„Wir kennen die Bodenlosigkeit dieser Realität, auf der wir stehen“

Interview mit Veronica Kaup-Hasler, geführt von Hildegund Amanshauser am 31. Jänner 2013

Ich würde gern noch auf das Projekt Rebranding European Muslims zu sprechen kommen. Demner, Merlicek & Bergmanns Entwurf Look Twice wurde ausgezeichnet. Wie wichtig war die Rebranding-Kampagne, oder ging es da mehr um die Gala, die selbst schon die Kunstform war?

Ja, ich würde sagen, herausgekommen ist eben dieser Entwurf. Das war ein Projekt der israelischen Künstlerin Dana Yahalomi mit Public Movement, die vor allem partizipatorische Projekte im öffentlichen Raum gemacht hat, oder sich auch mit der Choreografie von Staatsauftritten, oder bestimmten Formen öffentlichen Erscheinens wie auch dem Marschieren der israelischen Soldaten und von Jugendverbänden beschäftigt hat. Sie hat immer wieder das Öffentliche selbst zum Thema gemacht. Sie wollte im Grunde eine Kampagne lancieren, um europäische Muslime zu rebranden. Ihr Ausgangspunkt war zunächst, dass sie selbst gemeinsam mit einem Grafiker einen Entwurf erarbeiten würde. Je mehr sie recherchierte und sich auch mit den muslimischen Gemeinden und der Situation der Moslems in Österreich auseinandersetzte, umso klarer wurde ihr, dass es kein „Branding“ geben kann. Es zeigte sich im Laufe der Projektentwicklung, dass sich die Sache selbst sperrte und sie beschloss, sich selbst zurückzunehmen und das Branden zu delegieren – und zwar an Experten. Sie hat also mehrere Agenturen eingeladen, sich mit diesem Thema zu befassen und im Rahmen einer Gala ihre Vorschläge zu präsentieren. Im Lauf des künstlerischen Prozesses hat sich der Fokus der Künstlerin außerdem mehr und mehr auf die Auseinandersetzung und Gespräche im Vorfeld gerichtet. Ihr ging es sehr stark darum, nicht nur zu einem Produkt zu kommen, was letztendlich die Gala war, die sie natürlich auch ironisch und mehrdeutig gelassen hat. Ihr ging es auch darum, einen Diskussionsprozess mit lokalen Behörden, mit den lokalen muslimischen Verbänden überhaupt erst mal anzustoßen, um darüber zu reflektieren. Also im Grunde würde ich sagen, ist das der Teil des Kunstwerkes, der wahrscheinlich der geglückte und interessante ist. Die Gala selber war okay, sie war in dieser Mehrdeutigkeit eigenartig, weil sie auch wieder so klischierte Bestandteile eingebaut hatte, wie z.B. Bauchtänzerinnen oder ein Gebet der muslimischen Gemeinde – über solche Elemente der Gala gab es naturgemäß auch geteilte Meinungen. Also insgesamt war das eine sehr seltsame, trashige Veranstaltung auch in Hinblick auf die drei Branding-Vorschläge, die auch keine Lösungen für diese Frage darstellen. Demner, Merlicek & Bergmann haben die Aufgabe wahrscheinlich auf die eleganteste und auch interessanteste Weise gelöst, aber sie haben sich eigentlich dem Rebranden entzogen, in dem sie einen anderen Slogan entworfen haben. Also nicht „Rebranding European Muslims“, sondern „Rediscovering European Muslims“, ein Dreh der Aufgabe, theoretisch ein Ausschließungsgrund. Es war eine witzige Volte, eine Schriftart zu entwickeln, die einfach an arabische Schrift erinnert und mit der man deutsche Texte moduliert. Das hat auch sehr gut gewirkt und funktioniert als Plakatkampagne in der Stadt, die auch in diversen Online-Foren einiges an Aufsehen verursachte. Wir hatten zwar nicht das Geld, um das jetzt flächendeckend über Europa oder Österreich auszubreiten, toll war aber die Kooperationsbereitschaft einiger Medien – Der Standard, die Kleine Zeitung und Die Presse schalteten die Kampagne unentgeltlich.

Wo liegen die Möglichkeiten und Grenzen der Institution „Festival“. Inwiefern sind Sie mit dem steirischen herbst an die Grenzen des Formats gestoßen?

