Diversitätsorientierung in und durch Kulturpolitik

Forderungen aus der Praxis und Handlungsoptionen

Für einen umfassenden und langfristigen Wandel hin zu mehr Diversität und sozialer Gerechtigkeit in Kunst und Kultur bedarf es grundlegender und weitreichender struktureller Veränderungen. Der vorliegende Beitrag*1 *(1)  geht der Frage nach, wo Österreichs Kulturpolitik und -verwaltung ansetzen können, um den Kulturbetrieb offener und gerechter zu machen. Welche Praktiken und Übereinkünfte in Bezug auf Kunst dominieren das kulturpolitische Feld? Welche inhaltlichen Aktualisierungen und konkreten Maßnahmen braucht es, um Diskriminierungen entgegenzuwirken? Der Beitrag knüpft an Beobachtungen sowie Erfahrungen von in Kunst und Kultur tätigen Personen an und führt Erkenntnisse zusammen, die aus dem Forschungsprojekt Kulturelle Teilhabe in Salzburg (2017–2021)*2 *(2)  hervorgingen.

Die Erkenntnis, dass der Kulturbetrieb die Normalität unserer von Diversität gekennzeichneten Migrationsgesellschaft nicht widerspiegelt und weite Teile der Gesellschaft davon aktiv ausgrenzt, ist keineswegs neu. Ebenso wenig die damit einhergehende Forderung nach Transformation, um das Feld von Kunst und Kultur insgesamt gerechter sowie für marginalisierte Gruppen relevant und zugänglich zu machen. Die gesetzlichen Bestimmungen sind diesbezüglich eindeutig: Diskriminierungsverbot sowie das Menschenrecht auf kulturelle Teilhabe sind in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert.*3 *(3)  Für die Durchsetzung dieser Rechte zu sorgen, ist demnach eine zentrale Aufgabe der öffentlichen Hand und der durch sie geförderten Institutionen.

Tatsächlich haben Diversität und Antidiskriminierung seit Kurzem als Themen Eingang in die österreichische Kulturpolitik gefunden. So benennt das Land Salzburg in dem 2018 veröffentlichten Kulturentwicklungsplan KEP Land Salzburg als eines seiner grundsätzlichen Ziele, dass es sich dem „Ideal einer gleichberechtigten Gesellschaft folgend, […] zur Bekämpfung jeglicher Form von Diskriminierung von Menschen aus Gründen der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion, der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Orientierung oder des Geschlechts und zur Förderung einer nachhaltigen Chancengleichheit“ bekennt (Land Salzburg 2018: 13).star (*15) Im Zwischenbericht zu dem im Herbst 2020 auf Bundesebene gestarteten Fairness Prozess ist zu lesen: „Die künstlerische und kulturelle Arbeit von Menschen aus marginalisierten Gruppen soll in Zukunft mehr in den Fokus rücken. […] So divers die österreichische Gesellschaft ist, so divers soll auch ihre Kunst und deren Publikum werden.“ (Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport 2021a: 13)star (*6) Sowohl im österreichischen Fairness Codex*4 *(4) als auch in der Kunst- und Kulturstrategie des Bundes sollen „die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Künstler:innen aus marginalisierten Gruppen sowie die kulturelle Beteiligung von marginalisierten Menschen eine zentrale Rolle spielen“ (ebd.).star (*6) Als konkreter Schritt wurde bereits in allen neuen Ausschreibungen „Diversität als berücksichtigungswürdiges Kriterium“ eingefügt, wodurch Auswahlgremien angehalten werden sollen, die Diversität der Beteiligten bei der Bewertung der Anträge zu berücksichtigen. Außerdem soll eine Neufassung der Geschäftsordnung für Beiräte und Jurys zu einer Diversitätsentwicklung beitragen, indem darin „die Berücksichtigung aller gesellschaftlicher Gruppen explizit verankert“ wurde (vgl. ebd.).star (*6)

Das sind prinzipiell sehr positive Entwicklungen. Für einen umfassenden und langfristigen Wandel hin zu mehr Diversität und sozialer Gerechtigkeit in Kunst und Kultur bedarf es allerdings grundlegender und weitreichender struktureller Veränderungen. Es gilt, seitens der Kulturpolitik weitere konkrete Maßnahmen zu setzen und Diversität kontinuierlich zu fördern. Dabei ist wesentlich, von einem machtkritischen Begriff von Diversität auszugehen, mit dem strukturelle Benachteiligungen und Ausschlüsse von Personen – aufgrund von Alter, Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, sozioökonomischer Herkunft oder Position, Behinderung, sexueller Orientierung etc. – sowie Mehrfachdiskriminierungen in den Blick genommen werden können (vgl. Micossé-Aikins/Sharifi 2019: o.S.).star (*17)

Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, wo Kulturpolitik und -verwaltung ansetzen können, um den Kulturbetrieb offener und gerechter zu machen. Welche Praktiken und Übereinkünfte in Bezug auf Kunst dominieren das kulturpolitische Feld? Welche inhaltlichen Aktualisierungen und konkreten Maßnahmen braucht es, um Diskriminierungen entgegenzuwirken? Konkret knüpfe ich an Beobachtungen sowie Erfahrungen von in Kunst und Kultur tätigen Personen an und führe Erkenntnisse zusammen, die aus unserem Forschungsprojekt Kulturelle Teilhabe in Salzburg (2017–2021) hervorgingen.

Zentrales Element dieses Projekts waren halbstandardisierte Interviews, die das Projektteam mit einem breiten Kreis an Expert:innen führte: Personen unterschiedlicher Altersgruppen und sozioökonomischer Zugehörigkeit, in ländlichen Regionen tätige Menschen und solche aus der Stadt, Akteur:innen öffentlicher Einrichtungen und selbstorganisierter Kollektive und Vereine, Personen aus diskriminierten und unterrepräsentierten Gruppen, freischaffende Künstler:innen, Kulturvermittler:innen, Aktivist:innen. Befragt wurden Akteur:innen aus dem Bundesland Salzburg und von außerhalb. Im Fokus der Gespräche – 35 davon sind als Booklets veröffentlicht*5 *(5) – standen die Bedingungen, vor deren Hintergrund die je eigene Kulturarbeit oder Kunstpraxis stattfindet, sowie persönlichen Erfahrungen der Befragten. Die Interviews veranschaulichen einerseits deutlich die nicht übergehbare Realität einer von Diversität gekennzeichneten Gesellschaft. Andererseits wird daraus aber auch ersichtlich, dass diese Realität in der staatlichen Kulturpolitik bisher dennoch kaum Anerkennung findet.

