Im Sinne dieser Differenz prägt der Soziologe und Philosoph Oliver Marchart den Begriff der „minimalen Politik“, der sowohl als Weiterführung von, aber auch in Abgrenzung zu dem Begriff der „Mikropolitik“ von Gilles Deleuze und Felix Guattari gedacht ist (vgl. Adolphs/Karakayalı 2007). (*15) Im Gegensatz zur „Mikropolitik“, welche Minorität und individuelle Taktik politisch fasst, definiert Marchart „minimale Politik“ als eine Form des Politischen, welche die Kriterien der Organisation, des Majoritär-Werdens, der Strategie, und der Kollektivität erfüllt (Marchart 2010: 318). (*10)
Auf Basis demokratischer Prinzipien, wie jene der Freiheit, Gleichheit und einer Solidarität, welche das Potential hat, die eigene Identität zu hinterfragen, ohne den anderen zu stigmatisieren, der Kriterien der „Minimalen Politik“ sowie einem grundlegenden Verständnis von dialogischer Kunst als „Aushandlungsraum“, der zwischen den Polen von Politik, dem Politischen und Ästhetik aufgespannt wird, lässt sich das Potential von sozialen Kunstpraxen wie folgt theoretisch fassen.
Politik: Soziale Kunstpraxen, welche die soziale Ordnung verändern wollen, agieren zugleich innerhalb derselben. Über die Anerkennung der Notwendigkeit einer sozialen Ordnung intervenieren sie in Politik und verlassen das Terrain der Kunst.
Das Politische: Soziale Kunstpraxen adressieren die politische Dimension des Sozialen und begründen eine minimale soziale Bewegung, und/oder sie schließen sich einer bereits bestehenden sozialen Bewegung an. Sie fußen auf der instituierenden Kraft des Politischen, die die Ordnung der Politik in beharrlicher Bewegung durchbricht und destabilisiert. Sie sind gezwungen, für künstlerische Autonomie zu kämpfen, um nicht auf politisches Design reduziert zu werden. Soziale Kunstpraxen illustrieren somit nicht die Inhalte einer sozialen Bewegung, sondern durch soziale Kunst wird eine soziale Bewegung mit ästhetischen Mitteln von innen heraus (mit-)geformt und gegründet.
Ästhetik: Der Weg zur künstlerischen Autonomie erfordert, sich nicht von außen auf bestimmte Inhalte festlegen zu lassen und im Extremfall sogar das Nützliche zu negieren. Die ästhetische Dimension von sozialen Kunstpraxen zeigt sich darin, dass sie es vermögen, spezifische dialogische und ästhetische Räume zu schaffen, welche in dieser Form nur durch Kunst realisiert werden können.
Aufgrund ihres prozessoralen Charakters verharren Soziale Kunstpraxen nicht bei einem der drei Pole, sondern müssen in Bewegung bleiben ‑ sie oszillieren zwischen den Polen. Diese Bewegungsfreiheit wird ihnen (theoretisch) durch das Grundrecht der Kunstfreiheit ermöglicht.
Anhand von drei Bespielen werde ich nun diese Überlegungen in Bezug auf meine Praxis weiterführen.
Martin Krenn ( 2016): Das Politische in sozialer Kunst. Intervenieren in soziale Verhältnisse. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/das-politische-in-sozialer-kunst/