisch, sie losgelöst von der Grundkonzeption zu analysieren. Sie war ja von den beiden Kuratoren, Vit Havranek und Zbigniew Baladran so angedacht, dass es permanent und für die gesamte Dauer der Ausstellung die Präsenz der Künstler und der Kuratoren hätte geben sollen; ein ständiger Wandel usw. Und das hat sich einfach im Laufe der Zeit aufgelöst, und was geblieben ist, waren teilweise Kunstwerke, die einem etwas gesagt haben und andere, die auch so ein bisschen erratisch dastanden. Aber diese Ausstellung war ja bei uns wirklich ein sehr kleiner und nicht sehr groß finanzierter Teil eines großen Ganzen. Daneben gab es ja auch eine Fülle von Ausstellungen im steirischen herbst, die sehr interessant mit dem Thema umgegangen sind. Aber generell gibt es schon einen sehr großen Unterschied zwischen dem, was wir mit dem Marathon-Camp gemacht haben und der Berlin Biennale, die sich eine andere Aufgabe gestellt hat. Und das große Ganze war einfach das gesamte Festival mit vielen, vielen Vorstellungen, aber eben auch dem Marathon-Camp. Ich habe zu keinem Zeitpunkt behauptet, dass das, was wir da machen, mit diesem Zusammenkommen, mit dieser Partizipation der Teilnehmer, dass das Kunst sei. Das würde mich da auch überhaupt nicht interessieren, auch sehend oder erfahren habend, wie die Berlin Biennale gelaufen ist; die ich in vieler Hinsicht als ambitioniert, aber letztlich enttäuschend empfunden habe. Ich fand sie nur eben dann spannend, wenn etwas in einen performativen respektive diskursiven Kontext eingebettet war, wie etwa bei Jonas Staal. Die „Left-overs“, die Artefakte selbst, die da letztlich doch als Ausstellung gezeigt wurden, waren für mich wenig interessant und dann eben doch sehr traditionell präsentiert. Ich hatte auch mit einigen Projekten grundsätzlich ein konzeptionelles Problem, wie die Idee des Transports von Partizipanten der Occupy-Wall-Street-Bewegung aus New York in diesen Museumskontext. Schneller kann man eine politische Bewegung nicht totmachen, als wenn man Aktivisten in einen White Cube stellt, Zelte aufbaut und sie dort kochen lässt. In Graz haben wir das nicht zur Kunst gemacht, sondern eben an sozialen Räumen gebaut, die Begegnung ermöglichen – was auch wunderbar funktioniert hat. Das war der Fall während des Camps und auch in dieser Anmaßung, 24 Stunden eine ganze Woche lang, das hat interessanterweise gefruchtet und funktioniert, zu jeder Tages- und Nachtzeit.
Meine Erfahrung ist, dass aus einer kreativen Überforderung, auch immer wieder was sehr Interessantes entstehen kann.
Ja, genau. Man verpasst immer was, kann nicht alles sehen und lässt es sich dann erzählen. Also allein dadurch, dass man fragt: „Was war denn jetzt in den letzten fünf Stunden?“
Zum Abschluss möchte ich noch fragen, ob Sie uns bereits das Thema von diesem Jahr erzählen können?
Ja, das gibt es und es ist eigentlich auch ein Versuch, an das letzte Jahr anzuschließen. Wir haben lange, lange, lange, lange überlegt, was macht man nach so einer Behauptung? Und dann war die Überlegung, auch genau chronologisch nachzudenken: Was passiert, wenn Occupy Wall Street zu Ende ist? Was passiert, wenn man versucht, Utopien, Visionen und diese Energie in einen Alltag überzuführen? Welche Allianzen, Mesalliancen, Verbindungen, Verknüpfungsfehler passieren? Gibt es Koalitionen? Es sind also – und das ist der momentane Arbeitstitel – Liaisons Dangereuses, die uns interessieren. Weil es eben diese gefährlichen Verbindungen aufzeigt. Wir fragen nach dem Gewinn, den man hat, strategische Koalitionen einzugehen, um etwas zu erreichen und gleichzeitig die Gefährlichkeit dessen, was es dann mit einem macht. Das wird weitergesponnen, das erweitert das Feld wiederum auch für andere Ansätze …
Hildegund Amanshauser, Veronica Kaup-Hasler ( 2013): „Wir kennen die Bodenlosigkeit dieser Realität, auf der wir stehen“. Interview mit Veronica Kaup-Hasler, geführt von Hildegund Amanshauser am 31. Jänner 2013. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 02 , https://www.p-art-icipate.net/wir-kennen-die-bodenlosigkeit-dieser-realitat-auf-der-wir-stehen/