Vielmehr befördert Österreichs Kulturpolitik vielfältige Ausschlüsse, was zu einem wesentlichen Teil mit dem ihr zugrundeliegenden Kulturverständnis zu tun hat. So ist das kulturpolitische Handeln stark von einem konservativen, bildungsbürgerlichen, auf Repräsentation abzielenden Kulturverständnis geprägt, das seinerseits aus dem Narrativ der ‚Kulturnation Österreich‘ gespeist wird. Dieses sollte insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg zur Herausbildung nationaler österreichischer Zugehörigkeit mit den Mitteln eines rückwärtsgewandten Kulturbetriebs beitragen.*6 *(6) Im Zuge der Neuen Kulturpolitik der 1970er-Jahre kommt es zu einer Öffnung in Richtung Soziokultur, was das vorherrschende Kulturverständnis jedoch nicht grundlegend ändert. Kultur bleibt – unabhängig von unterschiedlichen parteipolitischen Schwerpunktsetzungen – im Wesentlichen ein bildungsbürgerliches Feld der kulturellen Distinktion und Herstellung von Ungleichheit und Ausschlüssen (vgl. Bourdieu (1987 [1979]).star (*5) Immer noch spiegelt sich die Imagination von Österreich als homogene, weiße, bildungsbürgerliche ‚Kulturnation‘ in der kulturpolitischen Rhetorik wider und wird etwa als Argumentation gegen eine vermehrte Zuwanderung (vgl. Wimmer 2020b: o.S.)star (*23) ins Treffen geführt. Sie wirkt sich vor allem auch in konkreten Zahlen aus: Repräsentative, großteils in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie entstandene staatliche Kulturinstitutionen wie Wiener Staatsoper, Burgtheater, große Orchester oder die Bundesmuseen, die mit ihren Inhalten und Programmen lediglich einen sehr kleinen Teil von Österreichs diverser Bevölkerung adressieren, erhalten den größten Pflichtausgabenanteil der Kulturbudgets.*7 *(7) Eine zukunftsorientierte Kulturpolitik kommt nicht umhin, sich einer öffentlichen, kritischen (Selbst-)Reflexion solcher über viele Jahrzehnte gewachsenen Strukturen und deren diskriminierenden Effekten zu stellen sowie basierend darauf Adaptierungen vorzunehmen und Änderungen in Gang zu setzen.

 

Forderungen aus der Praxis

Hinterfragung von Kulturbegriff und Kanon

Was aktuell als Kunst und Kultur Anerkennung findet und im Fokus von institutionalisiertem kulturpolitischem Handeln steht, trägt wesentlich zu Ausgrenzungen bei. Dieser Befund ist ein zentrales Ergebnis des Forschungsprojekts. Die Inhalte, Formate und das Selbstverständnis von Kultureinrichtungen und daraus resultierend ihre Anforderungen an Kunstkonsument:innen, ‑produzent:innen und Personen, die kuratorisch oder organisatorisch in dem Bereich tätig sind oder sein wollen, führen zu vielfältigen Diskriminierungen.

Der Mythos, westliche Kunst sei eine universelle Sprache und für alle – im Sinne von „wer kommt, kommt“ (Kışlal 2021 [2020]: 3)star (*12) – zugänglich, ist im Großteil der Kulturbetriebe nach wie vor wirkmächtig. Doch das funktioniert in dieser Form nicht, denn viele fühlen sich auf der inhaltlich-ästhetischen Ebene von den Angeboten ausgegrenzt – sei es aufgrund diskriminierender Inhalte oder weil die Programme als abgehoben von den eigenen Lebenswelten wahrgenommen werden, da sie „nichts widerspiegeln, was die Menschen kennen“, so Nadja Al-Masri-Gutternig (2021 [2020]: 3)star (*2) vom Salzburg Museum. Das Kunstfeld erfordert zudem einen spezifischen Habitus und gibt bestimmte Regeln vor, was zur Ausgrenzung jener führt, die damit nicht vertraut sind. Eine Hemmschwelle, um ins Theater zu gehen, sei beispielsweise schon die Frage, „was man anziehen muss, um dorthin zu gehen“, sagt der Salzburger Rapper Young Krillin (2021 [2019]: 8).star (*13) So wie er assoziieren zahlreiche unserer Gesprächspartner:innen explizit die bildungsbürgerliche ‚Hochkultur‘ mit Unzugänglichkeit. Doch auch inhaltlich oder ästhetisch voraussetzungsvolle Formate in eher progressiven Zirkeln werden von vielen als ausgrenzend erlebt. So beobachtet Enes Özmen von EsRap, dass oft „Kunst für Künstler“ gemacht oder gezeigt würde, zu deren Verständnis es spezifisches Vorwissen brauche. Solche Angebote würden beispielsweise „Migrantenkinder“ nicht ansprechen (Özmen/Özmen 2021 [2019]: 9f.)star (*16) Interviewte benennen außerdem den eurozentristisch ausgerichteten Kanon vieler Kultureinrichtungen und das Fehlen kritischer Auseinandersetzungen mit kolonialistischen und rassistischen Praktiken als ausgrenzend. In einigen selbstorganisierten Initiativen wird seit vielen Jahren queere und antirassistische Kunst- und Kulturarbeit aus einer dekolonialen Perspektive gemacht, wie Marissa Lôbo von kültüř gemma betont (vgl. Lôbo/Seefranz 2021 [2019]: 4).star (*24) Im breiten Diskurs und in Kulturinstitutionen ist davon jedoch wenig angekommen.

Die Programme der meisten Kultureinrichtungen sind so ausgerichtet, dass sie ein Publikum adressieren, das als weiß, bildungsbürgerlich und kunstaffin imaginiert wird und somit einen Großteil der Bevölkerung ausschließt. Um dem entgegenzuwirken, müsse – so eine zentrale Forderung aus den Gesprächen – der bestehende, das kulturpolitische Feld dominierende Kunstkanon in Bezug auf seine Ausgrenzungsgeschichte kritisch hinterfragt, dekonstruiert und neu aufgeladen werden. Einhergehend damit gilt es, das am ‚Kulturnation‘-Narrativ orientierte präskriptive Kulturverständnis der staatlichen Kulturpolitik zu verabschieden und zeitgemäße Perspektiven zu entwickeln. Es braucht ein neues, erweitertes Verständnis von dem, was als Kunst kulturpolitisch verhandelt, gestärkt und gefördert wird. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist die Anerkennung dessen, was von den unterschiedlichen Mitgliedern und Communitys unserer heterogenen Gesellschaft als Kunst und Kultur verstanden, gelebt, konsumiert und produziert wird, und ebenso, dass sich dies kontinuierlich weiterentwickelt, wie der in Salzburg lebende Künstler Abdullah Karam (2021 [2018]: 3)star (*25) in einem unserer Interviews betont: „[C]ulture doesn’t stop, culture keeps on evolving.“

 