Naturgemäß gibt es das. Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir politisch spannende Themen aufgegriffen haben. Der steirische herbst ist traditionell immer auch ein an der Politik interessiertes Festival und diese Sensibilität für das, was sich welt- und gesellschaftspolitisch ereignet, hat sich in den letzten Jahren klar erkennbar erhöht. Uns beschäftigen gesellschaftspolitische Themen, die auch die Kunst beschäftigen. Also reagiere ich ja nur auf das, was in der Welt und in der Kunst gerade passiert. Ich glaube, dass man den institutionellen Rahmen, in dem man arbeitet, maximal für relevante Themen nützen muss. So war das bei den Wiener Festwochen, als ich als junge Festival-Dramaturgin zum Beispiel Christoph Schlingensief eingeladen habe, ein Projekt für die Festwochen zu entwickeln, aus dem dann das Containerprojekt (Bitte liebt Österreich, Wien 2000) entstanden ist. Da war ich noch ein richtiger Jungspund, und da habe ich das Entscheidungsvakuum der damaligen künstlerischen Leitung der Wiener Festwochen ausgenützt, um das zu lancieren und hineinzubringen. Das war ein großartiges und wunderbares Projekt, das auch in vielerlei Hinsicht die Institution extrem infrage und auf den Prüfstand gestellt hat. Im Nachhinein aber war das nicht nur die beste Arbeit Schlingensiefs bzw. eine seiner wichtigsten Arbeiten, es war auch für den Ruf der Wiener Festwochen von entscheidender Bedeutung, dass sie eben nicht nur in einem hochkulturellen Produktionszusammenhang stehen, sondern dass ein Festival auch etwas anderes machen kann. Davon hat, glaube ich, letztendlich die Institution nur profitiert.
Was den steirischen herbst betrifft, so beschäftige ich mich gemeinsam mit meinem Team Jahr für Jahr aufs Neue damit, herauszufinden, was die Fragen unserer Zeit sind und worüber denn gesprochen, worüber nachgedacht werden müsste. Und gleichzeitig ist das eine Reflexion darüber, was die Themen der Kunst sind, wie sie mit eben diesen Fragen umgeht oder welche sie zur Disposition stellt.
In der Vorbereitungszeit für 2012 war von Occupy Wall Street noch überhaupt gar nicht die Rede. Es ging eigentlich los mit Japan, mit Fukushima, den ersten Protest-Bewegungen und mit dem arabischen Frühling, der dann folgte. Zu diesem Zeitpunkt gab es kein wichtigeres Thema als die Situation, in der sich die Welt momentan befindet, die weltweiten Aufbruchs- und Protestbewegungen. Und es war für uns vollkommen klar, dass diese Ausnahmesituation auch eine außergewöhnliche Konzeption dieses steirischen herbst zur Folge haben muss. Wir hatten die Chancen und die Möglichkeit, in einem interdisziplinären Festival einmal ein ganz anderes Format im Bereich der Theorie zu lancieren. Und auch mal Stimmen zu Wort kommen zu lassen, die nur durch sehr starke Kontextualisierung und Erklärung spannend sind.
Aber uns war klar, dieses Thema muss aus unterschiedlichsten Perspektiven besprochen werden und wir haben die Chance, hier erstmalig eine sehr große und sehr gastfreundliche Plattform für unterschiedlichste Zugänge zu dem Thema zu bieten. Es ging darum, ein Format, in diesem Fall eben einen Marathon, zu entwickeln, der sehr stark durch uns und unsere Recherchen und die Menschen, die wir getroffen oder von denen wir gehört haben, geprägt war. Parallel zum 24-Stunden-Programm des Hauptmarathons gab es auch die parallele Struktur des Open Marathons, die es allen Teilnehmern ermöglicht hat, zu partizipieren und einen vollkommen eigenen, individuellen Zeitplan zu entwerfen. Und mit dieser Struktur – einerseits dem von uns Kuratierten und dann dem Offenen, von allen Teilnehmern Gestalteten – wurden konsequent auch politische Fragestellungen auf die Institution selbst angewandt. Da ging es wirklich um eine fundamentale Überlegung zum Thema „Was heißt kuratieren?“. Was geben wir ab, wo sind wir präsent, was ist der Rahmen, den wir erzeugen, welche Freiräume schaffen wir, welche Möglichkeit zur Mitbestimmung gibt es, bis hin zu Fragen der Ökologie innerhalb unseres Arbeitens. Unsere menschlichen Ressourcen haben wir mit diesem Mammut-Projekt vollkommen überspannt. Da haben wir uns wirklich aufgerieben in dem Jahr. Es hat sich aber auch die Frage ergeben, wo können wir ökologischer werden, was können wir tun, um Ressourcen innerhalb des steirischen herbst auch zu verändern und zu sparen und nachhaltig zu arbeiten, auch nach dem Festival. Da stand die Institution schwer auf dem Prüfstand, einfach weil es eine totale Überforderung war, die wir uns da zugemutet haben, bei der Größe des Teams. Das war viel zu viel, wie zwei Festivals in einem machen.
Dennoch und sicherlich auch wegen dieser extremen Kraftanstrengung haben wir auch einen enormen Erfolg gehabt mit dieser radikalen Entscheidung. Das ist nicht zuletzt auch Frucht einer permanenten Vermittlung dessen, was wir für notwendig halten – in alle Richtungen.

Hildegund Amanshauser, Veronica Kaup-Hasler ( 2013): „Wir kennen die Bodenlosigkeit dieser Realität, auf der wir stehen“. Interview mit Veronica Kaup-Hasler, geführt von Hildegund Amanshauser am 31. Jänner 2013. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 02 , https://www.p-art-icipate.net/wir-kennen-die-bodenlosigkeit-dieser-realitat-auf-der-wir-stehen/