Jenseits der Differenz

Ein Gespräch über Kollaboration

Marcel: Dann willst du eigentlich durch die Zusammenarbeit mit Amateuren/innen und Tieren dem Wertesystem des heutigen Kunstbetriebs gegensteuern?

Benjamin: Es geht mir um eine Rückbesinnung darauf, was Kunst denn kann und soll in unserer Gesellschaft und für mich persönlich. Mich interessiert die Frage, wie ich ästhetische Äußerungen produzieren kann, die in mein Selbst und in das der Rezipienten/innen eingreifen. Es geht um Transformation von einem selber, ohne einen Nutzen außerhalb von dieser zu erwarten.

Beim Projekt STOKES, das ich 2013 mit Danique Wiesli realisierte, haben wir mit einer Gruppe von Amateuren, Amateurinnen und professionellen Kunstschaffenden gearbeitet. STOKES ist eine Art Musical, das die Qualitäten des Amateurhaften und gleichzeitig seine Gnadenlosigkeit gegenüber dem Publikum thematisiert und zelebriert. In erster Linie ist es aber eine gemeinsame Handlung, die in einer Aufführung endet.

STOKES, Theater der Künste, Zürich, 2013. Foto: Sévérine Urwyler

STOKES, Theater der Künste, Zürich, 2013. Foto: Sévérine Urwyler

Zu dieser Handlung gehören alle Beteiligten, und sie steht und fällt mit der emotionalen Anteilnahme aller Involvierten. Mein Bruder Thomas hat zum Beispiel in STOKES einen Auftritt mit einer kleinen Brass-Band. Er selber hat die beiden Mitmusiker Emilie Heinimann und Jonti Warris angefragt, und Emilie hat das Stück für den Auftritt umgeschrieben. Die drei kennen sich von der Arbeit in einer Bank. Die Teilnahme an STOKES wurde Teil ihres Arbeitsalltags. Die Verantwortlichkeit für ihren Part haben sie selber wahrgenommen. So war es mit den meisten anderen auch. Insgesamt waren das fünfzehn Performer/innen. Unser Anspruch war, über das Amateurhafte selbst ein Stück zu machen und grundsätzliche Thematiken wie die Wiederholung, das Zitat, das Spielerische und das Gebrochene im Ausdruck zum Inhalt zu machen.

Das Faszinierende bei dieser Arbeitsweise ist, dass sich in der Gruppe der Beteiligten eine Vision generiert, die nicht hinterfragt werden kann, weil sonst das Ganze in sich zusammenfällt. Alle Beteiligten tragen und verändern die Vision mit. Man wird zu einer Gemeinschaft im wahrsten Sinn des Wortes. Nur wer dies in der Aufführung selber erkennt, kann das Werk verstehen. Es braucht Offenheit hierfür.

In der Zusammenarbeit mit Tieren, geht es ebenso um diese Aspekte. Es geht um das Eigentliche und seine Zeitlichkeit. Mit den Schimpansen der ästhetischen Äußerung nachzugehen, erfüllt mich deshalb auf mehreren Ebenen. Ich habe unglaublich viel über das Kunstmachen von ihnen gelernt.

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Schlingensief, Christoph  (2012): Ich weiss, ich war’s, Köln: Kiepenheuer & Witsch.

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Terkessidis, Mark (2015): Kollaboration, Berlin: Suhrkamp.

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Barad, Karen (2007): Meeting the Universe Halfway: Quantum Physics and the Entanglement of Matter and Meaning, North Carolina: Duke University Press.

Marcel Bleuler, Benjamin Egger ( 2016): Jenseits der Differenz. Ein Gespräch über Kollaboration. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/jenseits-der-differenz/