Förderung von differenzierten Formaten, Beteiligungsmöglichkeiten und Sichtbarkeit

Eine weitere Forderung, die sich aus dem bisher Aufgezeigten ableiten lässt und von vielen Interviewten benannt wird, ist die nach einer Differenzierung der Formate und der Beteiligungsmöglichkeiten. Für unterschiedliche Communitys braucht es in Österreichs Kulturlandschaft vielfältige, inhaltlich-ästhetisch breit ausgerichtete Angebote. Sie sollten „jeder Person ermöglichen, in der Form teilzuhaben, wie sie oder er es gerne täte. Sei es als Mitglied in einem Volksliedchor, in einer türkischen Kulturvereinigung oder eben in der Radiofabrik, wo man, in welcher Art auch immer, Radio machen kann“, sagt Eva Schmidhuber (2021 [2020]: 3).star (*20) Vor allem auch etablierte Kultureinrichtungen sind gefordert, ihre Angebote neu auszurichten und von Diskriminierungen betroffene Personen zu adressieren. Damit dies gelingen kann, ist es wesentlich, diese bei der Programmierung einzubinden (vgl. Al-Masri-Gutternig 2021 [2020]: 7).star (*2)

Außerdem gilt es, kulturpolitisch jene Kunstformen aufzuwerten, die von unterrepräsentierten Personen als offener und deutlich zugänglicher wahrgenommen werden. Genannt werden in dem Zusammenhang DIY-Praktiken oder popkulturelle Formate wie Hip-Hop, der „schon eine sehr große Community erreicht“ hat, wie Enes Özmen hervorhebt (Özmen/Özmen 2021 [2019]: 10).star (*16) Zudem sollten marginalisierte Akteur:innen von kulturpolitischer Seite verstärkt als Kulturproduzent:innen wahrgenommen und gefördert werden, so eine weitere in den Interviews formulierte Erwartung, um das Entstehen selbstbestimmter Angebote und an eigenen Interessen orientierte Kulturorte zu unterstützen.

Das wäre zudem ein wichtiger Schritt, um der fehlenden öffentlichen Sichtbarkeit und Wahrnehmung marginalisierter Communitys und kultureller Positionen entgegenzuwirken, die von vielen Interviewpartner:innen als diskriminierend benannt wird. Conny Felice von der HOSI Salzburg stellt insbesondere in Bezug auf Projekte in ländlichen Räumen von Salzburg fest, dass sie ihrer Arbeit in einem Kontext nachgeht, in dem eine „queere Sichtbarkeit“ völlig fehlt (vgl. Felice 2021 [2019]: 3).star (*9) Sichtbarkeit ist grundlegend, um die eigene Community zu stärken (vgl. Özmen/Özmen 2021 [2019]: 7)star (*16) und kulturelle Interessen sowie Forderungen im dominierenden Diskurs durchzusetzen. Die fehlende öffentliche Repräsentation bestimmter Formate, Inhalte und Akteur:innen wird als Ignoranz vonseiten der Kulturinstitutionen und der Kulturpolitik erlebt. Im Hinblick auf mehr Sichtbarkeit für unterrepräsentierte Akteur:innen und ihre Einbeziehung gilt es auch, im Rahmen einzelner Projekte aktiv zu werden: „Migrantische Künstler*innen existieren. Da muss man rausgehen und dezentrale Kulturarbeit leisten“, so Esra Özmen (ebd.: 6).star (*16)

 

Strukturelle Partizipation marginalisierter Akteur:innen

Für mehr Gerechtigkeit in Kunst und Kultur ist die Partizipation von marginalisierten Personen und Communitys in Definitions- und Entscheidungsprozessen von Kulturpolitik und Kulturinstitutionen unerlässlich. In vielen Interviews wird die Notwendigkeit geäußert, Diversität systematisch in den Personalstrukturen von Kultureinrichtungen zu verankern. Menschen, die von Diskriminierungen betroffen sind, müssen zu Wort kommen „und die Sprache, in der über sie gesprochen wird, selbst bestimmen“ (INOU 2021 [2018]: 7),star (*11) aber auch Inhalte mitgestalten und Entscheidungen darüber treffen können. Über personelle Änderungen kann Ausgrenzungen entgegengewirkt werden, indem Akteur:innen aus diskriminierten Gruppen Personen aus ihren Netzwerken erreichen und zur Beteiligung motivieren können. Eine diversitätsorientierte Personalzusammensetzung ist auch ein wichtiges Signal nach außen. Publikum und Kulturproduzent:innen aus unterrepräsentierten Communitys fühlen sich stärker angesprochen und sehen ihre Anliegen eher vertreten, wenn sie in Institutionen (sichtbar) repräsentiert sind. Dass es in der Radiofabrik 2015/16 möglich war, Syrer:innen oder Iraner:innen im Programm zu integrieren, war einzig der Zusammensetzung des Teams, dem ein arabischsprechender EU-Freiwilliger angehörte, zu verdanken (vgl. Schmidhuber (2021 [2020]: 6).star (*20) Ähnliches berichtet Andrea Folie, die in der regionalen Kulturarbeit tätig ist. Um „Menschen im bäuerlichen oder handwerklichen Umfeld anzusprechen“, brauche es in den Projekten Personal, das aus diesem Umfeld kommt (vgl. Folie (2021 [2018]: 6).star (*26)

Zum langfristigen Abbau von Diskriminierungen im Kulturbereich sind jedoch grundlegende, über temporäre Maßnahmen und Einzelprojekte hinausgehende Veränderungen in den Personalstrukturen notwendig. Es geht darum, „dass sich der institutionelle Körper verändert“, wie es Catrin Seefranz von kültüř gemma ausdrückt, „dass dort andere Leute, etwa Migrant*innen arbeiten, einen fixen Arbeitsvertrag haben und ihre Positionen sichern können“ (Lôbo/Seefranz 2021 [2019]: 7).star (*24) Eine Diversifizierung ist auf allen Personalebenen angezeigt, in den hierarchisch organisierten Kultureinrichtungen jedoch vor allem auch in der Leitung. Insbesondere wenn Leiter:innen eigene Expert:innen, Netzwerke und diversitätsrelevante Konzepte mitbringen, trägt dies effektiv zur Förderung von Diversität in Betrieben bei (vgl. Aikins/Gyamerah 2016: 28).star (*1)Allerdings finden gerade in Leitungsebenen von Kultureinrichtungen nach wie vor massive intersektionale Diskriminierungen statt. „Alleine, wenn wir uns die Frauenquoten anschauen und fragen, wie die Leitungspositionen in großen Theatern besetzt sind oder wer die Entscheidungsträger*innen sind, sehen wir, wie miserabel die Situation noch immer ist. […] Wenn man dieser Frauenquote dann noch das Postmigrantische bzw. PoCs (People of Color) hinzufügt, tendiert Diversität gegen Null.“ (Kışlal 2021 [2020]: 4)star (*20) Diesbezüglich braucht es dringend Veränderungen, die über diskriminierungssensible Ausschreibungen und kulturpolitische Anreize gesteuert werden.

Doch nicht nur in den Kultureinrichtungen sind solche strukturellen Änderungen notwendig, sondern auch in der institutionalisierten Kulturpolitik. Denn es fällt auf, dass dort nahezu überall die Perspektiven marginalisierter und diskriminierter Gruppen fehlen. Dies betrifft Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltungen, Gremien wie Kulturbeiräte, Besetzungskommissionen, Jurys oder zivilgesellschaftliche Organisationen wie Interessengemeinschaften. Eine zentrale kulturpolitische Frage muss also sein, wie vielfältigste Perspektiven in kulturpolitischen Prozessen und Entscheidungen Eingang finden und welche Selbstverpflichtungen es vonseiten der Institutionen und Verwaltungen braucht, um darin insbesondere unterrepräsentierten Gruppen Platz zu machen.

 

Abbau räumlicher und kommunikativer Barrieren

Ein weiteres Themenfeld, das in den Gesprächen benannt wird, sind die ausgrenzenden Dimensionen von Kulturorten und Räumlichkeiten. Angesprochen werden bauliche Barrieren, die trotz der seit 2006 bestehenden gesetzlichen Verpflichtung, öffentliche Einrichtungen barrierefrei zu machen, immer noch vielerorts bestehen und Menschen mit Behinderung diskriminieren.*8 *(8) „Wenn ich mir einen Film ansehen möchte, orientiere ich mich nicht am Film, sondern am Saal, den sie gerade bespielen“, nennt die Menschenrechtsaktivistin Monika Schmerold (2021 [2019]: 4)star (*18) als Beispiel für fehlende Gleichberechtigung, die sie als Frau im Rollstuhl erlebt. Es gilt, Barrieren für Menschen mit unterschiedlicher, sichtbarer oder nicht sichtbarer Behinderung, Lernschwierigkeiten sowie alters- oder krankheitsbedingten Einschränkungen abzubauen und dabei diverse Ebenen zu berücksichtigen. Auch Kommunikation spielt in dem Kontext eine wesentliche Rolle. Hinweise über die Beschaffenheit von Räumen, Zugänge, Platzangebote etc. in Kunstinstitutionen sind oft schwer oder gar nicht zu finden. Dabei wäre es einfach, solche Informationen über Websites – die für Menschen mit Behinderung oder Lernschwierigkeiten oft besser zugänglich sind als andere Kommunikationsformen – zu veröffentlichen. Die digitalen Möglichkeiten würden insgesamt zu wenig genutzt und seien häufig nicht barrierefrei gestaltet – so mehrere Interviewpartner:innen. Zudem mangelt es in Kultureinrichtungen an Informationen in Leichter Sprache, gut lesbarer Schrift oder Kommunikationsmaßnahmen, die unterschiedliche Sinne adressieren. Diskriminierungen entstehen außerdem auch, weil Mehrsprachigkeit selten gegeben ist.

Ein anderer Aspekt, der im Zusammenhang mit räumlichen Barrieren vielfach thematisiert wird, ist eingeschränkte oder fehlende Mobilität. Sie bedingt Ausgrenzung aus dem Kulturfeld, wobei Personen in ländlichen Regionen davon deutlich stärker betroffen sind als Städter:innen. Häufig mangelt es an guten öffentlichen Verkehrsnetzen und -angeboten, sodass es für Menschen ohne eigenes Auto schwierig ist, Kulturveranstaltungen zu besuchen. Im Zusammenhang mit mobilitätsbedingten Ausgrenzungen werden auch intersektionale Verbindungen zu Diskriminierungen aufgrund von sozioökonomischer Zugehörigkeit oder Behinderung sichtbar (vgl. Baumgartinger 2021: 5).star (*4) So ist das öffentliche Verkehrsangebot für Menschen mit Behinderung oft besonders schwer zugänglich, zudem ist gerade für diese Gruppe die Kostenfrage sehr relevant, wie Monika Schmerold hervorhebt. Denn viele arbeiten in Werkstätten und erhalten dafür lediglich ein kleines Taschengeld. Wenn damit Fahrtkosten beglichen werden müssen, werden Teilhabemöglichkeiten enorm eingeschränkt (vgl. 2021 [2019]: 4).star (*18)

Der in den Interviews nachdrücklich geforderte Abbau räumlicher und kommunikativer Barrieren bedarf vielfältiger Schritte, die von baulichen Adaptierungen bestehender Kultureinrichtungen bis hin zu inklusiven sprachlichen und digitalen Aktivitäten oder dem Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel und anderer Mobilitätsinitiativen reichen. Dabei sind vor allem auch finanzielle Maßnahmen essenziell, etwa die gezielte Förderung von Umbaumaßnahmen in Kulturhäusern und barrierefreier Kommunikation oder kostenlose Fahrgelegenheiten.

 

Sicherstellung von Finanzierung und Umverteilung von Förderungen

Diskriminierungen im Zusammenhang mit dem sozioökonomischen Hintergrund werden von nahezu allen Interviewpartner:innen angesprochen. Diesbezüglich ist in unterschiedlicher Hinsicht Handlungsbedarf angezeigt, unter anderem in Bezug auf die Gestaltung von Eintrittspreisen. Günstige oder kostenfreie Angebote tragen wesentlich zum Abbau von klassistischen Ausschlüssen bei, so der Tenor in unseren Interviews, ebenso Konzepte wie Pay as you can, bei dem Eintrittsgelder entsprechend der individuellen Einkommenssituation bezahlt werden und wohlhabendere Personen die Karten ärmerer Besucher:innen mitfinanzieren (vgl. Hummer (2021 [2020]: 5).star (*10) Auch Initiativen wie der Kulturpass Hunger auf Kunst und Kultur werden genannt, wenngleich diese für Personen, die von Mehrfachdiskriminierungen – etwa aufgrund von Geschlecht, sozioökonomischem Hintergrund und Wohnort – betroffen sind, nur bedingt hilfreich sind: „Was nützt einer Alleinerzieherin in Krimml der Kulturpass, wenn sie unter oder an der Armutsgrenze lebt? Wie soll sie ins Nexus kommen und zurück?“ (Tritscher 2021 [2020]: 6)star (*21) Für gerechte Teilhabemöglichkeiten braucht es also umfassendere und an unterschiedliche Erfordernisse angepasste Maßnahmen.

In den Interviews werden darüber hinaus auch Diskriminierungen aufgrund von fehlender Finanzierung der eigenen Kulturproduktion und Initiativen thematisiert, die zur Prekarisierung und (Selbst-)Ausbeutung von Künstler:innen und Kulturarbeiter:innen beiträgt. Um dem entgegenzuwirken und nachhaltige Kulturarbeit zu ermöglichen, ist die Anerkennung von Kulturarbeit als Arbeit samt adäquater Anstellungsverhältnisse, gerechter Entlohnung und entsprechender sozialer Absicherung unerlässlich. Im Kontext von Antidiskriminierung und Diversitätsorientierung erhält diese Forderung eine besondere Dringlichkeit. Denn eine entsprechende finanzielle Ausstattung ist unabdingbare Basis dafür, dass selbstbestimmte Bottom-up-Initiativen unterrepräsentierter Gruppen entstehen können. Dabei ist auch wichtig, diese langfristig und finanziell ausreichend zu fördern, sodass Strukturen aufgebaut werden und als maßgeblicher Bestandteil des öffentlich geförderten Kultursektors Bestand haben können. Als besonders große Herausforderung erweist sich für unsere Gesprächspartner:innen das Beantragen von Förderungen, insbesondere für Personen ohne bildungsbürgerlichen Hintergrund oder für Nachwuchskünstler:innen. So berichtet beispielsweise Onur Bakış vom Verein Doyobe von seinen Schwierigkeiten mit Kulturbehörden, als er erstmals mit diesen in Kontakt war und ihm viel Know-how fehlte. „Ich hatte mit Stolpersteinen und nicht zufriedenen Beamten zu kämpfen.“ (Bakış 2021 [2019]: 5)star (*3) Um Diskriminierungen im Förderwesen entgegenzuwirken, braucht es Vereinfachungen bei der Beantragung sowie maßgeschneiderte Unterstützungsangebote, wie mehrfach gefordert wird.

In den Interviews wird zudem das Thema der Umverteilung von Förderungen immer wieder angesprochen. Es gilt, so die explizite Forderung, Ungerechtigkeiten aufgrund einer Bevorzugung etablierter ‚hochkultureller‘ Kunstformen abzubauen. Young Krillin beobachtet beispielsweise, dass es für Künstler:innen aus dem klassischen Bereich viele Förderungen gibt, weit weniger jedoch für Bands oder Filmprojekte. „Das steht in keinem Verhältnis zueinander.“ (Krillin 2021 [2019]: 4)star (*13) Diskriminierungen im Förderwesen hängen – wie eingangs dargestellt – eng mit dem die Kulturpolitik dominierenden elitären, bildungsbürgerlichen Kulturverständnis zusammen, aber auch mit Machtfragen, wie von mehreren Interviewten betont wird. Im kulturellen Feld aktiv sein zu können, wird als Privileg benannt, „das man ungern teilt“ (Özmen/Özmen 2021 [2019]: 10).star (*16) Umso wichtiger ist es, Ungerechtigkeiten im Förderwesen kritisch zu reflektieren und Privilegien aktiv hin zu marginalisierten Gruppen umzuverteilen. In diesem Zusammenhang sei es notwendig, so eine weitere Forderung, dass sich die Kulturpolitik aktiv auf marginalisierte Communitys zubewegt, ausdrücklich zur kulturellen Mitgestaltung einlädt und dies – wie der Journalist und Medienkritiker simon INOU (2021 [2018]: 4)star (*11) vorschlägt – deutlich kommuniziert: „Wir brauchen euch. Salzburg sind wir, aber Salzburg seid auch ihr. Kommt vorbei und schauen wir gemeinsam, was wir für diese Stadt machen können.“

 

Kulturpolitische Handlungsoptionen

In den bisherigen Ausführungen wurden vielfältige Erfahrungen und Bedarfe aus der Praxis von Künstler:innen, Kulturarbeiter:innen und -initiativen zusammengeführt, die es zu berücksichtigen gilt, um die Diversität der Gesellschaft im österreichischen Kulturbetrieb abzubilden und diesen für marginalisierte Gruppen relevant und zugänglich sowie insgesamt gerechter zu machen. Zusammenfassend lassen sich dabei folgende Forderungen als zentral festhalten: Hinterfragung des Kanons und Diversifizierung des Kulturangebots, Repräsentation und umfassende Partizipation unterrepräsentierter Akteur:innen in Kulturinstitutionen und Kulturpolitik, Abbau räumlicher und kommunikativer Barrieren, Sicherstellung von Finanzierung und Umverteilung von Förderungen, Wahrnehmung von Antidiskriminierung als (kultur-)politische Aufgabe.

Ausgehend von den Forderungen werde ich abschließend konkrete kulturpolitische Handlungsoptionen skizzieren. Dabei fokussiere ich auf drei Bereiche, die mir besonders relevant erscheinen: Grundlagen, Entscheidungsprozesse und Förderwesen.

Grundlagen:
Grundsatzbeschluss – Selbstreflexion und Bestandsaufnahme – Implementierung von Antidiskriminierung und Diversitätsorientierung

Für eine nachhaltige Veränderung in Richtung mehr sozialer Gerechtigkeit und Mitbestimmung ist die Verankerung von Diversitätsorientierung und Antidiskriminierung in der staatlichen Kulturpolitik notwendig. Grundlegend ist dabei die Anerkennung dessen, was von den unterschiedlichen Mitgliedern und Communitys unserer heterogenen Gesellschaft als Kunst und Kultur verstanden, gelebt, produziert und konsumiert wird. Der erste Schritt einer langfristig gedachten diversitätsorientierten Kulturpolitik müsste daher ein Grundsatzbeschluss sein über die Anerkennung der Diversität unserer Gesellschaft und ihrer künstlerischen und kulturellen Ausdrucksweisen sowie die Absicht, diesbezüglich antidiskriminierende Veränderungen in Gang zu setzen. Diesen Grundsatzbeschluss gilt es als zentrale Referenz kulturpolitischen Handelns zu verankern. Auch wenn die Relevanz solcher Bekenntnisse primär von deren Umsetzung abhängt, braucht es sie als gemeinsame verbindliche Bezugspunkte, auf die sich unterschiedliche Akteur:innen berufen. Der geplante österreichische Fairness Codex, in dem „Bund, Länder, Institutionen und Interessengemeinschaften erstmalig in der Geschichte der Republik einen gemeinsamen Kooperationsstandard“ (Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport 2021a: 11)star (*6) festschreiben wollen, hat großes Potenzial, ein derartiger Bezugspunkt zu werden, sofern darin – aufbauend auf einem kritisch reflektierten Kulturverständnis – Diversitätsorientierung und Antidiskriminierung als explizite kulturpolitische Aufgaben verankert werden.*9 *(9)

Basierend auf dem Grundsatzbeschluss ist in einem weiteren Schritt die Durchführung strukturierter und professionell begleiteter Prozesse der kritischen Selbstreflexion, Bestandsaufnahme sowie Erarbeitung von Handlungsfeldern und Zielen – inklusive entsprechender Selbstverpflichtungen – erforderlich. Dies müsste kulturpolitische Konzepte, Verfahren und Gremien sowie die Kulturverwaltung in Bund und Ländern betreffen, ebenso öffentlich geförderte Kultureinrichtungen und insbesondere die staatlichen Kulturbetriebe. Für die Umsetzung diversitätsorientierter Reflexions- und Organisationsentwicklungsprozesse sollten Anreize geschaffen und eine entsprechende finanzielle Unterstützung sichergestellt werden.*10 *(10) Letztlich gilt es, Diversität und Antidiskriminierung dauerhaft im Kulturbetrieb zu implementieren und in kulturpolitischen Gremien, in der Kulturverwaltung und in öffentlich geförderten Kulturbetrieben mittels Beratung und Monitorings kontinuierlich zu fördern.

Entscheidungsprozesse:
Diversifizierung von kulturpolitischen Gremien, Verwaltung und Kulturbetrieben

Um Diskriminierungen entgegenzuwirken, ist es unerlässlich, marginalisierte Akteur:innen in Entscheidungsprozesse unterschiedlicher Ebenen einzubinden. Zum einen betrifft das Kulturbeiräte, Jurys und andere Gremien in Bundes-, Landes- und Kommunalkulturpolitik, wo Entscheidungen über die Vergabe von Förderungen und Stipendien, Stellenbesetzungen, inhaltliche Schwerpunktsetzungen etc. getroffen werden. Zum anderen ist dies auch in der Kulturverwaltung elementar, um bei Entscheidungen auf dieser Ebene diverse Sichtweisen zu berücksichtigen, Kommunikation und Unterstützung aus der Perspektive marginalisierter Personen sicherstellen zu können, aber auch um den Kreis an Antragsteller:innen hin zu unterrepräsentierten Communitys zu erweitern.

Zudem gilt es, die Kulturbetriebe selbst diverser zu gestalten und dafür Sorge zu tragen, dass sich Diversität im gesamten Personal – insbesondere auch in den Leitungsebenen – widerspiegelt. Zu achten ist dabei auf diskriminierungssensible Stellenausschreibungen und Bewerbungsverfahren. Darüber hinaus sollten innerbetrieblich diskriminierungssensible Maßnahmen gesetzt und entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit Personen aus unterrepräsentierten Communitys keinen Diskriminierungen ausgesetzt sind. In Bezug auf die Diversifizierung von Kulturbetrieben ist kulturpolitisch steuernd einzugreifen, beispielsweise indem Anreize und Unterstützungsangebote für Kulturbetriebe geschaffen werden und Diversitätsorientierung und Antidiskriminierung als Teil von Fördervereinbarungen verankert werden.

Förderwesen:
Adaption von Richtlinien, Ausschreibungen und Kriterien – Schaffung diskriminierungssensibler Zugänge – Setzung von Förderschwerpunkten

Die Verteilung der Fördergelder trägt derzeit wesentlich zu Ungleichheit und Diskriminierungen bei. Dass nun auf Bundesebene und im Bundesland Salzburg an der Umsetzung von Fair-Pay-Maßnahmen gearbeitet wird und Kultureinrichtungen in Zukunft mehr finanzielle Unterstützung erhalten sollen, sodass Angestellte nach den Fair-Pay-Richtlinien (vgl. u.a. Kulturrat Österreich 2021)star (*14) bezahlt werden können, ist überaus positiv. Wichtig wäre darüber hinaus, Diversität und Antidiskriminierung in der Kulturförderungspraxis festzuschreiben und diese für bis dato marginalisierte Akteur:innen, deren Einrichtungen und Produktionen zu öffnen. Es gilt, Förderrichtlinien und Ausschreibungen auf Bundes-, Länder- und Gemeindeebene zu analysieren und diskriminierungssensibel zu adaptieren. Dabei ist der Fokus darauf zu richten, wer (nicht) adressiert wird und auf welchen Ebenen – Sprache, Adressierung, Inhalte, Formalitäten etc. – Ausschlüsse produziert werden.

Außerdem braucht es Transparenz in Bezug auf die Förderabläufe, Entscheidungen und die Verteilung der Fördergelder sowie Umverteilungsmaßnahmen hin zu unterrepräsentierten Communitys. Bezugspunkt können dabei diskriminierungskritische Kriterien etwa im Hinblick auf Beteiligte, adressiertes Publikum, Inhalte, Formate etc.*11 *(11) sein. Förderentscheidungen aufgrund solcher Kriterien wären besser nachvollziehbar als jene, die aktuell häufig aufgrund unklarer oder nicht offen gelegter Kriterien von ‚Qualität‘ getroffen werden. Es gilt zudem, aktiv Zugänge für unterrepräsentierte Personen zu schaffen und die Förderstellen serviceorientiert auszurichten, indem die Fördermöglichkeiten breit und gut verständlich kommuniziert werden, unterrepräsentierte Communitys aktiv eingeladen werden, um Förderungen anzusuchen, und für diese maßgeschneiderte Beratungsangebote und umfassende Unterstützungen angeboten werden. Darüber hinaus wäre es wichtig, Förderschwerpunkte neu zu setzen, indem etwa ein Fokus auf Community-based Art, Bottom-up-Projekte sowie dezentrale und kritische Kulturarbeit gelegt wird. Auch sollten Budgets für diskriminierungssensible Maßnahmen und umfassenden Barrierenabbau in Kulturbetrieben zur Verfügung gestellt werden. Zentral ist außerdem, bei den Förderarten umzudenken und Projekte und Initiativen aus diversen Communitys nicht in temporäre Sonderfördertöpfe ‚abzuschieben‘, sondern langfristig zu unterstützen.

Die vorgeschlagenen Handlungsoptionen verdeutlichen, dass Diversitätsorientierung in und durch Kulturpolitik nicht als linear zu bearbeitendes Phänomen gesehen werden kann, sondern ein komplexes Aufgabenfeld darstellt, das an vielen unterschiedlichen Stellen gezielt, parallel und langfristig bearbeitet werden muss. Generell wünschenswert wäre, zukünftige (Kultur-)Politik als umsichtiges, langfristiges, menschenrechtskonformes Vorgehen zu gestalten, unabhängig von kurzfristigem (partei-)politischem Agieren.

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Aikins, Joshua Kwesi/Gyamerah, Daniel (2016): Handlungsoptionen zur Diversifizierung des Berliner Kultursektors. Eine Expertise von Citizens For Europe, Berlin. Online: https://vielfaltentscheidet.de/wp-content/uploads/2017/04/Final-für-Webseite_klein.pdf (11.07.2022).

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Al-Masri-Gutternig, Nadja/Rosenhammer-Daoudi, Monika (2021 [2020]): Das inklusive Museum – eine Frage von Kooperation und Vernetzung Grundlagen. Interview, geführt von Persson Perry Baumgartinger und Dilara Akarçeşme. Online: https://www.p-art-icipate.net/wp-content/uploads/2021/05/Interview_PPB_DA_Al-Masri-Gutternig_Daoudi-Rosenhammer_print_ka_sr_final.pdf (11.07.2022)

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Bakış, Onur (2021 [2019]): „Unsere Stärke liegt in der Mobilität – wir können in jede Ecke, in jede Siedlung, in jede Nische.“ Interview, geführt von Dilara Akarçeşme. Online: https://www.p-art-icipate.net/wp-content/uploads/2019/10/Interview_DA_Bakis_kw.pdf (11.07.2022)

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Baumgartinger, Persson Perry (2021): Kulturarbeit & Diversity. Ein- und Ausschlüsse im Salzburger Kulturbetrieb. Essay. Online: https://www.p-art-icipate.net/wp-content/uploads/2021/05/Essay_PPB_Kulturarbeit_mb_final.pdf (11.07.2022).

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Bourdieu, Pierre (1987 [1979]): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt/Main: Suhrkamp (22. Auflage).

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Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (Hg.) (2021a): Fairness. Kunst und Kultur in Österreich. Zwischenbericht zum Fairness Prozess 2020/2021. Broschüre. Online: https://www.bmkoes.gv.at/dam/jcr:e1dd8f82-4f31-4da3-a9a3-8cb15a42b5f3/Fairness%20Brosch%C3%BCre.pdf (11.07.2022).

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Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (Hg.) (2021b): Kunst Kultur Bericht 2020. Online: https://www.bmkoes.gv.at/dam/jcr:1e6f1ff8-0285-472c-aadd-49a4a83c9fbb/KunstKulturBericht2020.pdf (11.07.2022).

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Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (Hg.) 2022: Fairness Codex. Kunst und Kultur in Österreich. Online: https://www.bmkoes.gv.at/dam/jcr:ee849de0-6295-4c48-8ba0-4e33d8442abd/220511_Fairness-Codex_Brosch%C3%BCre_A5_BF.pdf (28.07.2022).

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Felice, Conny (2021 [2019]): „Ich sehe da die Möglichkeit der Buntheit …“ –
Über LGBTIQ+, kulturelle Bildung und kulturelle Bildung. Interview, geführt von Persson Perry Baumgartinger. Online: https://www.p-art-icipate.net/wp-content/uploads/2021/05/Interview_PPB_Felice_print_mb_final.pdf (11.07.2022).

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Folie, Andrea (2021 [2019]): „Das Dorf wird noch globaler werden“ – Digitale
Teilhabe, Potenziale und Herausforderungen im Rahmen regionaler Kulturarbeit in Salzburg. Interview, geführt von Dilara Akarçeşme. Online: https://www.p-art-icipate.net/wp-content/uploads/2018/11/Interview_DA_Folie_print_am_sr_final.pdf (11.07.2022)

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Hummer, Andrea (2021 [2020]): Nicht wie ein UFO in einer Region landen. Interview, geführt von Anita Moser. Online: https://www.p-art-icipate.net/wp-content/uploads/2020/10/Interview_AM_Hummer_sr_rg_am_ka_Bio-passt_sr.pdf (11.07.2022).

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INOU, simon (2021 [2018]): „Man muss jenseits der Politik agieren“. Interview, geführt von Anita Moser. Online: https://www.p-art-icipate.net/wp-content/uploads/2018/11/Interview_AM_INOU.pdf (11.07.2022).

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Karam, Abdullah (2021 [2020]): „More communication, please!“ – Über künstlerische Arbeit, das Potenzial von Computerspielen und Salzburg als Ort kultureller Teilhabe und Produktion. Interview, geführt von Anita Moser. Online: https://www.p-art-icipate.net/wp-content/uploads/2018/11/Interview_AM_Karam.pdf (11.07.2022).

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Kışlal, Aslı (2021 [2020]): diverCITYLAB: Ein kunstpolitisches Projekt, getarnt als Schule. Interview, geführt von Dilara Akarçeşme. Online: https://www.p-art-icipate.net/wp-content/uploads/2020/10/Interview_DA_Kislal.pdf (11.07.2022).

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Krillin, Young (2021 [2019]): „Lokale Kunst sollte gefördert werden wie regionale Nahrungsmittelherstellung eben auch.“ Interview, geführt von Dilara Akarçeşme. Online: https://www.p-art-icipate.net/wp-content/uploads/2021/05/Interview_DA_Krillin_print_ka_sr_final.pdf (11.07.2022).

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Kulturrat Österreich (2021): Fair Pay Reader. Online: https://kulturrat.at/wp-content/uploads/2021/09/Fair_Pay_Reader_KulturratOesterreich_2021.pdf (11.07.2022).

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Land Salzburg (Hg.) (2018): Kulturentwicklungsplan KEP Land Salzburg. Visionen, Ziele, Maßnahmen. Online: https://www.salzburg.gv.at/kultur_/Documents/WebNeu_Kulturentwicklungsplan.pdf (11.07.2022).

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Lôbo Marissa/Seefranz, Catrin (2021 [2020]):„Es ist an der Zeit, zu schauen, was unabhängig von Staat oder von Institutionen möglich ist“. Interview, geführt von Persson Perry Baumgartinger und Dilara Akarçeşme. Online: https://www.p-art-icipate.net/wp-content/uploads/2021/05/Interview_PPB_DA_Lobo_Seefranz_print_kw_final.pdf (11.07.2022).

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Micossé-Aikins, Sandrine/Sharifi, Bahareh (2019): Kulturinstitutionen ohne Grenzen? Annäherung an einen diskriminierungskritischen Kulturbereich. In: Kulturelle Bildung Online: https://www.kubi-online.de/artikel/kulturinstitutionen-ohne-grenzen-annaeherung-einen-diskriminierungskritischen-kulturbereich (11.07.2022).

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Özmen, Esra/Özmen, Enes (2021 [2019]): „Wo ist ein*e Migrant*in der Boss und sagt: ‚Das ist zu weiß.‘? Interview, geführt von Dilara Akarçeşme. Online: https://www.p-art-icipate.net/wp-content/uploads/2019/10/Interview_DA_Esrap_print_kw_final.pdf (11.07.2022)

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Schmerold, Monika (2021 [2019]): „Eigentlich eine einfache Antwort: ‚Alle‘ ist ‚alle‘“. – Über Enthinderung im Kunst- und Kulturbereich als Menschenrechtsaufgabe Interview, geführt von Dilara Akarçeşme. Online: https://www.p-art-icipate.net/wp-content/uploads/2021/05/Interview_DA_Schmerold_print_mb_final.pdf (11.07.2022)

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Schmerold, Monika E. (2021): Kulturveranstaltungen barrierefrei und inklusiv. Leitfaden. Checkliste“, herausgegeben von Eva Veichtlbauer/Land Salzburg. Online: https://www.salzburg.gv.at/kultur_/Documents/Kulturveranstaltungen%20barrierefrei%20und%20inklusiv.pdf (11.07.2022).

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Schmidhuber, Eva (2021 [2020]): „Wir haben den Anspruch, in unserem Programm
die Gesellschaft in all ihrer Vielfalt abzubilden“. Interview, geführt von Elke Zobl. Online: https://www.p-art-icipate.net/wp-content/uploads/2021/05/Interview_EZ_Schmidhuber_print_mb_final.pdf (11.07.2022)

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Tritscher, Reinhold (2021 [2020]): „Partizipation setzt nicht nur voraus, dass ein Projekt offen ist“. Interview, geführt von Timna Pachner. Online: https://www.p-art-icipate.net/wp-content/uploads/2020/10/Interview_TP_Tritscher_kw.pdf (11.07.2022)

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Wimmer, Michael (2020a): Das Phantom der Demokratie. Eine kleine Geschichte der österreichischen Kulturpolitik. In: Ders. (Hg.): Kann Kultur Politik? Kann Politik Kultur? Warum wir wieder mehr über Kulturpolitik sprechen sollten. Berlin, Boston: De Gruyter, S. 122–134.

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Wimmer, Michael (2020b): Eine Kultur für alle! Über Kanons, Leitkulturen und über das, worum es in der Kultur wirklich geht. Blogbeitrag: https://michael-wimmer.at/blog/eine-kultur-fuer-alle-ueber-kanons-leitkulturen-und-ueber-das-worum-es-in-der-kultur-wirklich-geht/ (11.07.2022).

Dieser Text wurde erstmals veröffentlicht in: Wimmer, Michael (Hg.) (2022): Für eine neue Agenda der Kulturpolitik. Berlin/Boston: De Gryuter, S. 330-343. https://doi.org/10.1515/9783110791723.

Das Forschungsprojekt wurde am Programmbereich Zeitgenössische Kunst und Kulturproduktion der Interuniversitären Einrichtung Wissenschaft und Kunst durchgeführt. Details über das Projekt sind hier zu finden: https://www.p-art-icipate.net/projekt/projektinfo/ (11.07.2022).

Vgl. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 2, https://www.menschenrechtserklaerung.de/diskriminierungsverbot-3542/, und Artikel 27, https://www.menschenrechtserklaerung.de/kultur-3689/ (15.12.2021).

Zum Zeitpunkt der Zweitveröffentlichung des Beitrags liegt der Fairness Codex als Broschüre vor: https://www.bmkoes.gv.at/dam/jcr:ee849de0-6295-4c48-8ba0-4e33d8442abd/220511_Fairness-Codex_Brosch%C3%BCre_A5_BF.pdf (29.07.2022). Vielfalt wird darin – neben Respekt & Wertschätzung, Nachhaltigkeit, Transparenz – als einer von vier Grundwerten genannt. Handlungsbedarf wird u.a. in Bezug auf die „strukturelle[n] Diskriminierung von Menschen aufgrund wahrnehmbarer und nicht wahrnehmbarer Merkmale“ erkannt. „Daher möchten wir uns verstärkt um die Sichtbarkeit marginalisierter Perspektiven im Kultursektor kümmern. […] Wir wollen das Bewusstsein für Diversität in unseren jeweiligen Wirkungsbereichen stärken, eine offene Diskussion über Ausschlussmechanismen und Diskriminierung ermöglichen und in diesem Zusammenhang notwendige Impulse setzen.“ (vgl. Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport 2022: 6).star (*8)

Die Booklets stehen hier als Download zur Verfügung: https://www.p-art-icipate.net/projekt/interviews/ (15.12.2021). Sämtliche im Beitrag zitierten Interviewpassagen sind den veröffentlichen Booklets entnommen.

Der Ausdruck ‚Kulturnation‘ diente als „konservativer Kampfbegriff“ auch dazu, ein „anti-aufklärerisches, anti-modernes und stark katholisch gefärbtes Kulturmuster einer bildungsbürgerlichen Elite durchzusetzen“ (Wimmer 2020a: 123).

Laut Bundeskunst- und Kulturbericht erhielten im Geschäftsjahr 2019/20 das Burgtheater eine Basisabgeltung von 47.404.000 € und die Wiener Staatsoper von 66.088.000 € (vgl. Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport 2021b: 263). An den ArtSocialSpace Brunnenpassage gingen hingegen 55.000 € (vgl. ebd.: 440). https://www.bmkoes.gv.at/Service/Publikationen/Kunst-und-Kultur/kunst-und-kulturberichte.html (15.12.2021)

Die zehnjährige Übergangsfrist endete 2016. Seit 1.1.2016 müssen alle öffentlich zugänglichen und nutzbaren Orte sowie Güter und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, barrierefrei angeboten werden (vgl. Schmerold 2021).

Die Absichten des Fairness Codex (vgl. dazu auch Fußnote 4 in vorliegendem Beitrag) hätten durchaus bestimmter formuliert werden können, indem beispielsweise anstelle von „wir möchten“ oder „wir wollen“ ein dezidiertes „wir werden“ bekundet wird (vgl. Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport 2022: 6). Da der Codex explizit und ausschließlich auf dem Prinzip der Selbstbindung fußt (vgl. https://www.bmkoes.gv.at/Kunst-und-Kultur/Fairness/Codex.html#:~:text=Ziele&text=Zielgruppe%20des%20Fairness%2DCodex%20sind,Codex%20in%20ihrer%20Arbeit%20anwenden, 28.07.2022), bleibt abzuwarten, wie sehr sich insbesondere Institutionen von Kulturpolitik und ‑verwaltung sowie staatliche Kultureinrichtungen davon inspirieren und leiten lassen.

In Deutschland geschieht dies beispielsweise durch das von der Kulturstiftung des Bundes geförderte Programm 360 – Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft. 2018–2023 werden verschiedene Kultureinrichtungen mit insgesamt 13,9 Mio. Euro gefördert. https://www.360-fonds.de/ (15.12.20121).

Anregungen dazu bietet der Creative Case for Diversity des Arts Council England, https://www.artscouncil.org.uk/sites/default/files/download-file/Equality_Diversity_and_the_Creative_Case_A_Data_Report__201920.pdf (15.12.2021).

Anita Moser ( 2022): Diversitätsorientierung in und durch Kulturpolitik. Forderungen aus der Praxis und Handlungsoptionen. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/diversitaetsorientierung-in-und-durch-kulturpolitik/